Matthias Rathmer

Solange sie schlief


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müssen. „Frauen sind einfach nachdenklicher. Aber dafür auch emotionaler, schwankender und deswegen neurotischer. Tief in ihrer Seele sind sie Jungfrauhuren. Deswegen sind sie ja auch komplexer. Männer sind ausschließlich Huren.“

      Eve drehte sich zu mir herum. Sie strampelte die Decke zur Seite, so wie sie das immer tat, im Sommer. Ihr makellos schöner Körper lag in ganzer Pracht vor mir. Sie trug Unterwäsche aus Seide, was in mir, je länger ich sie anschaute, erotische Fantasien auslöste. Ich sah sie, wie sie in der Umkleidekabine stand, sich selbst bespiegelnd, ob Höschen und Top dem nutzten, wessen es Reizwäsche gab und dabei an mich dachte. Ich legte meinen Kopf auf ihr Becken, da drehte sie sich ruckartig auf die andere Seite.

      „Ich mag nicht. Jetzt nicht. Später, ja?” flüsterte sie mir im Halbschlaf entgegen, doch ich wusste, dass später nur die Vertröstung auf nie mehr war. Wer wohl würde sie als nächster haben, fragte ich mich und verfluchte einen Unbekannten, der ich selbst hätte sein können. Ich setzte mich auf die Bettkante und entzog mir jede Begierde selbst. Eves Kopf zu lieben, ihren Geist zu verführen, war mir wieder einmal nicht gelungen. Ich hatte versagt. Erneut vernahm ich sie plötzlich auf einer Party reden.

      „Nimmt sich zum Beispiel eine Frau einen Typen auf einer Party zur Brust und vögelt mit ihm, ist sie eine Hure. Nimmt sich dagegen ein Mann eine Frau auf der gleichen Party in gleicher Nacht, ist er ein Held und wird beklatscht.“

      Wieder klirrten Eiswürfel. Wieder blickte ich auf ihren süßen Hintern. Und wieder hörte ich sie mit ihrer Freundin schwatzen.

      „Für Männer ist jeder Sex guter Sex. Sie sind so erzogen worden. Zu erobern. Für eine Frau ist Sex gesund, wenn sich der Mann danach in sie verliebt.“

      Ich erinnerte mich. Ich stand neben ihr. Entsetzt nahezu.

      „Frauen fragen nach den Müttern von Männern, weil Liebhaber die Verlängerung zu den Eltern des Mannes sind. Es sagt viel über die emotionale Kompetenz von Männern aus, wenn sie ein gutes Verhältnis zu ihren Müttern haben.“

      Damals schon, in unseren Anfängen, ahnte ich, wie schwer es werden würde, diesen Menschen bisweilen so zu fordern, dass er dadurch vielleicht eher zu sich selbst fand. Ich hätte es lassen sollen. Ich hätte sie einem anderen lassen sollen. Ich konnte es nicht. Mit dem ersten Blick war ich ihr verfallen. Meine ständige Eifersucht und die fortwährende Angst sie zu verlieren, hatten nun mein Selbstbewusstsein derart schrumpfen lassen, dass ich mir einredete, wie sehr uns Abstand gut tat. Ich wusste nicht mehr, was, wann, ob und wo etwas mit uns geschehen sollte. Dieser Zustand beschrieb gemeinhin keine Zukunft zu haben.

      Am nächsten Tag brachte ich sie zum Bahnhof. Natürlich hatten wir zuvor keinen Sex. Eve hatte so wenig nach Lust gerochen und ich hatte den stechenden Schmerz einer neuerlichen Zurückweisung vermieden. Stundenlang hatte ich mir in stattdessen anhören dürfen, wie zeitraubend und unnötig unser kleiner Wochenendtrip zu meiner Familie gewesen war, weil ich ihr den Sonntag genommen hatte, den Tag sich überlegen zu können, was sie mitnahm und was getrost zurückbleiben durfte. Am Mittwoch flog sie für sechs Wochen nach Australien, in ihre Heimat. Sie flog immer in ihre Heimat zurück, wenn sie sich besinnen wollte. Zum dritten Mal bereits. Ihre Tränen und Küsse am Bahnsteig irritierten mich. Vielleicht kehrte sie nie mehr zurück, dachte ich und rüstete mich ganz allmählich für meinen neuerlichen Kreuzzug, der von Ekstase umsäumt werden würde, um den Schmerz zu betäuben. Der Verlust von Liebe war wieder einmal wie auf Schienen gesetzt und nicht mehr aufzuhalten.

      „Und? Wie war dein Tag so?“

      „Ging so! Und deiner?“ gähnte ich fragend zurück.

      „Ging so!“ Eve war keine Frau vieler Worte. Eve war eine Frau unendlich vieler Gedanken. Den Flug und die ersten Tage der Eingewöhnung hatte sie überstanden. Sie wohnte bei ihrer Freundin Pam, die ich im Hintergrund lachen hörte. Es war halb fünf morgens, was Eve jedoch so gar nicht interessierte. Wollte sie etwas, nahm sie es sich. Es sei denn, wir waren intim.

      „Lass’ uns doch einfach in aller Ruhe reden, wenn du wieder zurück bist,” meinte ich während ihres fünften Anrufs innerhalb der ersten sechs Tage. „Und genieß’ die Zeit!“

      „Hast’ ja Recht! Pass’ auf dich, ja?“

      Ein anderes Mal fragte sie mich fern aus jedem Zusammenhang, ob ich Lust auf sie hätte.

      „Ich habe immer Lust auf dich,” entgegnete ich ihr.

      „Wirklich? Und warum sagst du mir das dann nicht?“

      Nicht mehr, dachte ich. Ich sagte es nicht mehr.

      „Wir könnten Telefonsex probieren,” schlug sie vor, nahm aber von ihren Gelüsten wieder Abstand, als sie verinnerlicht hatte, dass das Gespräch teuer werden könnte, weil sie darin nicht geübt war.

      Man musste nicht besonders schlau sein um zu erahnen, warum sich Eve vornehmlich nachts bei mir meldete. Ich stellte mir am anderen Ende der Leitung ihre riesigen Lauscher vor, die sie gespitzt hatte, um auf die Geräusche meiner Aufenthaltsorte zu achten, die Betrug verraten konnten. Nicht einmal das Motiv ihrer möglichen Eifersucht missfiel mir, sondern einzig der Umstand, dass sie sich immer noch sehr intensiv mit uns auseinandersetzte, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, dass es, so bitter das klang, ratsam war, Lebewohl zu sagen. Sie sollte uns trennen. Das war mein Plan. Sie sollte und durfte an mir nicht zerbrechen.

      Ich hatte es nach längeren Verbindungen stets den Frauen überlassen, den Schlussakt zu gestalten. Folgten Trennungen gemeinhin nach dem Muster, dass Frauen in einer Partnerschaft gelitten hatten und Männer danach, hatte ich mich innerlich von meinen Gefährtinnen bereits getrennt, bevor der Vorhang gefallen war. Ließ ich sie offiziell das Urteil fällen, vermittelte ihnen ihre Initiative ein Gefühl der Stärke, denn nichts war unnötiger, als unter dem Abschiedsschmerz zu leiden. Manchmal kämpften Frauen wie Männer genauso lange mit dem Verlust ihres Partners, wie sie zusammen gewesen waren oder sogar länger. Das galt es unbedingt zu vermeiden. Eve sollte als Siegerin den Ring verlassen.

      Ich indes hielt seit ein paar Wochen wieder Ausschau. Alle Sensoren waren aktiviert, der Einen von diesen Zehn der Hundert zu begegnen. Es wäre ein echter Glücksfall, wie zu bekümmern stand, doch mit altbekannten Kompromissen wollte ich mich vorerst nicht zufrieden geben. Waren Frauen nicht attraktiv genug, hatte ich meine Sinne in der Regel mit Alkohol betäubt und sie spätestens zwischen zwei und vier Uhr morgens mit der bewussten Aufgabe jeglichen Anstands auf Nimmerwiedersehen aus dem Bett geschmissen. Waren sie dienlich gebaut aber dumm, kamen sie für mehr als ein paar Nächte nicht in mein Leben. Waren sie zu neurotisch, weil sie zu sehr mit ihrer Selbstfindung zu kämpfen hatten, hatte ich sie wieder sich selbst überlassen, freilich erst, nachdem sie sich meiner Verspieltheit so lange hingegeben hatten, wie sie zu ertragen gewesen waren.

      Die Zukunft mit Eve war mehr als fraglich geworden. Da war es ratsam, mit der Suche nach der vermutlichen Unwahrscheinlichkeit einer annähernd ähnlichen Begegnung keine Sekunde zu warten. Wer besessen war, litt. Und wer litt, schrie nach Erlösung.

      2

      Wie oft denn noch?

      Einer der größten Irrtümer der Menschen lag darin, miteinander intim zu sein, bevor man auch nur irgendetwas über den anderen wusste. Dennoch taten sie es. Stets schamloser. Man sah sich und ein paar Oberflächlichkeiten reichten aus, um sich gegenseitig spüren zu wollen, was im Fachjargon ficken hieß, das zu sagen aber durch und durch unweiblich war, obwohl eine gewisse Härte gerade den Frauen besonders gefiel. Sex war Magie. Was mehr bezauberte Männer an Frauen, wenn sie sie nicht sexuell begehrten? Was mehr als Sex zog Frauen zu Männern hin? Ich war, ging es um Paarungsrituale ohne echte Absichten, kein Held der Verführung. Das dauerte mir zu lange. Der wilde Trieb passte eher zu mir. Ihn zu verschleiern war die Kunst, durchzuhalten eine andere.

      Ich war ein Mann. Ich war ein Jäger. Meine Lust passte so gar nicht zum Aussuchen von Regalwänden und Teppichböden, die sie bereits nach dem dritten Akt heimlich im Kopf hatte. Was die einen Artenschutz nannten, war für mich Narrenfreiheit. Vor allem aber hatte ich gelernt Liebeskummer zu ertragen. Nie wieder würde mir eine Frau das Herz herausreißen können und