Matthias Rathmer

Solange sie schlief


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hieß es. Schneller ging es mit Menschen, wenn man mit ihnen spielen konnte. Und ich wusste um die Orte, an denen in Gleichgültigkeit abzutauchen besser war als zuzulassen sich im Leid zu gefallen, weil in diesem Schmerz alle Sinne geschärfter waren. Ich wusste, wo sie sich herumtrieben.

      Axel löste an diesem Tag Andromeda ab. Die Bezeichnungen von Meteorologen entzogen sich mir jeglicher Logik. Männer brachten bei ihnen Stimmung. Vielleicht benannten sie die Tiefdruckgebiete deswegen mit Frauennamen, weil sie Metaphern für grundsätzliche Ungemütlichkeiten zu mögen schienen. Ich stellte sie mir vor, wie sie über ihren kurvenreichen Karten hingen, mürrisch nur wenig miteinander sprachen und als erste wussten, welch übles Wechselspiel der Naturgewalten uns allen häufig genug drohte. Immerhin. Ihre Vorhersage einer sonnenreichen Zeit traf zu, frohlockte ich und machte mich auf, um die Freude der Natur zu genießen, die in meiner Stadt einen Ausnahmezustand verursachte, mit dem nur die wenigsten kamen.

      Wenn ich früher dachte, wer über das Wetter redete, war entweder alt oder hatte sonst nichts anderes zu erzählen, so musste ich dieses Urteil mit meinem Umzug nach Hamburg gehörig revidieren. Vor mehr als fünfzehn Jahren war ich ans Tor zur Welt gesiedelt. Seitdem kannte ich ihn, diesen grauen Dauerherbst, der nur für eine kurze Zeit von den Sommermonaten unterbrochen wurde, auf die alle Bewohner sehnsüchtig und gespannt warteten wie auf die Rückkehr eines geliebten Menschen. Da war mit Enttäuschungen immer zu rechnen. In dieser Stadt war das Klima stets ein Thema, denn packte ein kräftiges Hoch wie Axel die Leute beim Gemüt, waren mit dem Anflug eines Hauchs mediterraner Lebensgefühle ein paar Wochen lang Missmut und nordische Steifheit wie bestellt verflogen.

      Man durfte dennoch nicht glauben, was die Augen sahen. Die Spaßgesellschaft tauchte nur für eine kurze Zeit in eine Art Karnevalstrunkenheit ein. Hinter ihren Maskeraden der guten Sommerlaune lebten die Menschen allenfalls wissentlicher den Unterschied zwischen Schein und Sein, wenn sie ihre Marotten überhaupt reflektierten. Das Schöne besaß für sie immer den konkreten Zweck, sich präsentieren zu wollen statt genießen zu können. Ich blickte durch die Runde. Mich amüsierte, allerlei Haut im Visier, ein anderer von mir sehr geschätzter Vorzug dieser Jahreszeit. Als Mann sah man sofort, woran man bei Frau war. Die sonst so üblichen Mogelpackungen blieben in den Schränken. Ich dachte an Eve, die sich aus anderen Gründen als solche entpuppt hatte und deswegen der Grund dafür war, warum bei mir die allgemeine Betäubung nicht wirkte. Noch nicht. Vor zehn Tagen hatte sie mich verlassen, wie ich mir täglich mehr eingeredet hatte.

      Zuhauf waren sie gekommen. Wo es Licht gab, wo es warm war und wo es rummelte, versammelten sich die Großstädter nur allzu gern. Wo es nach Libido roch, erst recht. Sie streckten ihre müden Glieder auf Liegen aus, saßen in billigen Tuchstühlen oder hatten in den wuchtigen Holzsesseln Platz gefunden. Ein leichter Wind wehte die Geräusche der Hafenarbeiter herüber, Flussschiffe fuhren vorbei und Touristen bewunderten den Hafen. Bliesen Lüfte in Böen kräftiger, ließen Brisen den Schweiß auf entblößten Körpern wohltuend erkalten. Ein Gemisch aus Limonen und allerlei Körpercremes duftete wunderbar nach Beschwingtheit. Eine ganze Weile beobachtete ich Möwen, die einem Containerschiff am Heck stromaufwärts folgten. Dann und wann kam es vor, dass sie über das Areal flogen und auf die Gäste kackten. Während ich über dieses unflätige Benehmen grübelte, weil mir diese Viecher wie mit boshafter Absicht trainiert vorkamen, aber dennoch niemals die richtigen trafen, stockte ich. Ich hatte Mühe, meinen sonnenverklärten Blick schärfer zu ziehen.

      Ich reckte den Hals soweit ich konnte. Mein Interesse war wie geblendet geweckt, als ich den wahren Sonnenschein in diesem Lokal ausgemacht hatte. Da war sie, wegen dieser Frau war ich an diesen Ort gekommen. Sie war die Eine von Zehn der Hundert, auf den ersten Blick und möglicherweise, wie ich sofort wieder einschränkte, denn Frauen musste Mann immer kommen lassen. Abgesehen davon, dass jede Frau ganz grundsätzlich ein solches war, das Problem bei den meisten jedoch darin bestand, stets und ständig als solches auch genau so behandelt werden zu wollen, konnte sie es wirklich sein, ein Geschenk des Himmels nämlich.

      Groß, mit perfektem Fettgehalt, schlanken Oberarmen und dunklen, langen Haaren schwebte sie mir, einem Engel gleich, elfenhaft entgegen. Nur jetzt bitte keinen dicken Hintern, flehte ich den Herrn der Schöpfung innerlich an. Ich sah sie geradewegs auf mich zukommen, sie, ein Glücksfall der Meiose, mit den Beinen einer Gazelle zusammen mit ihren beiden herrlichen Brüsten, die ihrem Leben immer ein Stück voraus waren. Prall gefüllt war ihr Bikini, mit Begehrlichkeiten, deren Reize dauerhaftes Unheil stiften konnten. Wie schwer selbst weibliche Merkmale kleinster Ausprägung wiegen konnten, wusste ich nur allzu genau einzuschätzen, zu oft schon drohte ich an ihrem wesentlichen Gehalt zu ersticken, obgleich ich nur mit ihnen spielen wollte.

      Ein einfacher Knoten hielt ihr Fleisch zusammen. Ihre Verlockungen wogen leicht zum Takt ihres Ganges auf und ab, getragen von Stolz und vorgeführt von einer verführerischen Grazie. Wenn Frauen derart Rückgrat zeigten, wie sie es tat, dann trieben sie in der Regel reichlich Sport oder waren mit zahlreichen Auftritten geübt darin, sich in Szene zu setzen. Meine Entdeckung aber sah nicht so aus, als verschafften ihr ausgedehnte Leibesübungen Zufriedenheit. Sie war zu dieser Stunde und an diesem Ort die Anmut in Vollendung und konnte es sich leisten, mit ihren Betrachtern zu spielen. In Millisekunden sorgten Neurotransmitter und Hormonhaushalt dafür, dass meine Pupillen an ihr klebten.

      Meine unbekannte Schönheit schritt den Holzsteg entlang, den alle nehmen mussten, wenn man das Lokal betreten hatte. Der Weg teilte den Beachclub an der Elbe in zwei Hälften. Links und rechts von ihm saßen oder lagen die Gäste in aufgestellter Ordnung im Sand. Erst wenn man diese Gerade der Eitelkeiten geschafft hatte, konnte man daran denken, im restlichen Strandambiente zu entspannen. Bis dahin aber sah man sich unzähligen Blicken ausgesetzt. Nur wenige Meter konnten zur Ewigkeit gereichen, und die meisten mühten sich nach Kräften, eine halbwegs gute Figur zu machen. Die Parade aller Masken war im Grunde lächerlich. Wollte man jedoch im Großstadtleben dabei sein, forderten Orte wie dieser ihren Tribut, von Frauen und Männern gleichermaßen. Es war Sonntag und wenigstens die Sonne schien allen einsamen Kämpfern auf ihrem langen Weg des Erfolgs entgegen. Das war selten genug gewesen in diesem verrückten deutschen Sommer.

      Sie kam in Begleitung einer anderen Frau, wobei ich nicht gleich ermitteln konnte, in welchem Verhältnis sie zueinander standen. Während ihre Kameradin mit gesenktem Haupt damit beschäftigt war, ihre Unsicherheit zu verstecken, schaute sich die Schöne zu allen Seiten um. Ihre souveräne Kopf- und Körperhaltung verriet mir sofort, dass es ihr ein Leichtes war, die Pflicht dieser öffentlichen Artbegaffung zu bewältigen. Sie sprachen kein Wort. Das war für Frauen höchst ungewöhnlich, denn waren sie Stresssituationen wie diesen ausgesetzt, plapperte Frau vergnügt gemeinhin über dieses und jenes, und zwar so lange, bis die größten Ängste ausgestanden waren, selbst wenn sie wusste, dass es dummes Zeug gewesen war, über das sie gerade palavert hatte.

      Gerne hätte ich ihre Augen gesehen. Im Unterschied zu ihr war ihre Begleiterin deutlich fülliger und wirkte ordinärer. Sie stampfte wie ein Plumperquatsch über die kleinen Holzlatten, die sich unter ihrem Gewicht in den Sand drückten. Meine Auserwählte hingegen stolzierte weiter auf voller Länge in eleganter Haltung an den Voyeuren vorbei, die den Mund nicht schließen konnten. Sie wusste um ihre Außenwirkung. Sie wusste, dass ihr Männer wie Frauen, waren sie auf sie aufmerksam geworden, aus ganz unterschiedlichen Motiven nachschauten. Die Männer lechzten, die Frauen neideten.

      Ein anderer Umstand wurde mir bewusst, während ich das so ungleiche Paar weiter beobachtete. Der Klassiker war unterwegs. Häufig hing an einer attraktiven Frau eine obligatorisch überfüllige Geschlechtsgenossin mit minder ausgeprägten Reizen und von verhaltener Ausstattung, vermutlich, weil die eine in dieser Zweckgemeinschaft noch besser glänzen konnte und die andere sich erhoffte Bekanntschaften zu machen, die sie allein zu schließen aufgrund ihrer Defizite nicht in der Lage war.

      An ihrem Ziel angekommen, ließen sie sich bereitwillig ein gelbes Armbändchen verpassen, das sie an diesem Tag als besonders wichtige Gäste auswies, nahmen Gutscheine in Empfang und suchten das abgesperrte Terrain nach einem geeigneten Plätzchen ab. Jetzt konnte ich beide von hinten betrachten. Diesen Anblick wollte ich mir noch gönnen, bevor ich zu vergessen bereit war, was und wen ich verfolgt hatte. Zu oft schon hatte ich drohende Enttäuschungen dieser Art in Form unförmiger Füllen erlitten und meine Entdeckung in die Rubrik der neunzig Anteile einordnen