Matthias Rathmer

Solange sie schlief


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Und zwar gehörig. Ich war zurück vom Gipfel der Liebe und dabei alte Täler zu durchschreiten. Rache zu nehmen war manchmal ein Bedürfnis, das in mir aufkam, ohne dass ich es bewusst entwickelte. Mein Leben war bis zu dieser Stunde kein mieser Serienroman, aber es drohte einem zu ähneln.

      Tom war der einzige Mensch, dem ich blind vertrauen durfte. Wir kannten uns seit vielen Jahren. Am Abend aßen wir Pizza in der Bar, die wir einigermaßen regelmäßig aufsuchten. Der herrliche Sonnentag hielt noch immer die meisten Städter in seinem Bann, entsprechend leer war das Lokal. Am Tresen saßen zwei Männer und zwei Frauen. Die Tische entlang der großen Fensterfassade blieben unbesetzt. Ich blickte die Regale empor, auf denen unzählige Flaschen Alkoholika standen. Manchmal hatte ich den Gedanken, sie in einem Anfall von Entsagung mit einer Maschinenpistole allesamt abzuschießen. Schaffte ich es, so stellte ich mir vor, sprang als Belohnung ein Kasper hervor, der die Nationalhymne sang. Oft schon hatte ich hier gesessen und mich sinnlos betrunken. Am nächsten Tag reute mich mein Gleichmut. Gab es keine Flaschen, gab es keine Reue.

      Wir erkundigten uns kurz über unser Befinden und redeten noch kürzer über Eve, als Tom einen Anruf erhielt. Ich setzte mich einen halben Meter weiter nach rechts, weil ich glaubte auf meiner guten Laune zu sitzen. Es half nicht. Meine Trägheit ärgerte mich und aus der Opferwelt war auch keine gekommen, die ich hätte erlegen können. In dieser Bar traf sich Mittelmäßigkeit. Freaks, Intellektuelle oder affektierte Szenegänger bevorzugten andere Orte. Die Töne, die der Barmann aufgelegt hatte, kannte ich nicht. Ich befürchtete Herzrhythmusstörungen. Jeder, der in der Bar arbeitete, durfte auch seine Musik spielen, was zur Konsequenz hatte, dass man sich Klängen ausgesetzt sah, mit denen das Personal die eigenen Schieflagen auf Kosten der Gäste auslebte. Ganz besonders schräg waren die Gegenwarts- und Vergangenheitsbewältigungen der lesbischen und schwulen Bediensteten. Nicht dass ich etwas gegen gleichgeschlechtliche Liebe hatte, nur manchmal hätte ich mir ein Machtwort der Geschäftsführung gewünscht, dass es an einer Stätte wie dieser zuallererst um das Wohl der Gäste ging. Zu oft schon hatte das tonale Selbstgebrannte der Boys und Girls an grobe Körperverletzung gegrenzt.

      Das puschelige Gehabe des schwulen Barkeepers stieß mich ebenfalls ab. Minuten vergingen, bevor er sich aufraffte, die wenigen Schritte zu uns zu kommen, um dem nachzugehen, wessen er da war, nämlich uns zu bedienen. Es gehörte zum Großstadtleben, dass viele ihr Glück nicht schätzten, dachte ich. Ich stellte mir vor, wie der arme Kerl einst um seine Neigung hatte kämpfen müssen. Jetzt war er anerkannt. Er hatte die alte Zeit vergessen. Für den Knaben in Lederhose und Muskelshirt war die freie Wahl der Liebe selbstverständlich geworden. Integriert und akzeptiert hatten heute viele dieser gleichgepolten Jungs eine Art Ignoranz, ja fast schon Arroganz entwickelt, vor allem mir gegenüber. Mit zickigem Benimm, wie selbst die eitelsten aller Weibchen kaum sein konnten, wiesen viele ohne jedes Wort jeden und jede, die oder den sie nicht mochten, auf die Absurdität der eigenen Sexualität hin. Dieses Exemplar verkappter Wahrnehmungen konnte froh sein, dass er in der Stadt lebte. Draußen auf dem Land würde er allenfalls an der Aldipresse stehen dürfen, demütigte ich ihn innerlich. Es war immer gut und angesagt zu wissen, wer man war und woher man kam, ganz gleich, in was und wen man eindrang.

      Ich hatte mich schon oft über das Dasein und die Lebensgewohnheiten schwuler Paare gewundert. In der Stadt gab es eine Straße, in dessen Umfeld Homosexuelle bevorzugt lebten. Rund um diese Lange Reihe dominierten Männer mit engen Hosen und raspelkurzen Haarschnitten. Sie hatten es geschafft, dem Stadtteil ihren Lifestyle aufzudrücken. Dass Lesben einen ähnlich gleich gesinnt bevölkerten Mikrokosmos besaßen, suchte man indes vergeblich. In der Regel blieben sie mit ihrer Frauenliebe dezent im Verborgenen. Nur am Wochenende strömten sie in die einschlägigen Clubs und frönten in atemberaubenden Outfits hemmungslos ihren Neigungen. Immer weniger kämpften öffentlich in militanten Outfits und unglücklichen Blicken für ihre Überzeugung. Selbst in den gleichgeschlechtlichen Beziehungen hatte sich also die allgemein so gepriesene selbstverständliche Anerkennung nicht durchsetzen können. Wahre Emanzipation war an allen Ufern noch längst nicht erreicht oder schon wieder verschwunden. Wer wusste das schon?

      Noch etwas war mir aufgefallen. Wenn ich allein oder in Begleitung einen Ausflug in dieses Tuckenviertel der Stadt unternahm, wie Tom diesen Ort boshaft bezeichnete, weil vielen der Jungs sein süßer Hintern gefiel, konnte ich reihenweise schwule Paare beobachten, die sich im Grunde genauso verhielten wie Heteros. Die Frau im Mann bemäkelte das letzte Bier, das er noch trinken wollte. Der Mann im Mann trug die Einkaufstaschen oder fuhr das Auto. Sie war es meistens, die ihren Kopf an seine Schulter schmiegte, um deutlich zu machen, zu wem sie gehörte und wonach ihr die Sinne standen. Er indes sah, wann immer es ging, geifernd verstohlen auf andere gestählte Körper, und stets gab es ebenfalls einen in jeder Partnerschaft, der seine Zärtlichkeiten intensiver auslebte, als dem anderen lieb war. In vielen Umgangsformen hatten Homopaare Aufgaben und Positionen genauso nach Stärken und Schwächen verteilt, wie Frauen und Männer das gemeinhin in herkömmlichen Beziehungen taten. Nur den Kinderwagen musste niemand schieben, was bedeutete, dass das Leben dieser dadurch so potenten Klientel vornehmlich auf der Straße und in Bars stattfand, so lange, bis einer von beiden eben doch einen Nachwuchswunsch äußerte und ein langer Kampf gegen Behörden und Beschränktheit um eine Adoption entbrannte. Normal war das alles ebenfalls noch lange nicht.

      Die Pizza in unserer Bar, die der Inder Herr Ping mit vermutlich bisexuellen Neigungen anbot, entschädigte wenigstens ein bisschen für die vielen Unzulänglichkeiten im sonstigen Service- und Dienstleistungsangebot. Jene Defizite wurden irgendwann einmal von den meisten Gästen ohnehin als Charme bewertet und schließlich als Selbstverständlichkeiten abgetan. Wir nahmen schlechten Wein dazu. Der schwule Barkeeper hatte uns auch damit nur widerwillig bedient, weil ihm die Anstrengung, eine neue Flasche zu öffnen, schon zu lästig war.

      Tom arbeitete als freiberuflicher Architekt. Gerade war er ohne Job und auf dem Sprung zu seiner ersten Exfreundin, die seit Jahren ein kleines Hotel auf einer griechischen Insel betrieb. Die langwierige Suche nach Angeboten billiger Flugreisen im Netz hatte ihn ermattet. Er hatte, als ich ihn nach dem Sinn seines Ausflugs gefragt hatte, erklärt, dass er Geld bei ihr geparkt hatte, wie er es nannte. Seine Leihgabe, die den Hotelbetrieb vor dem einstweiligen Ruin bewahrt hatte, was die Wahrheit war, wollte er nun zurück. Es war nicht sicher, ob die ehemalige Dame seines Herzens das Geld würde aufbringen können, entsprechend mürrisch war er. Ich bemerkte, dass er sie am Telefon ganz einfach danach hätte fragen können, doch Tom war nicht der Typ, Dinge derart banal anzusprechen. Er wollte sie wiedersehen, er wollte raus. Wir beide waren der Stadt müde geworden.

      Ich fragte ihn nach seiner neuen Bekanntschaft, einer Frau, die beim Springer-Verlag eine Führungsposition besetzte und die er in einem dieser angeblich so verheißungsvollen Internetforen kennen gelernt und deren Küche er gerade tatkräftig renoviert hatte. Dass jene Karrieristin in dem Taktwechsel der Nullen und Einsen ihr Heil suchte, wunderte mich nicht. Wer sich für diese Ganoven prostituierte, war gewiss abgestumpft und ausgesaugt. Eher schon irritierte mich Toms Auswahl per Mausklick. Doch ich behielt meine Zweifel für mich. Er hatte minutenlang sein Leid beklagt, das ihm das kniffelige Zurechtschneiden der Arbeitsplatte eingebracht hatte.

      „Und? Hat sie sich wenigstens anständig bedankt? Lass’ mich raten! Hat sie nicht. Natürlich nicht!“

      „Da wäre was gegangen. Aber warum sollte ich?“ Tom konnte so herrlich knapp sein. Er folgte einem simplen Prinzip. „Bevor du vögelst, hol’ dir lieber einen runter und denk’ darüber nach, ob du dich mit dieser Frau danach noch unterhalten willst!“

      „Kannst,” entgegnete ich.

      Tom wusste sofort, was ich meinte.

      Die Sonne hatte an diesem Tag die letzten Energiereserven meiner Aufmerksamkeit verbraucht. Im gegenwärtigen Wirrwarr meiner Gefühlslage setzte sich allmählich der Verstand durch. Der verlangte nach Ruhe. So lag ich an diesem Sonntagabend um zehn Uhr allein und nur mit mäßigem Alkoholkonsum im Bett, was in der Kombination aus Wochentag, Uhrzeit und Zustand das letzte Mal in Kindestagen vorgekommen war. Ein paar Minuten telefonierte ich mit Eve, die sich nicht erst mit ihrem Abflug in die Heimat von mir entfernt hatte. Der Verweis auf meinen erschöpften Zustand kam mir selbst vor wie ein Wunsch nach Verdrängen, doch auch die Frau an meiner Seite am anderen Ende der Welt hatte nur wenig zu sagen. Eine Kurzmitteilung