Matthias Rathmer

Solange sie schlief


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Äußeres verfügte, verminderte den Kreis erheblich. Die Chance, dass sie in schlechten Zeiten wie diesen nicht ausschließlich mit ihrem eigenen Fortkommen beschäftigt war, reduzierte die Menge erneut. Die Gefahr, dass sie nicht ähnlich frustriert war ihr Glück zu machen, dem Einen von Zehn von Hundert Männern zu begegnen, sortierte noch strenger aus. Die Chance, dass sie fröhlich war, meine Späße verstand, dass sie beim Sex Dominanz auslebte und dazu noch über einen tauglichen Kreditkartenrahmen verfügen durfte, machte die Sache nahezu aussichtslos, wenngleich Geld nur insofern wichtig war, nicht immer selbst und ständig die Rechnungen im Restaurant begleichen zu müssen.

      Der Ernüchterung meiner Aufrechnung folgte, dass jeder Barmann einen durchgeladenen Revolver zur Hand haben sollte, wenn man an seinem Tresen saß, dieses Ergebnis formulierte und sich deswegen die Kante gab, oder in der intelligenten Variante dieser Logik zur finalen Konsequenz bereit war, alles zu Geld zu machen, was man besaß, um ein One-Way-Ticket nach Tahiti zu kaufen. Aber wer war schon konsequent?

      Ich konnte einfach nicht von ihr lassen. Der Anblick auf ihren Liebreiz hatte immer schon eine Vielzahl von Begierden in mir ausgelöst. Eve war ohne Zweifel die Eine der Zehn von Hundert, wenn sie sich auf sich besinnen konnte. Stattdessen hatte sie sich verloren und ich musste mir Mühe geben, ihr dafür ernsthaft böse zu sein. Wer wie sie dermaßen an seinem Selbstwertgefühl zweifelte, hatte ich als Erklärung und Entschuldigung zugleich schon seit ein paar Monaten für mich klar, war zu einem gleichberechtigten Miteinander nur sehr beschränkt fähig. Wie ein altes Ehepaar saßen wir nebeneinander und hatten uns so wenig zu sagen. Zu zweit gehörten wir tatsächlich zu den Dummen und Blöden.

      Auf einer Raststätte in der Nähe von Bremen ging sie tatsächlich pinkeln und protestierte anschließend wortgewaltig minutenlang über die unerträglichen hygienischen Zustände, die ihr zugemutet worden waren. Dann nickte sie wieder ein. Zwei Stunden später lag sie zum letzten Mal in meinem Bett, wie ich mutmaßte. Ich hätte sie gerne geliebt in dieser Nacht, doch Eve verweigerte sich. Statt Leidenschaft floss Alkohol durch meine Adern. Ich setzte mich neben sie aufs Bett. Sie hatte ein Hemd von mir angezogen. Ihre Haut schimmerte mir an ihrem rechten Schenkel aus der Bettdecke entgegen. Eiswürfel klirrten leise mit jedem Schluck im Glas. Sie streckte mir ihren Hintern entgegen. Ihr Po allein schon war jeden Konflikt wert, doch sie unbeschwert zu lieben, sie spielerisch zu verführen, war zu einem Kraftakt verkommen, an dem mich zu verheben ich mehr und mehr gescheut hatte. Ich stellte mir plötzlich vor, wie Eve mit ihrer besten Freundin Karo über uns redete.

      „Mat hat damit angefangen, mich nicht mehr anzufassen, noch bevor ich mich zurückgezogen habe,” hörte ich sie klagen. „Ich bin sicher, dass er sich wünscht, dass ich die Initiative ergreife, aber es ist komisch. Ich denke einfach nicht daran. Die wenigen Male, wo mir danach war, war ich allein.“

      Rhythmisch schnaufte sie aus der Nase in die Nacht. Hörte ich genauer hin, röchelte sie leise. In ein paar Stunden machte sie sich davon und ich wusste nicht einmal, ob sie zurückkommen würde. Es war nicht viel, was ich wirklich hasste. Abschied gehörte gewiss dazu. Wieder schossen mir Bilder durch den Kopf, von damals, mit welcher Energie und Geduld ich mir fest vorgenommen hatte, dass Eve mich mochte. Der Reiz, gerade diese Frau erobern zu wollen, geriet zur Lebensaufgabe. Je unerreichter sie geblieben war, desto fahrlässiger war ich ihrer weiblichen Bedürftigkeit verfallen, desto mehr wuchs meine Begierde.

      Waren Frauen im Allgemeinen empfindlich und melodramatisch, Eve war es im besonderen Maße. Waren Frauen ihrem Wesen nach kompliziert, Eve war komplizierter. Bereits als ich sie zum ersten Mal sah, machte sie den Eindruck, dass sie mehr wusste oder wissen wollte. Nach außen gab sie sich natürlich. Sie war zurückhaltend. Vor allem aber war sie sich ihrer selbst bewusst. Sie wusste, was ihr Körper wert war. In ihrem Innern jedoch war sie in zahllosen, zeitlosen Klischees gefangen, die es trotz aller Triumphe weiblicher Revolutionen immer noch gab.

      Wir hatten es erstmals in der Stellung getan, wenn Frau kniete und ihm ihren Hintern entgegenstreckte, da klagte sie: „Ich komme mir so ausgeliefert vor. Deswegen stehe ich nicht so darauf.“

      Die Heiterkeit vieler Paare, gerade zu Beginn einer Partnerschaft, hatte sie nie entwickeln können.

      „Ich habe keine Lust, eine weitere Testfahrt zu sein,” hauchte sie mir gleich nach dem ersten Zungenkuss ins Ohr. „Du musst also sehr vorsichtig mit mir sein!“

      Ich hatte nur wissen wollen, mit wie vielen Männern sie vor mir zusammen gewesen war und angemerkt, dass man auch etwas über sich selbst lernen konnte, wenn man sich ausprobiert hatte.

      Erzählte sie über sich, hörte ich ihr interessiert zu und urteilte in meinen Gedanken, weil sie wie kaum eine andere auch zwischen zwei Sätzen zu hören in der Lage war, welchen Gehalt das besaß, was ich nicht sagte. Reichlich fehlgeleitet lebte sie nach einer großen Enttäuschung in dem Widerspruch, als hoffnungslose Romantikerin auf der Suche nach der wahren Liebe zu sein, redete sich aber gleichzeitig ein, dass sie keinen Mann brauchte, um sich komplett zu fühlen. Sex war für sie die Logik der Liebe.

      „Ist das so?“ fragte ich sie zurück. „Mir kommt es fast trügerisch vor. So wie die Aussagen, dass nur die Frauen für emotionale Reife, Zusammenhalt und Verständnis eintreten, sich viele in Wahrheit aber zu oft gegenseitig hassen.“

      Es war lange Zeit aussichtslos sich ihr zu nähern. Nach ihrer gescheiterten Liebschaft hatte Eve für sich das Maß erhoben, nur noch sich selbst zu lieben. Ihre Ängste und Zweifel, die sie besaß, wenn sie sich einem Mann neuerlich öffnete, hatte sie in ihren Hutschachteln verschwinden lassen. Stattdessen war sie verbiestert auf Krawall gebürstet.

      „Wenn sich Frauen auf sich selbst beschränken, kommen Lesben, Magersucht, Bulimie oder wöchentliche Therapiesitzungen dabei heraus,” hatte ich sie reizen wollen, als ihre Freundin sie in Hamburg besucht hatte und wir im Quartett gemeinsam Salat in sündhaft teurem Ambiente essen gewesen waren.

      „Ich jedenfalls habe mich entschieden. Die Männer sind doch alle gleich,” rechnete sie erstaunlich nüchtern ab. „Sie werden einzig von ihrem Trieb dominiert. Und ich habe mir vorgenommen, ihren Motor nie wieder in den Mund zu nehmen.“ Sie wusste sofort um die Unmöglichkeit ihrer Aussage, als sie zaghaft mit Koketterie zu korrigieren versuchte. „Na ja! Vorerst jedenfalls.“

      Ihre Einschränkung hatte zur allgemeinen Belustigung beigetragen, was nichts anderes bedeutete, dass drei Frauen bei Tisch reichlich albern gekichert hatten, obgleich sie heimlich von der eigenen, so himmlisch zarten und mannhaft zügellosen Verführung träumten, für die einfallsreiche und ausdauernde Fellatorinnen durchaus eine taugliche Stimulans waren. Frauen wie Eve neigten dazu, auch über das zu lachen, was sie nicht wirklich amüsierte, vor allem, wenn sie sich in der Gesellschaft ihrer vermeintlich verlässlichsten Verbündeten befanden.

      Wir hatten uns ins Dresden kennen gelernt. Dann und wann waren wir in Berlin und Hamburg zusammen unterwegs gewesen, ohne uns gegenüberzustellen, dem anderen in die Hose zu schauen, um erfreut festzustellen, dass es Unterschiede gab. Eve war stets unnahbar geblieben. Ich spürte ihre Unfähigkeit einen anderen in ihr Leben zu lassen. Sie befürchtete wohl, alles könnte noch komplizierter werden.

      „Warum redest du so wenig über dich?” fragte sie mich gleich am ersten Abend, als wir uns über den Weg gelaufen waren und ungewollt über die Unmöglichkeiten ihres verkoksten Freundes hatten sprechen müssen, der für mich der Antichrist jeden menschlichen Zusammenseins war.

      Ich stellte sie mir vor, wie sie allein da lag, in ihrem Bett, unter ihren paranoiden Einsichten litt, masturbierte und sich schließlich frustriert auf die Seite warf. „Ich kenne dich kaum. Ich bin mir noch unsicher, ob es gut aufgehoben ist, wenn ich von mir berichte.“ Ich hatte ihr augenblicklich angesehen, wie unzureichend meine Antwort für sie war.

      „Genau diesen Widerspruch meine ich. Frauen suchen den Tiefgang und Männer bauen Mauern auf. Der nächste Mann, in den ich mich verliebe, hat diesen Selbstschutz nicht mehr nötig.“

      Bis wir schwitzend und keuchend nebeneinander gelegen hatten, verging seit der ersten Begegnung fast ein halbes Jahr. In dieser Zeit hörte ich die komplette Klaviatur einer unsicheren Frau, deren Souveränität ein Opfer ihrer Ängste geworden war, die es seit der Zeit, als sie zur Frau greift war,