Matthias Rathmer

Solange sie schlief


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was meine Hirnwindungen herausbrachten, über die Auslöser, die mich erinnern ließen. Ich hatte mich gefragt, warum Männer Frauen brauchten, warum ich Eve brauchte. Brauchte ich Liebe und Geborgenheit um mich komplett zu fühlen? Frauen schenkten Leben, fiel mir als weitere, mögliche Antwort neben meiner Gedächtniskraft als Zurechtstutzer vermeintlich großer Herren ein. Taten sie das, waren sie etwas Besonderes, etwas Heiliges. Bis sie aber so weit waren ihrer Natur nachzukommen, und in Zeiten wie diesen war diese Bestimmung schon lange nicht mehr selbstverständlich, waren sie viel zu oft zu unausstehlich. Und waren sie Mutter geworden, war keineswegs ausgeschlossen, dass sie es nicht wieder wurden.

      Ich brauchte nicht lange um an die Formen zu denken, von denen ich schon immer angenommen hatte, dass sie grundsätzlich zu viel Platz in meinem Leben beanspruchten, ich mich aber dagegen nie ernsthaft gewehrt hatte. Ich war bei Sabrina, der Frau, die mir allein mit ihrer wohlgeratenen Weiblichkeit dermaßen den Kopf verdreht hatte, dass ich sie am liebsten angerufen hätte, um mich gleich hier mit ihr zu verabreden und das zu erkunden, was ich noch nicht von ihr wusste. Doch statt mich darauf zu freuen, was mich, wann auch immer, erwartete, haderte ich, je länger ich über sie nachdachte.

      Sabrina war, so wie ich sie bislang gesehen hatte, keine Ausnahme wert. Das Ziel stand unausweichlich fest. Es ging mir einzig darum, diese Frau zu erlegen. Es ging um den Zahlenstrich auf meiner Flinte, es ging um den Kopf für meine Trophäensammlung. Um nichts mehr ging es. Es ging mir darum, eine schöne Frau zu erobern, die möglicherweise auch noch dominant im Bett war. Es ging mir darum, einen Trost als angemessenen Ersatz für die Frau zu finden, die dabei war sich von mir zu trennen. Ich wollte mich in zeitgemäßer und allseits ausgelebter Qualität neu verlieben, um der alten Liebe und ihrer reichlich antiquierten Enge zu entkommen.

      Das Resultat meiner Überlegungen war bitter. Rang ich mit diesem großen Gefühl, und zu diesem Zeitpunkt rätselte ich gewaltig über meinen emotionalen Zustand, verachtete ich im Grunde die Frauen. Einzig eine schöne Frau wie Sabrina war mir genehm. Je mehr Makel eine Frau besaß desto weniger Wertschätzung, desto weniger Respekt, desto weniger Vorsicht, desto weniger Scham. Und je weniger von alledem desto ordinärer, subtiler und wilder waren die intimen Momente mit ihnen, austauschbar, verachtend und mitunter doch so erfüllend. Julia war der letzte Beweis dafür gewesen. Ich brauchte Frauen wie Sabrina, die mich vor dem völligen Absturz bewahrten, regelmäßig auf fremden Körpern zu übernachten. Ich brauchte sie als Bremse für meine Triebhaftigkeit.

      Maria arbeitete an diesem Abend als Kellnerin auf der Terrasse. Sie war Polin. Sie hatte ein hübsches Gesicht, kleine Brüste, ein unvorteilhaftes Hinterteil und Stummelbeinchen. Verlorene Blicke auf sie brachten mich in die Zeiten zurück, bevor ich mit Eve zusammengekommen war.

      Ich erinnerte mich an eine Nacht mit Ewa, einer Landsfrau von ihr und Fotografin. Wir landeten vor Jahren auf ihrer Ledercouch, nachdem sie Champagner und Häppchen gereicht hatte. Von einer Bekannten wusste ich, dass ihre Brüste gemacht waren. Das allein war der Reiz gewesen, zu erfahren nämlich, ob der Arzt seinen Job ordentlich erledigt hatte oder nicht. Er hatte.

      Die Flut von Begegnungen und Bildern in meiner Gedankenwelt, die einen ähnlich sinnentleerten Umgang mit dem anderen Geschlecht enttarnten, war nicht mehr zu stoppen. Ein Schwergewicht von Frau stampfte vor meiner Nase die Terrasse entlang. Für übergewichtige Menschen hatte ich wenig Verständnis. Dicke Weiber erzeugten in mir so wenig Begierde. Sie erinnerte mich an eine andere Frau, die ich vor Jahren in einer Bar getroffen hatte. Wir unterhielten uns und tranken reichlich.

      „Du kannst mit zu mir, aber nur, wenn du dich auch um meine Freundin kümmerst,” meinte sie nach der letzten Runde Tequila. „Uns gibt es nur im Doppelpack.“

      Ihre unästhetisch dralle und ungepflegte Freundin mit einer dicken Warze auf der Wange saß zwei Tische weiter und grinste wie ein Honigkuchenpferd herüber. Sie spielte mit einem alten Mann Backgammon.

      „Also was? Kommst du?“ wollte sie tatsächlich wissen.

      „Nee, ich gehe jetzt!“ Als ich die Bar verlassen hatte, stürzte sie mir nach und beschimpfte mich aufs Übelste.

      Ein anderes Mal feierte ich Karneval, was hoch oben im Norden der Republik grundsätzlich schon schief gehen musste. Ich traf eine Frau und nahm sie mit zu mir. Schon auf dem Weg nach Hause lag sie mit blankem Hintern auf einer vereisten Motorhaube. Am Morgen stieg sie in ein Taxi um zur Arbeit zu fahren. Wochenlang hing nach unserem mäßigen Akt eine Art Fahndungsschreiben an der Tür der Kneipe, in der ich den Narren gegeben hatte. Ich, eine aufregende Nachtgestaltung, sollte mich unbedingt melden. Sie hatte vergessen, wo ich wohnte, wer ich war und wie ich hieß. Während ich gedacht hatte, die Dame würde sich schon wieder beruhigen, hingen noch ein halbes Jahr später weitere Suchblätter an den Laternenpfosten der Straße. Sie suchte nach mir wie andere nach einem entlaufenen Kater.

      In einem Bilderrausch schlugen unaufhörlich weitere peinliche bis dämliche Begebenheiten vor meinen Augen ein. Eine Halbtürkin knatterte mir einst als rassige Motorradbraut entgegen. Ich drehte um und fuhr ihr nach. Ich legte einen Zettel mit meinem Namen und meiner Telefonnummer auf ihren Sitz. Sie rief an. Wir trafen uns, gingen essen, tranken reichlich und taten es auf ihrer Maschine, die sie stets mit in ihre Erdgeschosswohnung nahm. Als die Karre in einer der folgenden Nächte zu Boden fiel und ich mir einer Alleinschuld so wenig bewusst war, hetzte sie mir ihren Papa, einen Rechtsanwalt, auf den Hals.

      Zwei Frauen traf ich eine ganze Weile regelmäßig. Sie waren reichlich unanständige Kindergärtnerinnen und liebten es vor allem, wenn sie beide gleichzeitig von einem Mann gefickt wurden. Eine von beiden kam erst immer dann so richtig aus sich heraus, wenn sie mich schlagen durfte oder mir ihre Titten links und rechts durchs Gesicht schleudern konnte. Was sie mit ihren Aggressionen anstellte, wenn die Kleinen sie gehörig geärgert hatten, erinnerte ich mich an eine Frage, die mich beschäftigt hatte.

      „Ich knall’ ihnen eine! Was sonst?“ antwortete sie und verzog mit Teufelskälte in ihren Augen keine Miene.

      Eine Immobilienmaklerin entpuppte sich als Meisterin oraler Sexpraxis. Nahm sie ihn in den Mund, erzählte sie anschließend, wie sie als kleines Mädchen zusammen mit ihrem geschiedenen Vater häufig Eis geschleckt hatte, wenn sie ihn besuchen durfte. Kam ich zwischen ihren Lippen, rannte sie auf die Toilette und spuckte mich aus. Dann weinte sie und klagte, wie schlecht sie doch war ihren Freund zu betrügen, weil sie seinen schrumpeligen Schwanz nicht mochte.

      Der Zug meiner Leiden, und nichts anderes waren diese Treffen in Wahrheit gewesen, nahm weiter an Fahrt auf. Tausende, zehntausende von Frauen probierten sich rege an den Schwänzlein-wechsel-dich-Spielchen in meiner Stadt aus, obgleich es so gar nicht zu ihrer Persönlichkeit passte. Sie gaben sich gebildet, interessiert, sie flirteten und testeten Grenzen. Sie gaben sich mondän und erfahren. Lernte ich ihr kleines, notdürftiges Leben aber nur ein bisschen kennen, entpuppten sich erschreckend viele als überdreht, zerbrechlich und psychotisch. Sie bezahlten horrendes Geld um ihr Aussehen aufzupeppen, weigerten sich aber über Wochen die eigene Klobrille zu reinigen. Kam es richtig schlimm, waren einige ohne fremde Hilfe nicht wirklich lebensfähig.

      Meine Erlebnisse lagen in Teilen weit zurück, versuchte ich mich zu beruhigen. Es half nicht. Ich durfte annehmen, dass Frau von heute bestenfalls ähnlich war, wenn sie wollte, dass sie krankhafter, vor allem neurotischer, geworden war, wenn auch Julia aus ihrer Mitte stammte, dass sinnentleertes Ficken mittlerweile so selbstverständlich zu ihrem Leben gehörte wie Dauerdiäten und ein Smartphone, um jederzeit die erträglichsten Penisgrößen an ihre Freundinnen zu twittern.

      Mehrfach hatte ich mich damals mit Melanie, einer freien Künstlerin, getroffen. An einem Abend waren wir hinunter zur Elbe gefahren. In ihrer Geilheit beklagte sie, dass sie ihre Tage hatte. Sie versuchte sich an Oralverkehr, doch so misslungen, dass ich die Lust verloren hatte. Als wir zurückgingen, lag ein völlig zugekifftes Mädel auf einem der Tische des benachbarten Lokals. Sie versuchte ihren Begleiter, der neben ihr stand, mit der Hand zu befriedigen. John, wie er seinen Kampfnamen mitteilte, war so betrunken, dass er, in sich zusammengesackt, im Stehen schlief. Melanie forderte mich auf die Kleine zu nehmen. Die Kleine forderte mich auf sie zu nehmen. So geschah es. Sie stolperte mir nach und gab mir ihre Telefonnummer. Olga hieß sie. Ich traf sie über ein Jahr lang. Wenn Melanie danach war, schaute sie uns zu. Ihrem