grenzenlosen Narzissmus’, und nur die Selbstbefriedigung machte sie bei aller Selbstliebe auf Dauer unzufrieden, weswegen sie in die Unterwelt der Schwänze abzutauchen bereit war, in der Überzeugung, einzig für ihre Geilheit einen Mann zu brauchen. War Frau nicht schlau und lebte sie die alten Traditionen unwissend weiter, gehörte sie in die Rubrik der Dummen und Blöden und war vielleicht glücklicher. Wer wusste das schon, wenn sie sich selbst nicht einmal erklären konnte.
Eve war wie viele, viele Frauen waren wie Eve. Sie traten selbstbewusst auf und lächelten in die Runde. Doch in Wahrheit bestimmte sie eine innere Kopflosigkeit. Jedenfalls diejenigen, die der Reflexion fähig waren. Grundsätzlich, so erinnerte ich mich an die Autofahrt mit Eve zurück, als ich ihr den genialen Ausspruch meines Englischlehrers vorgelegt hatte, kam das Verhalten von Frauen meiner formulierten Allgemeingültigkeit gleich. Je intensiver der Mensch in der Lage war seinen Verstand zu nutzen, desto schwieriger hatte er es. Dieses Dilemma verband alle für immer, selbst Frauen und Männer. Weil es aber weitaus mehr dumme Männer gab, und selbst nur wenige der Einen der Zehn von Hundert diesen Rollentausch registriert geschweige denn verinnerlicht hatten, bestrafte Frauchen von heute diese Dummheit ausgerechnet mit der Rolle, in der sie einst so gelitten hatte, und weil das sozialere Wesen Frau seit jeher den Tratsch gewohnt war, sprach sich diese Entwicklung schneller herum, als Männer denken und zuhören konnten.
Es brauchte keine öffentlichen Demonstrationen oder Diskussionen mehr. Schleichend hatten die Frauen in den letzten Jahrzehnten mit jedem noch so kleinen Gespräch ihre Machtübernahme von Mund zu Mund in die Welt getragen. Sie konnten ficken, wann immer ihnen danach war, auch wenn es nur zu wirklich wenigen passte, sich derart billig und würdelos zu verschenken. Das Lauffeuer dieser Befreiung war entflammt, so wie einst die Fackeln in den Höhlen lodernd gebrannt hatten. Vielleicht war es Rache für vielerlei Entbehrungen, vielleicht war es raffiniert. Doch glücklich machte es nicht. Niemanden.
„Wie war es für dich?“ hörte ich Eve in meinen Erinnerungen fragen, als wir uns das letzte Mal geliebt hatten. Es war an einem Sonntag gewesen, der fast sechs Wochen zurücklag.
„Unbeschreiblich!“ hatte ich ihr im Ausklang von Erregung geantwortet und hätte besser meine Klappe halten sollen.
„Du kannst nicht sagen, wie es für dich war?“
„Es war toll!“
Eve saß augenblicklich aufrecht im Bett. „Kannst du vielleicht ein bisschen deutlicher werden? Nur ein kleines bisschen.“
Ich lächelte sie an, schwieg und streichelte behutsam ihre Brüste. Noch bevor ich meine Gedanken hatte ordnen können, erhielt ich die Quittung für meine drei Verfehlungen.
„Dann eben nicht!“ Eve stieg, enttäuscht von meiner Wortlosigkeit, aus dem Bett, ging ins Bad, wusch mich von ihr ab und nahm angezogen wieder Platz.
Da war er wieder, einer dieser Konflikte, der nicht wirklich einer war. Und es war an mir, das zu sagen, was mein Lächeln bereits erzählt hatte. „Es war wie in einen See von Sinnlichkeit einzutauchen. Ich denke nicht. Ich fliege. Befreit. Ich schwimme. Schwerelos. Dann und wann schaue ich zur Seite. Ich halte dich an deiner Hand. Und du hältst mich. An deiner Hand.“ Beweiskräftig drückte ich ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn.
„Besser. Viel besser. Es geht doch!“ Ihre Laune hellte auf. Sie zog sich wieder aus und schmiegte sich an mich.
Für Eve war unser Sex mit dem ersten Mal Anlass, noch mehr Ängste zu entwickeln. Sie befürchtete, dass ich sie, weil ich bekommen hatte, was ich wollte, nach kurzer Zeit als erlegt wieder abhaken könnte. Sie dachte, dass Sex das Ende von Romantik war. Weil ich ihren Hintern gesehen hatte, hielt sie dauerhafte Liebe für aussichtslos. Nach ein paar Orgasmen hatte sie, wie sie später eingestanden hatte, ihren Verstand innerhalb weniger Tage verloren. Sie rotierte. Sie hinterfragte ständig sich selbst. Sie war empfindlich und ausgesprochen melodramatisch geworden.
„Süße! Hätte ich gewusst, dass du heute schon kommst, hätte ich mich nicht selbst befriedigt.“
„Du hast was?“ Eve saß erneut aufgebracht im Bett, als ich ihr, ganz selbstverständlich und eher beiläufig, also erneut unvorsichtig, eine für die meisten Menschen gewöhnliche, sexuelle Praxis mit sich selbst eingestanden hatte. „Wie oft tust du das?“
„Wann immer mir danach ist.“
„Puh! Also ziemlich oft! Oder? Ist doch so, oder?“
Mit meinem Bekenntnis war Eve tief verletzt. Sie argwöhnte, mich nicht befriedigen zu können. Daraus entwickelte sie weitere Ängste, dass ich sie betrügen und letztlich verlassen könnte. Jede einigermaßen attraktive Frau war plötzlich schöner als sie und damit als Konkurrentin eine echte Gefahr. Es war sinnlos ihr zu sagen, dass ich, wenn ich masturbierte, ausschließlich an sie dachte. Sie sah die blonde Studentin, die jünger war als sie, größere Brüste besaß und geiler war beim Sex. Sie sah die langen Beine, die sich in meinem Bett räkelten, wenn sie nicht da war. Sie sah die Schlampen, die mir das Gehirn aushängen konnten, sie sah die Huren und Flittchen, die mir zu zweit ihre Ärsche vorhielten. Die Offenbarung, dass ich diese und andere Frauen hatte, bevor ich mit ihr zusammengekommen war, wäre der Auslöser für eine entfesselte Zornrede gewesen, in deren Verlauf Eve meine komplette Wohnung verwüstet hätte.
„Machst du es dir nie selbst? Ist doch ganz normal, wenn wir uns nicht sehen und dir danach ist.“ Ich war auf ihre Antwort allein insofern gespannt, welches Ausmaß sie artikulieren würde.
„Ich... na ja! Ich habe immer das Gefühl, dass mir mein Vater dabei zuschaut,“ hatte sie herumgedruckst.
„Es würde ihm bestimmt gefallen.“
„Mat! Du spinnst!“ sprach sie immer öfter in meiner Rückschau, als mir lieb war. Jeder Versuch, sie davon zu überzeugen, dass ihr Vater ein Mann war und sich aus Feigheit schwer damit tat, seiner Tochter Wahrheit mitzuteilen, weil er das seiner Frau zu überlassen für angebrachter gehalten hatte, war aussichtslos.
Im Supermarkt, wie mich eine andere Auseinandersetzung beschäftigte, trafen wir eine Frau, mit der ich vor langer Zeit eine Nacht verbracht hatte. Eine Begegnung war sie, nur eine, und mir fiel nicht einmal mehr ihr Name ein.
„Es war belanglos. Wir hatten Spaß. Es ist schon so lange her,” hob ich, frei von jedem Muss lügen zu müssen, beide Hände.
„Warum wart ihr dann zusammen?“
„Ich weiß es nicht mehr. Es ist nicht wichtig. Du bist mir wichtig.“
„Mat! Warum öffnest du dich nicht? Warum kannst du nicht einfach erzählen, was mit ihr damals war?“
„Das habe ich.“
„Ich glaube dir nicht. Wenn es so war, dann bist du reichlich oberflächlich. Und das finde ich schlimmer als...“
„Es ist völlig belanglos. Es ist aus, vorbei und lange her. Außerdem. Als ich mich dir das letzte Mal geöffnet habe, hast du es deinen Freundinnen auf der Toilette einer Bar erzählt.“
„Ich konnte nicht wissen, dass du auch auf dem Damenklo gewesen bist.“
Es war ohne Bedeutung gewesen. Ich hatte Eve lediglich gebeichtet, dass ich es gerne mochte, wenn sie ohne Höschen unter ihren Röcken aus dem Haus ging, so es das Klima zuließ. Dass ich Zeuge einer Diskussion in epischer Breite über eine meiner Vorlieben geworden war, weil die Pissbecken auf der Herrentoilette defekt gewesen waren, ärgerte mich nicht wirklich. Einhellig waren die Mädels auf meiner Seite. Bis auf Eve.
War ich müde und setzte ich Eve in ihrer Lust zurück, was vielleicht ein halbes Dutzend Mal vorgekommen war, quälten sie Vermutungen.
„Erinnere ich dich etwa an deine Mutter?“
Eves Geheimnis lag in der Hierarchie ihrer Ängste. Und jede Enttarnung ihrer Verschüchterung hatte zur Folge, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob sie mich für ein erfülltes Leben brauchte.
Geliebte. Eve verhielt sich mir gegenüber wie eine Geliebte. Was für ein antiquiertes Wort, dachte ich, als ich es zum wiederholten Male in allen Tonlagen ausgesprochen