Matthias Rathmer

Solange sie schlief


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von einem grazilen Frauenbein heruntergerollt wurde. Ihm haftete bisweilen ein gefährlicher Beiklang an und regte in mir geheimnisvolle Fantasien über eine schöne Unbekannte an, die stets im Halbdunkel blieb und mit Kamelien im Haar längst vergangenen Epochen entstammte. Ihr Schicksal in diesen Zeiten war es, Opfer zu sein. Anna Karenina und Effi Briest hatten für diese Rolle immerhin mit dem Tod bezahlen müssen. Die intelligenten Frauen von heute waren zweifelsfrei Täter geworden. In ihrem Beruf waren sie einigermaßen erfolgreich, finanziell also unabhängig. Sie brauchten keine alten Strukturen für ihr Lebensglück, keinen schrägen Alltag mit ihm, keine schmutzige Wäsche, kein Schnarchen und keine üblen Launen. Sie brauchten keinen Partner, der seine Defizite auf ihre Kosten auslebte.

      Traf sie sich mit ihrem Lover, waren beide stets frisch geduscht, munter und in bester Stimmung. Dass der Umgang ohne Alltagstrott eine fast heimliche Qualität besaß, war eher eine Bereicherung als Verfehlung, zumindest am Anfang. Die Heimlichkeit befeuerte die Leidenschaft. Die Liebenden sperrten Weltgeschehen und Hamsterräder gleichermaßen aus, was sie noch inniger werden ließ. Die scheinbare Grenzenlosigkeit machte ihren Umgang immer intensiver. Alles war möglich, weil sich nichts an Wirklichkeit rieb, auf- und erregende Orte für die gemeinsamen Treffen samt Erkundung sexueller Vorlieben eingeschlossen. Das Zusammensein durchlief nie den Praxistest. Und beide Liebenden fühlten sich so jung wie zu ihren Jugendtagen, als sie ihre erste große Liebe vor den Eltern zu verheimlichen versuchten. Zweifelsohne war mit der Damenwelt aktueller Zeitrechnung ein neuer Typ Frau entstanden.

      Patsch! Das Schwergewicht war soeben in das Kinderschwimmbecken gesprungen. Immer noch schwappten kleine Wellen über die Kacheln. Tatsächlich! Sie posierte mit ihren Pfunden. Ich verfolgte den Gang einer jungen Mutter, die ihr Kind aus dem Kinderbecken gefischt hatte. Sie hatte die Geburt ordentlich überstanden. Ich fragte mich, mit welchem Mann sie wohl zusammen war. Mir gefielen ihr kleiner Hintern und ihre langen Beine. Als sie an mir vorbeischritt, lächelte sie mich an. Jetzt erst erkannte ich sie an ihrem Bikini. Ihre anregende Figürlichkeit durfte ich bereits im Schwimmbecken bewundern. Ihr Blick verriet mir, dass sie ahnte, auf was ich geschaut hatte. Sie schmunzelte. Eine ganze Weile stand sie ein paar Meter von mir entfernt und wog ihr Baby hin und her. Dann kam Papa. Der Kerl war einer Freakshow entstiegen. Er sah aus, als hätte er einen Fußball verschluckt. Für ein bisschen Geborgenheit hatte sich diese Frau verkauft, dachte ich. Waren es wirklich nur die dummen Frauen, die weiterhin in der alten Rollenverteilung lebten und nach der vermeintlichen Sicherheit suchten, die ihr ein Mann bieten konnte?

      Ich hatte es weitgehend mit den Töchtern der Emanzipierten zu tun. Mehr noch als ihre Mütter standen sie angeblich ach so erfolgreich und unabhängig mitten im erfüllten Leben. Tatsächlich waren sie nicht mehr als ein Produkt der Individualisierung, mit dem wesentlichen Merkmal im Leib häufig unfähig zu sein eine taugliche Bindung einzugehen. In einer Zeit, die längst keine Tabus und Geheimnisse mehr kannte und in der sogar die Besucher eines Swingerclubs vor Langeweile gähnten, war es für eine Frau noch nie so einfach, einen entsprechenden Idioten für diese ihre vermeintlich erstrebenswerten Ideale zu finden. Ein Mann reichte für eine Nacht, auch wenn der Sex schlecht war. Brachten sie eine normale menschliche Kontaktaufnahme nicht auf, kriegten selbst die ein paar Tastenbefehle zu den entsprechenden Internetportalen hin, die bei der mehrstündigen Übung eines Automobilclubs zum zügigen Einparken schon zum dritten Mal durchgefallen waren. Ich musste meinen Zynismus zügeln, denn ich war ja schließlich häufig genug ein Teil ihrer neuen Welt gewesen. Sie ließen mich in ihre Betten und mehr, um anschließend unverzüglich die Laken zu wechseln.

      Noch nie gab es so viele Frauen, die mit Anfang dreißig geschieden waren oder eine längere Beziehung beendet hatten. Dafür gab es gute Gründe. Frauen waren grundsätzlich von dreißig bis Mitte dreißig sexuell auf dem Höhepunkt ihrer Triebe. Ihr eigenes Einkommen waren dazu Unabhängigkeit und Segen zugleich. Wurden sie von ihm enttäuscht, inszenierten sie fortan ihr Begehren, ihre Lust zu leben und dabei wenig zu geben, mit zunehmendem Kalkül. Zu oft schon hatten sie den schmerzhaften Prozess des Sich-Entliebens bereits entweder selbst erlebt oder davon gehört und gelesen, als dass sie bei ihrer neuen Partnerwahl an die heilende Kraft der ewigen Liebe glauben konnten.

      Waren Frauen früher brave Hausmütterchen, die ihren Status schweigsam erduldeten, erbrachten die verzogenen Weiber von heute allenfalls Opfer dann noch auf, wenn sie die Drinks an der schummrigen Bar zahlten. So lange, wie der Typ an ihrer Seite von Nutzen war, genossen sie in vollen Zügen. Begannen sie zu leiden, beendeten sie das Verhältnis, bis das Spiel von vorn startete, den Fluch ihres vermeintlichen Heils immer noch ignorierend. Was machte es auch? Angebot und Nachfrage bildeten einen schier unerschöpflichen Markt. In den Großstadtstuben regierte die Einsamkeit. Ein Besinnen war unmöglich geworden. Auf was auch? Die Geister unserer Zeit forderten ihren Preis. Einmal gerufen, spukten sie in Köpfen und Seelen herum und ließen nicht mehr los. Der schleichende Identifikationsverlust machte Frauen kurzfristig zu berechnenden Wesen. Jede schonte sich selbst, jede schonte die Welt. Alle gingen den Weg des geringsten Widerstandes, denn war das große Glück nicht mehr zu schaffen, hielt man wenigstens für ein paar Augenblicke eine kleine Zufriedenheit in Händen. War der Fick gut, durfte ich wiederkommen.

      Meine Synapsen arbeiteten unaufhörlich auf Hochtouren. Ich war mit den Folgen der Folgen der Folgen der Frauenbefreiung groß geworden, ohne zu wissen in welcher Phase ich mich gerade genau befand. Bis zum heutigen Tag wussten es die Frauen vermutlich selbst nicht. Seit mehr als fünfzig Jahren war alles aus dem Gleichgewicht geraten, ohne dass ein neues Maß für ein taugliches Miteinander gefunden worden war. Jeder schlug auf jeden ein. Männer und Frauen waren gleich schlimm und gleich verloren geworden. In der Zeit nach den Müttern des Feminismus’ war nur eins geschehen. Die Nachkommen der Revolution hatten sich das Schlimmste von den Männern abgeschaut und lebten sich genauso laut wie sinnentleert aus. Jede Beschwörung, die Waffen endlich niederzustrecken, gleich aus welchem Lager, verpuffte wie ein seichter Furz ins sündhaft teure Höschen.

      „Man sucht sie sich immer selbst aus,” meinte Tom einmal zu mir, als wir uns die Frage gestellt hatten, ob eine Frau überhaupt noch in der Lage war, wenigstens ein bisschen Seelenheil für einen zu sein. Und vor allem womit?

      „Sie sind alle so,” erinnerte ich meine Antwort. „In Wahrheit sind sie alle irgendwie unglücklich und strahlen doch vor Glück. Das ist ihre wahre Hinterlist.“

      „Sag’ das mal meiner Mutter,“ bemerkte Tom zurück.

      Die Feministinnen von einst hatten es zur Ideologie erhoben. Niemand brauchte einen Vater. Die Töchter der ersten und zweiten Welle dieser fatalen Selbstsucht, mit denen ich es seit Jahren zu tun hatte, litten ihr Leben lang unter diesem Entzug. Ihr Mehr an Freiheit hatte ihnen tatsächlich den Verlust von Sicherheit beschert, weil sie sich keinem Mann anvertrauen konnten. Ihnen hatte der Vater gefehlt, ein fürsorglicher Blick, eine verlässliche Größe. Mamas ständig wechselnde Liebhaber konnten diese Kinderwunden nicht heilen. Jetzt folgten sie, unzufrieden mit sich selbst, einem Stylingtipp nach dem anderen, frei nach dem Motto: „Du brauchst keinen Mann. Nur eine neue Frisur.“ Dazu. Noch nie fühlten sich so viele junge Frauen zum eigenen Geschlecht hingezogen wie in dieser Zeit. Oft lebten sie in einer „offenen Beziehung“ miteinander. Fragte man sie nach ihrer Kindheit, hatten sie fast ausschließlich die Scheidung ihrer Eltern hinter sich gebracht. Die Frauen, die es mit einem Mann versucht hatten, lasteten obendrein ihre eigene Unzulänglichkeit oftmals ihrem Partner an. Gerne auch öffentlich. Das Pendel der Befreiung schlug unbarmherzig zurück. Männerhass war in. Der Sündenbock war stets der Ex. Es war gleich, ob sie verheiratet gewesen waren oder eheähnlich zusammengelebt hatten, ob sie Kinder hatten oder nicht. Nie waren sie wirklich glücklich.

      Viele Frauen in meiner Stadt hatten sich verrannt und verloren, und keine konnte sagen, wann genau das geschehen war. Neurotisch, psychotisch oder verängstigt. Alle waren auf dem Weg, doch keine kannte das Ziel. So waren sie ganz grundsätzlich, die Frauen. Problemorientiert aber so wenig zielgerichtet in ihrem Handeln. Ihr soziales Quaken verlor sich in mangelnder Umsetzung. Dazu vermisste ich eine gesunde Portion Selbsteinschätzung, die nämlich der Erkenntnis, dass die Enttäuschungen vieler Frauen ihre Erwartungen an die Männer in die Höhe schraubten, denen sie oft genug selbst nicht gerecht wurden. Gleichzeitig aber war ich mir sicher. Bei allem, was war und sein würde, blieb unbestritten, dass alle insgeheim die Sehnsucht und Hoffnung in sich trugen,