Matthias Rathmer

Solange sie schlief


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und konsequenter. Sie mochten ein gehaltvolles Gespräch, eine zärtliche Stunde aber eben auch einen echten Kerl an ihrer Seite, vor allem beim Sex. In ihrer Erotik waren Frauen um Längen fantasievoller und ausgeprägter. Sie träumten von der Verführung genauso wie von den Schlägen auf ihre Ärsche, solange sie unterhalb der Schwelle einer groben Körper- und Seelenverletzung lagen.

      Die Mehrzahl der Typen war für diese Herausforderung einfach nicht locker genug, nicht sensibel genug, um gleichzeitig souverän zu bleiben, wenn sie es denn jemals waren. Ich konnte über viele Männer einfach nur lachen, wenn ich sie, gleichgültig ob zufällig oder beabsichtigt, in ihrem Umgang mit den Verlorenen beobachten konnte, doch nicht, weil sie mit den Frauen ihre ständigen Kämpfe austrugen, sondern weil sie es mir mit ihrer Einfältigkeit einfach einfacher machten. Dabei war mein Geheimnis, den Willen von Frauen zu brechen, genauso simpel wie menschlich. Das Einzige nämlich, was Menschen und vor allem Frauen nicht manipulieren konnten, war der Augenblick. Viele fühlten sich entblättert und gerieten unsicher, schaute man ihnen nur lange und tief genug in ihre Augen. Hielten sie diesen Blick, hatten sie meistens verloren, waren sie mir früher oder später erlegen. Dann fing ich sie verständnisvoll auf, und schon fühlten sie sich wieder geborgen und teilten mit, wie sehr sie den Eindruck hatten, einen schon seit langer Zeit zu kennen. Wie oft ich das schon gehört hatte, konnte ich wirklich nicht mehr zählen. „Schau’ mich bitte nicht so an!“ Bemerkte ich darauf, dass es mir ein wunderbares Geschenk wäre, wenn sie zulassen könnte, durch ihre Augen in ihr Innerstes zu gleiten, um Seele in ihr werden zu wollen, floss sie förmlich davon, um sich wenig später so schnell wie möglich wieder zu verabreden, oder sie wollte gleich.

      Eine ganze Stunde war ich mit meinen Gedanken hitzig und grollend durch die Wohnung gelaufen. Nun reichte es. Genug war genug. Ich hatte Tom abgesagt, der zum Frühstücken in die Bar wollte. Ich hatte vergeblich versucht Eve zurückzurufen, die sich erstmals nicht in der Nacht gemeldet hatte und resümierte allmählich eine andere Feststellung. Es war, wie es immer gewesen war. Niemand war da, dem ich mich in meiner Stimmung hätte anvertrauen können. Niemand war da, der tatsächlich helfen konnte.

      Die Abgabe des Drehbuchs stand an. Doch meine Geschichte hatte mir jede Fantasie genommen. Ein Werk Nietzsches fiel mir am Schreibtisch in die Hände. Von ihm hatte ich erfahren, wie wichtig die Kindheit war, die ersten Erlebnisse mit Geborgenheit und Liebe. Sie prägten ganz entscheidend das Sexleben eines Menschen. Ich hatte eine glückliche und unbeschwerte Kindheit, doch die Erinnerungen daran waren zu blass, als dass sie jetzt eine Hilfe waren, ganz abgesehen davon, dass ich eine Psychoanalyse für übertrieben hielt.

      Die allgemein öffentlich zugänglichen Abhandlungen über die eklatanten Disharmonien zwischen Frau und Mann hielt ich für eine Farce. Ihren Erfolg hatte ich schon immer als bedenklich empfunden. Meter an Meter reihte sich der anmaßende Schund von Lebens- und Beziehungsratgebern, mit denen sich Kasse machen ließ. In der Regel schrieben Frauen für Frauen. Phrasierten sie für die Kerle, damit sie lernen sollten, was das sensiblere Wesen so bewegt, war jede Objektivität endgültig dahin. Die Raffinessen einer Frau brachten Ruhm und noch mehr Geld, während die Wahrheiten der Männer auch deswegen verkannt blieben, weil die Autorinnen statt taugliche Erfahrungen oft nur verträumte Vorstellungen besaßen. Häufig waren ihre Werke dazu mit einer Komik versehen. Mir war aber nicht komisch zumute. Die Sache war ernst. Menschen neigten dazu, komisch zu werden, wenn der Verstand nach Erklärungen verlangte, die keiner geben konnte.

      Alle meine Überlegungen reiften zu einer Konsequenz. Ich hatte mich erinnert und gleichzeitig eine Vorstellung von der Zukunft. Die meisten Menschen folgten, vertraute ich dem Kern meiner Gedanken, im Umgang miteinander mittlerweile einer fast niederträchtigen Berechnung. Sie lebten sich auf Kosten anderer aus. Längst schon begegneten sie sich nicht mehr selbst. Im Guten einten sie allenfalls ihre Sehnsüchte und Wünsche. Die Vermutung lag nahe, dass auch Sabrina ähnlich angestochen oder angezählt durchs Leben ging, in Nuancen differenzierter vielleicht oder, lief es schlecht, möglicherweise sogar ausgeprägter. Entweder ließ ich sie unbehandelt oder ich trat ihr so ganz anders gegenüber.

      Sabrina! Wer immer sie auch war. Diese Frau hatte es verdient, einen authentischen, also ehrlichen Mann, zu treffen. Wie auch immer sie sich gab, es war entweder ihr Glück oder ihre Überforderung. Dass sie dazu, wie sie betonte, in einer glücklichen Beziehung lebte, konnte durchaus zum Vorteil gereichen. Möglicherweise hatte sie ein paar Antworten parat, die ich noch nicht hatte, wobei mir die Bezeichnung ihres Status’ gehörig missfiel. Allein Staaten unterhielten Beziehungen zueinander. Partnerschaften also mit der Qualität einer diplomatischen Praxis zu bezeichnen, verriet einmal mehr die willfährige Adaption öffentlich gängiger Gedankenlosigkeit.

      Die noch vage Idee wahrhaftig zu sein, gefiel mir zunehmend. Abgesehen von unserem ersten Treffen am Mittwoch und möglichen weiteren, die ich gewillt war sehr behutsam zu dosieren oder sogar ganz zu verschieben, wenn es an mir lag, wollte ich mir eine Woche ohne jeden Frauenkontakt geben, weil ich verspürt hatte, wie hilfreich ehrliche Reflexionen sein konnten. Ich wollte Zeit, in der ich mein Leben und vor allem mein Verhältnis zu den Frauen auf den Prüfstand stellte. Ich wollte mich an ihr Verhalten erinnern, an ihre Worte, an ihre Absichten. Ich war bereit mir das volle Programm von Verständnis zu geben, inklusive Schuhe putzen. Ich war ermuntert mich mit ihnen intensiv auseinander zu setzen. Ich war ermutigt eine tiefe Selbstreinigung zu vollziehen, mir selbst offen und ehrlich gegenüberzutreten. Warum hatte ich stets die Liebe verloren? Warum fickte ich diese Wesen, die ich so wenig verstand und die ihrerseits so wenig dafür taten, dass ich es konnte? Ich wollte endlich meinen Frieden. Ich wollte ein Ende ohne einen neuen Anfang zu kennen. Alles kam zu dem, der warten konnte.

      Ich gab meinem Vorhaben einen Arbeitstitel. Liebe rückwärts. Zunächst musste ich die letzten Monate mit Eve überdenken. Die Erlebnisse mit ihr waren mir noch reichlich präsent, und Eve war es allemal wert. Über Melissa würde ich mich zu Sophia hangeln müssen, bei Katrin landen und, so der Zugriff auf mein Unterbewusstsein weiterhin gelang, bei Irene enden, amouröse Abenteuer in dieser Chronik des Leidens eingeschlossen. Das war mein Plan, ein tauglicher Plan, wie ich befand. Es sollte eine Achterbahnfahrt werden, deren Fahrkarte ich, wären mir die Fallhöhen vorher bewusst gewesen, nie und nimmer gelöst hätte.

      Da also war ich angekommen. Allein, enttäuscht, desillusioniert und Sabrina als letzte Ausfahrt Sehnsucht im Kopf. Bei jeder Frau, die ich gehabt hatte, hatte ich auch stets etwas verloren. Ich war der bitteren Erkenntnis auf der Spur, dass es mir seit langer Zeit unmöglich war, in einer Stadt voller emotionaler Verkrüppelungen wie der meinen die Liebe zu finden.

      Endlich. Mir fielen ein paar Fotografien von Eve in die Hände, nach denen ich fieberhaft gesucht hatte. Ihr unwiderstehliches Lächeln und das Strahlen ihrer Augen hatten mich immer schon in ihren Bann gezogen. War sie heute der Auslöser für meine Missstimmung, so war sie damals der Anlass, dem ständigen Kreislauf des Fickens zu entfliehen. Nach zwei Jahren Partnerschaft aber stand ich neuerlich an der Schwelle, ein ähnlich sinnentleertes Leben zu führen wie vor ihrer Zeit. Ich wäre ihm erneut erlegen, dem weiblichen Begehren, das ausgeprägter war als vielfach angenommen, wenn es mir gelang, Frauen ihren Verstand zu nehmen, der zu oft ihre Vagina zügelte. Ich wäre es wieder, ein Feuerstein, der die weibliche Leidenschaft entflammen konnte, die Treue und Sicherheit genommen hatten. Ich wäre erneut der, mit dem sie bedenkenlos ihr sexuelles Verlangen ausleben konnten, wenn die Neurotransmitter der Biochemie produziert waren, die ihr Hirn durchströmten und die sie aus der Kontrolle in den Rausch ihrer Lust führten. Ich würde selbst die ausfindig machen, die im neusten Modus über Onlineportale so massenhaft erfolgreich nach einem Seitensprung lechzten, weil sie in der Öffentlichkeit die Entschlossenheit nicht aufbrachten, ihre Geilheit zu präsentieren.

      Ich erinnerte mich sehr genau an Ort und Zeit, als die Bilder entstanden waren. Wir hatten einen Ausflug zur See unternommen. Es war der Beginn von Verlust. Ich trat auf den Balkon meiner Wohnung. Die Sonne schien wohltuend kräftig. Ich griff die Aufnahmen und eine Schreibkladde, und wie ein Dieb den Ort seiner Untaten ein zweites Mal aufsuchte, saß ich kurze Zeit später wieder in dem Beachclub an der Elbe. Ich hatte neben dem Glauben an die Liebe obendrein meine Poesie verloren. Auch die wollte ich zurück.

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