Achim Grauer

Occupys Soldaten


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drei Säulen Zeit, Hingabe und Genauigkeit fußte und sich erst dann zeigte, wenn man bereit war ebendiese Zeit zu investieren und mit Hingabe und genauem Arbeiten einem Ziel entgegenstrebte, dass man noch nicht einmal kannte.

      Irgendwie beschlich Jack das ungute Gefühl, im Augenblick einen Weg einzuschlagen, der ihm noch wesentlich mehr abverlangen würde.

      „Wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie mir alles erzählen, Lina. Alles. Das Wichtige und das Unwichtige. Ganz besonders aber das, wovon Sie glauben, dass es mit der Geschichte gar nichts zu tun hat.“

      Jack sah Lina prüfend von der Seite an. Die zeigte mit keiner Miene, ob sie ihn verstanden hatte. Stattdessen lehnte sie sich schweigend an einen Baum gegenüber von Paulines Grab.

      „Der Typ, der die Hacker erschossen hat, heißt Franz von Moor“, begann sie unvermittelt. Ein Schauer lief dabei durch ihren Körper und Linas Stimme klang brüchig, als sie fortfuhr.

      „Dieser Überfall hat nichts mit der Schollenbruch Entführung oder diesen Terroristen zu tun. Fragen Sie mich nicht woher ich das weiß, das spielt keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass Franz ganz offensichtlich überlebt hat und versuchen wird mich umzubringen, weil....“

      Lina stockte und Jack führte den Gedanken zu Ende.

      „Weil er verhindern will, dass Sie ihn mit ihrer Aussage lebenslänglich hinter Gitter bringen.“

      Lina nickte zaghaft.

      Jack schwieg für einen Moment und dachte nach. Lina hatte weder ihren richtigen Namen genannt, noch ein Wort über diesen ominösen Karl verloren. Sie vertraute ihm weit weniger als sie ihm weiszumachen versuchte.

      „Um Ihren Franz brauchen Sie sich keine Gedanken mehr zu machen. Das BKA hat eine Kugel gefunden, die nach einem Durchschuss aussieht. So was tut höllisch weh. Und wenn ich höllisch sage, meine ich das auch so. Der macht keinen Schritt ohne zu schreien wie eine komplette Heavy Metal Band.“

      Jack wartete auf eine Reaktion, die aber wieder einmal ausblieb.

      „Rodgaus Hybris wiederum ist beinahe groß genug, um trockenen Fußes übers Wasser zu gehen, auf jeden Fall aber zu groß, um sich zum Büttel für so einen dahergelaufenen Investmentbanker zumachen.“

      Immer noch keine Reaktion. Jack schüttelte resignierend den Kopf.

      „Aber Ihr Problem heißt weder Rodgaus noch Franz von Moor.“

      Jack trat jetzt ganz nahe an Lina heran und sah ihr direkt in die Augen.

      „Ihr Problem ist ein halbtoter Kerl namens Karl.“ Lina zuckte zusammen. „Der auf genauso wundersame Weise dem Chaos entkommen konnte und der vermutlich verantwortlich für den ganzen Schlamassel ist.“

      Linas Reaktion kam postwendend. Es hörte sich an wie das Knurren einer Perserkatze, die man in die Enge getrieben hatte. Dumpf und gefährlich leise.

      „Lassen Sie Karl aus dem Spiel.“ Linas Augen funkelten.

      „Warum sollte ich das tun?“

      Jack hatte jetzt endgültig die Faxen dicke. Er hatte sich weder um diesen Job gerissen, noch stand er besonders darauf, angelogen und manipuliert zu werden. Und böse knurren konnte er auch.

      „Wenn Sie mir nicht augenblicklich erzählen, worum es hier wirklich geht, informiere ich Rodgaus höchstpersönlich über diesen mysteriösen Karl und dass Sie ihn um jeden Preis schützen wollen.“

      „Sie wissen ja nicht was Sie tun“, fauchte Lina wütend. Und wieder.

      „Sie wissen ja gar nicht was Sie da tun.“ Dabei schlug sie mit ihren kleinen Fäusten auf Jacks Brust ein.

      „Vielleicht“, knurrte Jack zurück und hielt ihre beiden Arme fest.

      „Was ich weiß ist, dass Sie und dieser Karl gestern Nacht zusammen mit den beiden anderen Typen im 16ten Stock waren und sich Franz von Moor vorgeknöpft haben. Wahrscheinlich wollten Sie ihm ganz profan ein bisschen Geld abnehmen. Aber irgendwas ist schiefgelaufen. Ihr Karl hat Franz von Moor einen sauberen Durchschuss verpasst und Ihre beiden Kumpane mussten dafür ins Gras beißen.“

      Lina sackte plötzlich in sich zusammen und kauerte an den Baum gelehnt zu Jacks Füßen.

      „Das ist nicht wahr“, schluchzte Lina. „Karl wollte Franz nur einen Denkzettel verpassen.“

      Jack ging vorsichtig vor Lina in die Hocke, bereit bei ihrem nächsten Ausbruch sofort aufzuspringen.

      „Er würde seinem Bruder niemals etwas antun.“

      Bruder, es war der eigene Bruder. Jack war vollkommen baff. Du liest zu selten die Bunte, mein Lieber.

      „Franz hat da deutlich weniger Hemmungen, was?“, platzte es aus Jack heraus.

      Tränenüberströmt hob Lina den Blick und umklammerte Jacks Hände.

      „Ich hab Franz heute im Präsidium gesehen, Jack. Er wird mich umbringen. – Ich kann nicht mehr zurück. Helfen Sie mir.“

      Nackte Angst lag jetzt in Linas Stimme. Ihre Augen flehten Jack an.

      „Bitte glauben Sie mir.“

      In Jacks Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Abgesehen davon, dass er für lange Zeit hinter Gittern landen würde, wenn er sich einfach mit der einzigen Zeugin oder wahlweise Hauptverdächtigen aus dem Staub machen würde, hatte er keine Ahnung wie er das anstellen sollte.

      Der Oberinquisitor Rodgaus und seine vier Schmidts würden sicher nicht winkend und Reis verstreuend Spalier stehen. Zum anderen wurde Jack unangenehm bewusst, dass er auf dem besten Weg war, sich in diese fleischgewordene Pandora zu verlieben. Wie auch immer er sich entschied, er konnte nur verlieren.

      Freundlicherweise wurde Jack die Entscheidung in Form eines immer stärker anschwellenden Motorenlärms von jenseits der Friedhofsmauer abgenommen. Irritiert wandten sich Jack und Lina um. Im selben Augenblick traten ihre Bewacher aus den Schatten der umliegenden Bäume. Jack sah, wie sie sich beunruhigt Zeichen machten. Rodgaus schien als einziger beinahe unbeteiligt dem anschwellenden Straßen- und Motorenlärm zu lauschen.

      Andächtig, summte er Händels „Messias“.

      Hallelujah. Dachte Jack, genau in dem Moment, als der Tanklastzug die aus den Steinen der alten Frankfurter Synagogen aufgebaute alte Friedhofsmauer durchschlug und in hohem Bogen auf sie zugeflogen kam.

      Für den Bruchteil einer Sekunde war im Führerhaus der Schatten einer Guy Fawkes Maske zu erkennen. Der Truck schien größer und größer zu werden und füllte schon fast Jacks gesamtes Blickfeld aus. Gleich würde er sie zerquetschen wie zwei vergessene Osterhasen. Doch dann bohrte sich die mächtige Motorhaube des 40-Tonners wenige Meter entfernt in Paulinchens Grab.

      Es war auf die Sekunde genau 11:30 Uhr.

      Der Tankauflieger beschrieb knirschend einen Halbkreis und zertrümmerte altehrwürdige Grabstätten und umstehende Bäume, bevor er ächzend und fauchend zur Ruhe kam. Der Geruch auslaufenden Benzins lag in der Luft. Aus dem Augenwinkel sah Jack, wie sich Rodgaus Männer mit gezogenen Pistolen in Bewegung setzten. Lina lehnte eigentümlich steif am Baum und starrte scheinbar teilnahmslos auf die Lücke, die der Truck in der Friedhofsmauer hinterlassen hatte. Jack folgte ihrem Blick und das Blut gefror ihm in den Adern. Aus der Lücke flog in hohem Bogen eine brennende Fackel in Richtung des kleinen Benzinteiches, der sich in Windeseile um den Tanklastzug gebildet hatte und beinahe bis zu ihren Füssen reichte.

      Jack reagierte sofort. Er klemmte sich Lina, die noch immer stocksteif wie eine Schaufensterpuppe am Baum lehnte, unter den Arm und rannte so schnell er konnte in die gegengesetzte Richtung.

       Langsam wird das zur Gewohnheit.

      Auch Rodgaus Männer hatten die Richtung geändert und entfernten sich parallel zu Jack ebenfalls von der Gefahrenquelle. Dann ging alles sehr schnell.

      Hinter ihnen explodierten mehr als 30.000 Liter Benzin