Achim Grauer

Occupys Soldaten


Скачать книгу

an, als säße der Leibhaftige vor ihm, oder ein Idiot, oder möglicherweise beides.

      „Ein weltweit leuchtendes digitales Fanal.“

      Aus, vorbei. Stellte Schollenbruch nüchtern fest und wunderte sich, dass ihm die Todesangst nicht augenblicklich den Verstand raubte.

       Dir geht’s doch nur um die abartige perverse Freude an deinen Folterspielchen und an meinem Leiden.

      „Sie sind ein erbärmlicher perverser Geisteskranker, der nicht einmal Manns genug ist zu seinen Allmachtsphantasien zu stehen“, stellte Schollenbruch mit vor Verachtung und Verzweiflung vibrierender Stimme fest.

      „Sie verstecken sich wie ein kleines Kind hinter Ihrem Pseudomoralismus und Ihrer Guy Fawkes Maske. Dabei sind Sie es nicht einmal wert, mir das Wasser zu reichen.“

       Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.

      Aber wieder überraschte ihn sein Gegenüber.

      „Was Sie von mir halten, ist bezeichnender für Sie als für mich“, konterte die Maske kalt.

      „Und Sie werden mich kaum durch plumpe Provokation davon abhalten, an Ihnen ein Exempel zu statuieren.“ Guy Fawkes erhob sich und trat ganz nah an Schollenbruch heran.

      „Da Sie das Milgram Experiment nicht kennen, will ich Ihnen mit einem kleinen Rätsel auf die Sprünge helfen. – Sie sterben nicht vor der Zeit und auch nicht von meiner Hand. Es gibt nicht einen Henker sondern Viele. Und Sie sind Ihr eigener Richter.“

       Also doch der Schrecken ohne Ende.

      Schollenbruch wurde schlecht bei dem Gedanken an ein neues Martyrium. Er war einfach nicht mehr in der Lage sich zu wehren. Weder körperlich noch geistig. Er spürte, dass er sich der Grenze näherte, die seine Persönlichkeit zusammenhielt. Es waren nur noch wenige Schritte nötig und sein Ego würde zerbrechen und sich in seine Bestandteile auflösen.

      „Falls Sie jemals den investigativen Drang verspürt haben sollten, die Mechanismen des Investment Banking für jeden leicht verständlich zu erklären, dann schlägt jetzt Ihre Stunde“, verkündete Guy Fawkes sarkastisch. Schollenbruch starrte die Maske verständnislos an.

      „Ich spreche nicht von den hochgelobten wie wertlosen Ratgebern, die Sie an jeder Ecke kaufen können, sondern von einem Blick hinter die Kulissen.“ Guy Fawkes genoss es sichtlich dem verwirrten Banker Stück für Stück einen Ausblick in seine nahe Zukunft zu gewähren. Theatralisch trat er an eine mit einem Leintuch verhüllte mannshohe Skulptur heran, die bisher in einem dunklen Eck Schollenbruchs Aufmerksam verborgen geblieben war.

       Nicht schon wieder.

      Schollenbruchs Körper versteifte sich reflexartig und nur mit Mühe gelang es ihm, sich nicht einzunässen. Zweifelsohne verbarg sich unter dem Tuch ein neues Folterinstrument. Das diffuse Licht zeichnete Linien und Formen in den unförmigen Klotz, der bei näherer Betrachtung wie eine Gletscherlandschaft im letzten Tageslicht aussah, oder an ein überlebensgroßes Model der Alienmonster aus Ridley Scotts gleichnamigem Film erinnerten.

      Mit einer eleganten Geste, die jedem spanischen Torero geschmeichelt hätte, enthüllte die Maske das klobige Ding.

      Schollenbruch starrte ungläubig auf den modifizierten Emperor 200, dem Porsche unter den Computer Workstations im Skorpiondesign. Zum wiederholten Male drängte sich ihm der Gedanke auf, dass es seinem Peiniger nicht um Geld gehen konnte. Kostete dieser High-Tech-Designer Sessel mit seinen drei auf Augenhöhe schwebenden Monitoren und integrierter Sitzbelüftung doch schlappe 45.000 Dollar. Für gutbetuchte Gamerfreaks und Kommunikationsjunkies offenbar kein Hinderungsgrund. Peanuts eben, wie Hillmar Kopper sagen würde.

      Sein Sohn hatte gar nichts gesagt, als er ihm eines der ersten Exemplare in den Hobbyraum gestellt hatte.

       Undankbarer Bastard.

      „In wenigen Minuten werden Sie zum ultimativen Finanzexperten dieses Planeten avancieren“, dozierte die Maske enthusiastisch.

      „Und die ganze Welt wird Sie dabei unterstützen.“

      Eher sterbe ich, schoss der Gedanke siedend heiß durch Schollenbruchs Eingeweide. Tränen füllten seine Augen. Er versuchte sich zu bewegen, sich mit den Fingernägeln die Adern aufzureißen, oder den Schädel an der gegenüberliegenden Wand einzurennen, musste aber feststellen, dass ihm seine Muskulatur nicht mehr gehorchte.

      „Sollten Sie sich im Livechat auf Allgemeinplätze zurückziehen oder versuchen die Webgemeinde zu täuschen, werden Sie mit einem kleinen Stromschlag angespornt, sich Ihrer historischen Aufgabe mit der erforderlichen Begeisterung zu widmen.“

      Schollenbruchs Unterkiefer zuckte.

      „Die Höhe des Stromschlags wird dabei von einem Administrator veranschlagt, der den User auf die möglichen körperlichen Schäden hinweist, die Sie, mein Wertester, davontragen werden.“

      Die Maske glitt auf Schollenbruch zu.

      „Ich lege Ihr Leben in die Hände der Welt.“ Schollenbruch spürte einen kleinen Stich im Unterarm und riss erstaunt die Augen auf.

      Guy Fawkes „Das Paradies ist einen Klick entfernt“, nahm er schon mit in die aufziehende Dunkelheit, die sein furchtsam zitterndes Bewusstseins einhüllte. Seine letzten Gedanken kreisten um ein gesichtsloses Monstrum namens Webgemeinde und gespenstisch leuchtende „Gefällt mir“ Buttons, die sich wild durcheinander wirbelnd in Zahlenreihen aus Einsen und Nullen aufzulösen begannen.

      Das Innere der Zelle

      Die Zelle hatte eine Größe von 5x2 Metern. Ausgestattet mit einer Edelstahlkloschüssel von einer Ästhetik, wie man sie schlimmer nur bei der Bahn fand, einer Pritsche und zwei Überwachungskameras. Außen an der massiven Stahltür hingen laminierte DinA4 Bögen mit der Aufschrift:

      „Zutritt nur ohne Waffe.“ Und: „Handys und Feuerzeuge abgeben.“

      Mit dem Rücken zur Zellentür saß Nummer 7 im Schneidersitz auf ihrer spartanischen Schlafstätte. Vor ihr lag ein abgegriffenes, altes Kinderbuch. Der Struwwelpeter. Jemand hatte sich auf der Vorderseite eine Notiz gemacht.

       Paulinchen, 11:30 Uhr. OSX.

      Nr. 7 starrte auf das vergitterte kleine Rechteck, das ihr einen kleinen Ausschnitt vom strahlend blauen Himmel gewährte. Ein zufälliger Beobachter hätte dieses friedliche Bild für eine Momentaufnahme aus einem Kloster und sie für eine geschundene Managerin auf der Suche nach Kontemplation halten können.

      „Nr. 7, treten Sie von der Tür zurück. Stellen Sie sich mit dem Gesicht zum Fenster. Die Hände auf den Rücken.“

      Die Stimmen wechselten, die Kommandos waren stets die gleichen.

       Was für grausam sprachverstümmelte Geschöpfe.

      Wieder einmal würde man sie in eines dieser aseptischen Verhörzimmer bringen. Wieder einmal würde man sie mit allem Nachdruck befragen. Und wie bisher würde sie sich auf ihr Zeugnis-verweigerungsrecht berufen. Sie hatte sich auf eine Insel in den Tiefen ihrer Seele zurückgezogen. Hatte den empfindenden Teil ihres Bewusstseins dort zurückgelassen und war mit der logischen Hülle zurückgekehrte um die Zeit bis zu ihrer inneren Wiedergeburt zu überbrücken. Dieses Ritual gab ihr die Möglichkeit handlungsfähig zu bleiben, begann sie aber auch zu ermüden. Ihr war klar, dass sie mit diesen Spiegelfechtereien kostbare Zeit verschwendete. Zeit, die Karl das Leben kosten konnte. Ihre Gedanken kreisten geradezu manisch um ihren Verlobten.

       Wo war er? Lebte er überhaupt noch?

      Immer wieder führten sie ihre Gedankenspiralen an diesen einen, alles entscheidenden Punkt.

       Lebte Karl noch?!

      Sie hätte vor Wut laut aufheulen können. – Ja, sie war wütend, trotz allem.