Achim Grauer

Occupys Soldaten


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ihm das Atmen schwer.

      Wieder diese unerträglichen Kinderaugen, die ihn hypnotisch in den Bann zogen.

      Eine handvoll Reis, schienen sie zu betteln. Gib mir eine handvoll Reis. Diese effekthascherische Leidensnummern hatte er immer verabscheut.

       Was ging das ihn an, wenn diese Kaffer einfach zu blöd waren, um eine vernünftige Landwirtschaft aufzubauen? Stattdessen vögelten sie sich das letzte bisschen Verstand aus ihren dummen Negerhirnen und produzierten Kinder, die sie nicht ernähren konnten. Selber Schuld!

      Im Jahr 2050 wird sich die Bevölkerung des schwarzen Kontinents verdoppelt haben. Dann gilt es mehr, als 1 ½ Milliarden Menschen mit Nahrung zu versorgen. Nahrung wie beispielsweise Hafer, den der Kontinent bis dahin nahezu komplett wird importieren müssen.

      Welche Abhängigkeit. – Welche Gewinnspannen!, frohlockte Schollenbruch.

      „Homo Speculantius“, zischte die Maske und Schollenbruch erschrak.

      Wo war er? Was wollte diese Maske von ihm? Schollenbruch erinnerte sich dunkel an einen Raum, spürte die Bänder, die ihn an einen Stuhl, oder besser an ein teuflisches Folterinstrument gefesselt hatten. Unwillkürlich tastete seine Hand danach, konnte aber nichts dergleichen finden.

      „Quid pro quo!“, zischte die Stimme hasserfüllt an seinem Ohr und als er gehetzt aufsah, blickte er in das ausgemergelte Gesicht der Afrikanerin, die ihn mit traurigen Augen ansah. In ihrem Blick lag Verzweiflung und die Bitte um Vergebung, da sie ihn nicht mehr lange vor dem Tod würde beschützen können. Schollenbruch zappelt panisch und japste nach Luft.

      Nein, schrie Schollenbruchs Verstand. Ich will noch nicht sterben!

      Mühsam hob er seine Hand und krallte sich in das welke Fleisch der hängenden Brüste, zog sich mit letzter Kraft zu den ausgedörrten Schläuchen hoch, schloss seine trockenen aufgesprungene Lippen um die harten Warzen und begann gierig an ihnen zu saugen.

      „Quid pro quo!“, zischte die Stimme höhnisch und Schollenbruch zuckte zurück, den Mund blutverschmiert. In seiner Verzweiflung hatte er zugebissen und das warme Blut aus den malträtierten Brüsten gesaugt.

      Quid pro quo!“, flüsterte die Stimme wieder und stimmte ein schauerliches Gelächter an, das zu einem Sturm anschwoll, in ihn drang und ihn von innen zu zerreißen drohte.

      Schollenbruch sah an sich herab. Er war schokoladenbraun und nackt. Seine kleinen Kinderhände schmückten dürre greise dehydrierte Totenfinger. Der aufgeblähte Hungerbauch war zum Bersten gespannt. Er war zu schwach um sich noch auf den Beinen halten zu können. Ein dem Tod geweihtes Kinderskelett. Tränen wären aus seinen Augen gelaufen, hätte er noch Flüssigkeit für sie gehabt.

      Es war also geschehen. Das, wovor es ihn als Kind immer gegruselt hatte auf den ausgedehnten Reisen, die er mit seinen Eltern unternommen hatte. Wie oft hatte er das Gefühl gehabt, dass er nur einen Wimpernschlag davon entfernt war, plötzlich in einem anderen Körper wieder zu Bewusstsein zu kommen. Dass sein sorgloses privilegiertes Leben nur geborgt war. Nun hatte sein unveränderbares Ich tatsächlich Körper und Leben mit einem sterbenden kleinen afrikanischen Jungen getauscht, der im Staub der Straße in den Armen seiner Mutter liegend, staunend der sich entfernenden schwarzen Limousine nachsah, die zu einem kleinen Punkt am Horizont wurde und schließlich in der tiefstehenden Sonne zu verglühen schien.

      Es ist vollbracht, dachte Schollenbruch noch. Ein gleißend helles Licht raste auf ihn zu und verwandelte die Welt in einen unendlichen, atemlosen, weißen, stillen Raum.

      „Guten Morgen, Herr Schollenbruch.“ Das Riechsalz kam einem olfaktorischen Urknall gleich und riss Schollenbruch jäh aus seinen Nahtodphantasien.

      „Schön, dass Sie wieder bei uns sind.“ Da war sie wieder, die Stimme. Durch die Verzerrung schon kaum mehr als solche zu erkennen.

      Schollenbruch schlug blinzelnd die Augen auf. Die brennenden Augäpfel tränten heftig. Salzige Flüssigkeit vermengte sich mit der Heilsalbe und legte einen schlierig milchigen Schleier über den Mann mit der Guy Fawkes Maske, den er verschwommen an einem einfachen Bürotisch direkt vor sich sitzen sah. In einem Lichtkegel im Hintergrund leuchtete die rote Fratze der Occupy Soldaten von einer schwarzen Fahne. Beamer und Folterstuhl waren verschwunden. Das einzige andere Licht konzentrierte sich auf ihn selbst. Er trug wieder seinen teuren Anzug, Hemd, Krawatte und die Designerschuhe. Ganz, als wären die abscheulichen Stunden in dem fürchterlichen Folterstuhl lediglich langsam verblassende Erinnerungen eines Albtraums.

      Die ganze Inszenierung hatte etwas von einer Gerichtsverhandlung und Schollenbruch erinnerte sich vage an die letzten Worte seines Peinigers, als er ihn vor einer gefühlten Ewigkeit verlassen hatte.

      „Ich gebe ihnen die einmalige Chance ein Mensch zu werden.“

      

      Schollenbruch stöhnte. Er hatte seit Tagen nichts gegessen, war notdürftig mit Wasser versorgt worden und hatte in seinen eigenen Exkrementen sitzend den sich ständig wiederholenden Film vom Sterben in der Dritten Welt gesehen. Entzündungen und eitrige Pusteln bedeckten seinen Unterleib und juckten zum wahnsinnig werden. Schollenbruch war sich jedoch nicht mehr sicher, ob er noch bei Verstand war. Seine Wahrnehmungen schienen längst sich verselbstständigende Phantasien geworden zu sein, aus denen es kein Entrinnen mehr gab. Der frische Einstich der Infusionen an seinem linken Arm machte ihm allerdings Hoffnung, dass es doch noch eine reale Welt gab. Er war entschlossen, um sein bisschen Verstand – und mehr noch um sein Leben – zu kämpfen.

      „Kennen Sie das Milgram Experiment, Herr Schollenbruch?“, fragte Guy Fawkes in gewohnt neutralem, beinahe unbeteiligtem Tonfall. Schollenbruch schüttelte kraftlos den Kopf.

       Worauf willst Du Teufel hinaus?

      „Ich kenne meine Rechte“, krächzte der Investmentbanker mühsam beherrscht. Seine Stimme klang weinerlich und es fehlte nicht mehr viel und er würde endgültig zusammenbrechen.

      "Jeder hat soviel Recht, wie er Macht hat", entgegnete ihm Guy Fawkes gelassen.

      „Und Ihre Macht tendiert gegen Null, mein Lieber.“

      Schollenbruch heulte innerlich auf vor Wut, einerseits weil er es hasste auf diese dozierende Weise belehrt zu werden, andererseits weil Guy Fawkes leider Recht hatte. Schollenbruchs Stimme zitterte, als er hasserfüllt los krächzte.

      „Sie haben mich entführt und gefolterte... und sie werden dafür bezahlen... so wahr ich vor Ihnen sitze.“ Dabei streckte er dem Mann anklagend seine wundgeriebenen Handgelenke entgegen.

      „Schön, dass Sie gleich darauf zu sprechen kommen, Herr Schollenbruch“, nahm Guy Fawkes den Ball genüsslich auf, den er ihm unfreiwillig zugespielt hatte.

      „Leider haben Ihre so genannten Freunde oder ihre Bank noch keinen Cent überwiesen.“ Schollenbruch zuckte zusammen.

       Natürlich nicht, dafür gibt es eindeutige Vorschriften.

      „Sie sind Ihnen wohl nichts wert“, fügte sein Peiniger süffisant an. Seltsamer Weise erfüllte es Schollenbruch weder mit Trauer noch verletzte es sein geschundenes Ego. Er war Realist genug und hatte sich nie solch romantischen Anwandlungen wie Freundschaft oder Solidarität hingegeben. In seinen Kreisen war man besser mit Machiavelli beraten. Soziale Kompetenz dient letztlich ausschließlich der leichteren Lenkbarkeit der niederen und mittleren Führungskader und führten über deren jahrelange Selbstausbeutung meist zu deren totalem Burnout.

      "Steigert den Gewinn", flüsterte eine Stimme in Schollenbruchs Schädel, die er wohl nie zum Schweigen bringen würde.

      „Was wollen Sie von mir?“, fragte Schollenbruch und verlagerte sein Gewicht ein wenig nach vorne. Damit konnte er die schmerzhaften Entzündungen ein wenig entlasten, zudem lies sich in dieser aufrechten Haltung einen letzten Rest Würde bewahren.

      Die Antwort kam prompt und feierlich.

      „Ich