Achim Grauer

Occupys Soldaten


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widmete sich wieder den Papieren.

      Auch ein Grund, warum es Jack nie gereizt hatte Karriere zu machen. Er hasste Papierkram. Tausend Formulare und Formbriefe. Allein die tägliche Korrespondenz des Direktors fand er verwirrender und anstrengender als einen Monat harten körperlichen Einsatz mit den Jungs auf der Strasse.

      Geduldig lehnte er sich zurück und ließ die Gedanken schweifen. Wenn er eines in all den Jahren gelernt hatte, dann dass diese jugendliche Sturm- und Drang-Energie einen nur unnötig früh ins Grab brachte.

      Sein Blick glitt über den alten Kupferstich der Stadt Frankfurt. War das nicht das Bankhaus „Moor & Moor“ ?Augenblicklich brach ihm der Schweiß aus. Sein Puls raste. Das Atmen wurde ihm schwer. Xaviers Büro schien vor seinen Augen zu verschwimmen. Rauchschwaden nahmen ihm die Sicht. Plötzlich stand er wieder im loftarigen Büro im 16ten Stock der Taunusanlage 11. Im Zentrum des Chaos stand sie. Schön wie eine griechische Göttin. Stolz funkelten ihre grünblauen Augen ihn an.

       Atme, verdammt noch mal! Atme. Das ist nicht real. Du sitzt bei diesem Komiker im Büro und führst Dich auf wie ein hysterischer Mulla, der eben die Reste seines verbrannten Korans entdeckt hat. – Zappelst rum wie Joe Cocker zu seinen besten Zeiten. - Lebte der überhaupt noch?

      „Ist ihnen nicht gut, Jack?“ drangen dumpf die Worte Xaviers an sein Ohr.

      Postraumatisches Stresssyndrom dachte Jack noch, als sich der Schleier langsam zu lichten begann und er Xaviers besorgte Miene wieder hinter dem Schreibtisch auftauchen sah.

      Energisch drückte Xavier den Knopf der Gegensprechanlage:

      „Danielle, bringen Sie uns doch bitte ein Glas Wasser!“

      Jacks Hände waren feucht und kalt. Einzelne Schweißtropfen rannen ihm unter dem eng anliegenden T-Shirt den Rücken hinunter, kitzelten sein Steißbein, ehe sie von seiner Calvin Klein Short aufgesaugt wurden.

      „Alles bestens!“ krächzte er wenig überzeugend. „Wirklich, mir geht es gut! Muss wohl die Büroluft sein! “

      Xavier warf ihm einen säuerlichen Blick zu.

      „Ich werde Sie zu Dr. Jansen schicken. Der soll Sie eine Woche krankschreiben. Und wenn Sie wieder auf dem Damm sind, melden Sie sich dienstfähig. – Das BKA muss dann eben auf Sie verzichten und allein die Welt retten.“ Er griff schon zum Hörer.

      „Ich brauche keine Auszeit. Mir geht es gut! - Was ist mit dem BKA?“

      „Jetzt spielen Sie mal nicht den Helden, Jack. Ich an ihrer Stelle würde mich eine Woche in einem Wellness Spa von hinten bis vorne bedienen lassen.“

      Das konnte Jack sich vorstellen.

      „Das haben Sie sich auch verdient, Menschenskind. Gerade hat mich der Innenminister angerufen und gefragt, ob er Sie gefahrlos für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen könne!“

      Jack sank sprachlos in den Designersessel zurück. Xavier musterte ihn aufmerksam.

      „Das kann ich doch, oder?! Sie haben keine Leichen im Keller, die die Boulevardpresse ausgraben kann, oder? Abgesehen von ihrer Scheidung?“, schob Xavier wenig zartfühlend nach.

      „Sehen Sie Jack, die Öffentlichkeit braucht in Zeiten wie diesen ein positives Signal. Und ich werde der letzte sein, der ihr das verwehrt. – Ich finde allerdings ihre Machonummern ziemlich daneben und wenn wir uns in einer Kneipe gegenübersitzen würden, bezweifle ich, dass wir ins Gespräch kommen würden. Aber im Herbst stehen Wahlen an und ich möchte meiner Stadt gerne einen Helden schenken.“

      Jack starrte Xavier perplex an. Dass der karrieregeil war, geschenkt. Was Jack überraschte, war Xaviers Dreistigkeit.

      „Eine abgedrehte Irre aus der brennenden Panoramaetage vom T11 zu schleifen, verdient das Bundesverdienstkreuz?“

      Keine Reaktion.

      „Seit die Bundestagsfraktionen unter der Hand dreißig Orden pro Legislaturperiode für ihre Abgeordneten ausgehandelt haben, ist der Klimperkram sowieso nichts mehr wert.“ Xavier verzog keine Miene.

      „Wobei es völlig Wurst ist, ob diese Sesselfurzer jemals was geleistet haben.“

      Xavier saß regungslos auf seinem Stuhl. Unmöglich zu ahnen, was in ihm vorging. Jack setzte noch einen drauf.

      „Das riecht doch nach Inflation, Herr Direktor? Oder? – Was ist denn mit dem Maier, der letzte Woche Oma Schenker’s Katze vom Garagendach geholt hat? Oder dem Jakubinzki, der den dusseligen schwarzen Schwan neulich aus dem Eis geschnitten hat? Ach, ja und da wäre noch der Gabler vom 19ten. Seine Mund-zu-Schnauze-Beatmung bei unserem Giftschnüfflerrüden Hasso war doch Extraklasse! Helden wo hin man schaut! Nehmen Sie doch lieber einen von denen!“

      „Die Torpedos waren aus dem Rohr“, wie sein Opa immer zu sage pflegte. Jetzt hieß es auf den Einschlag warten. Gespannt beobachtete er Xavier. Der verzog immer noch keine Miene. Jack hätte nicht einmal sagen können, ob er Ihm überhaupt zugehört hatte. Er folgte Xaviers Blick und landete bei der Ernennungsurkunde zum Leiter der Branddirektion Frankfurt am Main. Ihre Blicke trafen sich.

      „Sehen Sie Jack, ich schätze ihre Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit sehr. Und wenn das posttraumatische Syndrom erst einmal abgeklungen ist, bin ich mir sicher, dass wir eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung finden werden.“ Jetzt war alle Freundlichkeit aus Xaviers Stimme gewichen. Er taxierte Jack kurz und fuhr fort.

      „Aber zunächst möchte ich, dass Sie sich unverzüglich zu einer Tauglichkeitsüberprüfung bei Dr. Jansen melden. Fürs erste schieben Sie jedenfalls Innendienst.“

      Als Jack zu einer Erwiderung ansetzen wollte, fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu, „gerade habe ich mir noch Gedanken gemacht, wer wohl die Schwangerschaftsvertretung für unsere Rezeptionistin Frau Gladbeck übernehmen könnte. Aber jetzt, wo Sie sich so uneigennützig freiwillig gemeldet haben...“

      Jacks Hände hatten sich wie die Klauen eines Raubvogels in die Lehnen des Besucherstuhls gekrallt. Xavier hatte ihn an seinem wunden Punkt gepackt und ihn aufs Kreuz gelegt.

      „Du trägst Dein Herz auf der Zunge!“, hatte Barbara immer abfällig gesagt. „So schaffst du es nie nach oben. Beleg ’nen Rhetorikkurs, wenn Du Karriere machen willst! Und das solltest du, Hase! Mir und den Kindern zu liebe!“

      Sein Herz pumpte Unmengen Adrenalin durch seine Venen, die Knöchel begannen weiß zu leuchteten. Der Tunnelblick setzte ein.

      Warum konnte er Unaufrichtigkeit so schlecht ertragen? Warum nahm er alles persönlich? Was hatte er davon? Einfach mal das Maul halten? Er war immer noch Feuerwehrhauptmann, nach all den Jahren und musste Vorgesetzte wie Xavier ertragen, die ihm weder menschlich noch fachlich das Wasser reichen konnten.

       Einatmen, ausatmen. – Einatmen, ausatmen.

      Gerade als Jack sich wieder etwas beruhigt hatte und zu einer Erwiderung ansetzen wollte, öffnete sich die Tür und Danielle, die gute Seele der Feuerwache, betrat Xaviers Büro.

      „Das Wasser für Sie, Herr Direktor, und eine Latte ohne für unseren Helden des Tages!“ Dabei zwinkerte sie Jack kokett zu, verdrehte im Abgehen die Augen, wobei sie peinlich genau darauf achtete, dass es Xavier nicht sehen konnte und war schon wieder halb aus der Tür, als sie sich noch einmal zu Xavier umwand:

      „Ach ja, im Konferenzraum 1 wartet seit einer halben Stunde das hohe Tier vom Bundeskriminalamt. Rodgaus. Armin Rodgaus. Kriminaloberrat, Abteilung „Schwere und organisierte Kriminalität“, schob Danielle so beiläufig wie möglich nach und zog behände die Glastür hinter sich ins Schloss, bevor Xavier noch etwas erwidern konnte.

      Stille legte sich über den Raum. Jack war perplex, er hatte erwartet, dass Xavier Danielle einen ordentlichen Einlauf verpassen würde. „Unverschämter Schlendrian! Was glauben Sie eigentlich, wie Sie mit einem hohen Beamten des BKA umzugehen haben. Soll ich mich jetzt vielleicht damit entschuldigen, dass meine Sekretärin nicht in der Lage