Achim Grauer

Occupys Soldaten


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Augenlider waren ja fixiert und gestatteten ihm nicht mal ein leises Blinzeln. Mittlerweile tränten seine Augen so sehr, dass seine Folterkammer hinter einer bewässerten Glaswand zu liegen schien.

       Wie lange würde er das aushalten, ohne zu erblinden?

      „Sie wollen doch bloß den Preis für das Lösegeld in die Höhe treiben. Ich kenne solche Kreaturen wie Sie. Die laufen da draußen zu Tausenden herum. Arbeitsscheues Gesindel. Missgünstige Sozialneider. Gescheitertes Unterschichtengeschmeiß.“ Jetzt hatte er sich in Rage geredet. „Der heilige Zorn war über ihn gekommen.“, wie seine Vorstandskollegen hinter vorgehaltener Hand zu sagen pflegten.

      „Selbstmitleidige Versagertypen, die nicht die Eier haben, um erfolgreich zu sein. Ein entbehrlicher Bodensatz unsere Gesellschaft.“ Er konnte den Atem seines Peinigers nicht spüren, das verhinderte diese dämliche Plastikmaske. Aber jetzt, da er seine Wut losgeworden war, spürte er dessen Aura. Eine kraftstrotzende, furchteinflössende, gebieterische Aura. Schollenbruch fröstelte auf einmal trotz der Wärme der Scheinwerfer.

      Was ist mit dir los, Armleuchter? Rede gefälligst mit mir. Schollenbruch war immer noch überzeugt, dass es hier um Geld ging. Alles und jeder hatte seinen Preis.

      Du auch mein Freund. Ich krieg dich. Ich hab noch Jeden gekriegt. Nichts geschah. Keine beißende Erwiderung. Der Fremde starrte ihn weiter unverwandt an, als betrachte er ein seltenes Insekt. Schollenbruch unterdrückte mühsam eine aufkeimende Hysterie.

      Zuviel Adrenalin. Sein Körper versuchte den permanenten, existentiellen Stresszustand mittels körpereigener Drogen zu entschärfen. Das war gefährlich. Sehr gefährlich sogar, denn je mehr Zeit verstrich, desto weniger würde er noch in der Lage sein, die Situation objektiv einzuschätzen und vernünftig zu reagieren.

       Rechne, verdammt noch mal. Rechne.

       Bei einem Transaktionsvolumen von 6 Milliarden Euro und einer Rendite von 9%...

      „Kennen Sie Milton, Herr Schollenbruch?“

       ... machte das einen Gewinn von…

      Noch immer trennten ihre Gesichter, wenn man bei der Maske seines rätselhaften Entführers von Gesicht sprechen konnte, nur wenige Zentimeter. Was sollte jetzt das schon wieder?

       ...540 Millionen Euro. Risikofrei!

      Milton, Milton? Er kannte keinen Milton und das mit dem Rechnen war wohl doch keine so gute Idee gewesen. Schollenbruch hatte das Gefühl, in zunehmendem Maße die Kontrolle bzw. den Verstand zu verlieren.

       Wie lautete gleich noch mal die Frage?

      „Gut möglich, dass ich einen Herrn Milton kenne. Unser Kundenstamm ist groß“, murmelte Schollenbruch kaum verständlich.

      „Ich spreche von John Milton, Herr Schollenbruch,“ erwiderte die Maske ausdruckslos. „dem Dichter und Staatsphilosophen. Ich dachte, ein Mann ihres Bildungsstandes sollte schon einmal von ihm gehört haben.“ Die Maschinenstimme ließ keine Rückschlüsse auf eine Gemütsregung zu. Aber allein die Wortwahl seines Entführers legte die Vermutung nahe, dass er sich über ihn lustig machte. Viel wahrscheinlicher aber verachtete er Schollenbruch und hatte offensichtlich vor, ihn nach allen Regeln der Kunst vorzuführen und zu demütigen.

      „Defensio pro populo anglicano“, schnarrte die Maschinenstimme.

      „Defensio pro populo angli... was?“, entfuhr es Schollenbruch reflexartig.

      Sein Gegenüber richtet sich langsam und, wie es Schollenbruch schien, genüsslich auf.

      „Kurz gesagt war John Milton ein Verfechter des Gedankens von der Freiheit der Völker und deren Recht zum Tyrannenmord.“

       Dieser Irre war einer von diesen vollkommen durchgeknallten und selbstgefälligen Pseudoidealisten. Oh mein Gott. Wie sollte er hier jemals wieder heraus kommen?

      „Schön, schön.... Ich meine...“, stotterte Schollenbruch. „Es ist doch zunächst einmal sehr lobenswert, dass Sie sich mit der Geschichte der Staatsphilosophie auseinandersetzen. Ich muss gestehen, dass auch ich ein gewisses Faible für die Geschichte und die Entwicklung der Staatsformen habe, wenn auch mehr im Zusammenhang mit den rein volkswirtschaftlichen Möglichkeiten.“

      Schollenbruch hielt inne. Seine Augäpfel rollten wild in den von der Vorrichtung zwangsgeöffneten Höhlen. Sein Atem ging schnell und stoßweise. Speichel lief ihm in dünnen Fäden aus dem Mundwinkel und tropfte unaufhörlich auf seinen nackten Oberschenkel. Sein Körper zuckte plötzlich und Schollenbruch warf sich mit aller Kraft gegen die ihn fixierenden Fesseln. Schaumfetzen flogen aus seinem Mund als er den Maskenmann anbrüllte.

      „Sie aufgeblasener, eitler Kretin. Was glauben Sie eigentlich wer Sie sind? Sie haben mich betäubt, entführt und nackt auf dieses Folterinstrument gefesselt. Wissen Sie, wie viel Jahre Sie dafür bekommen werden, Sie durchgeknallter Psychopath? – Tyrannenmord! In welchem Jahrtausend leben Sie eigentlich? Was hab ich Ihnen denn getan?“ Schollenbruchs Stimme überschlug sich.

      „Ich bin ein angesehener Geschäftsmann. Ich habe Verbindungen bis in die höchsten Ämter der Regierung. Meine Bank trägt die Last der europäischen Staatsverschuldung fast komplett auf ihren Schultern. Der Finanzminister geht in meinem Haus ein und aus und die Kanzlerin unternimmt keinen Schritt ohne sich vorab einen Ratschlag bei mir abzuholen. Ganz zu schwiegen von der bedingungslosen Rotarier-Kameradschaft, die mich mit dem Innenminister verbindet. Haben Sie überhaupt die leiseste Vorstellung davon, was mit ihnen geschehen wird, wenn die Sie finden? Und das werden die, verlassen Sie sich darauf.“

      Erschöpft sank Schollenbruch in sich zusammen. Wie ein Häuflein Elend saß er nun da. - Nur sein Penis erfreute sich einer erstaunlichen aufrechten Haltung.

      Oh mein Gott, wie entwürdigend. Schollenbruch wurde immer deutlicher bewusst, wie wenig er der ganzen Situation gewachsen war.

      „Sehr beeindruckend, Herr Schollenbruch.“ Guy Fawkes applaudierte.

      “Nein wirklich, Da Capo. Und das meine ich tatsächlich im Wortsinn.“ Schollenbruch zitterte jetzt vor Scham und Verzweiflung.

      „Das war so wunderbar authentisch. Diese aufrichtige Empörung. Dieser machtbewusste Verweis auf ihre Verbindungen und Bekanntschaften. Die Verachtung für das Proletariat und am Ende diese Drohung. Ein wenig aus der Verzweiflung geboren, aber „Hu“ mich haben Sie richtig ein bisschen eingeschüchtert. Das ist schon eine Wiederholung wert.“

      Die Maske ließ ein leises Lachen hören, das sich durch die elektronische Verzerrung wie der stotternde Anlassversuch eines Schiffsdiesels anhörte.

      „Wenn wir gleich auf Sendung gehen, werde ich Sie zunächst mit diesem gefühlsechten Knebel zum Schweigen bringen“, rasselte die Maschinenstimme. In seiner Rechten war einer dieser Knebel zu sehen, die Schollenbruch nur zu gut aus seinen SM Sessions kannte und er begann reflexartig zu würgen.

      „Aber den brauchen Sie heute eigentlich gar nicht“, fügte die Maske süffisant mit einem Blick auf sein erigiertes Glied an. „Sie sehen, ich hab keine Kosten und Mühen gescheut, ihnen den Aufenthalt so vertraut wie möglich zu gestalten.“

      Die Maske hatte ihn ausspioniert. Gründlich. Schollenbruch schluchzte laut auf und stammelte mit letzter Kraft.

      „Hören Sie... es tut mir…“

      Guy Fawkes glitt auf Schollenbruch zu und drückte ihm den Knebel und den Rest des Satzes in den Mund.

      „Sie geben wirklich alles, mein Wertester. Da wird jedes Register gezogen.“ Die Maske betrachtet angewidert ihr Werk.

      „Was sind Sie nur für ein erbärmlicher Mensch“, tönte es gefährlich leise. „Sie und Ihresgleichen machen Profit mit der Armut und dem Sterben von Millionen in der Dritten Welt. Millionen, die nicht mehr in der Lage sind den von IHNEN gemachten Preis für eine Handvoll Reis aufzubringen. Und die für eure Profitgier mit dem Leben bezahlen.“ Jetzt war, elektronische