ist da oben los, Kos....i? – La...berich...!“, meldete sich Einsatzleiter Böhnleins krächzende Stimme ungeduldig. „Dass ich I... fü... diese Aktio... no... de... A.... auf...eißen we...e is... I... ja ho....... kla...!“
„Ein Toter, zwei leblose Personen und eine ...“, setzte Jack gerade zu einer Antwort an, da explodierte die unbekannte Schöne ansatzlos. Ihre Schnelligkeit überraschte Jack. Wie eine Raubkatze schoss sie mit zwei Sätzen auf einen der Körper zu. Sie stoppte abrupt vor der leblosen Person – einer Frau – die zusammengesunken über einem umgestoßenen Clubsessel lag. Jack reagierte viel zu spät: Im nächsten Augenblick riss der Racheengel schon den Kopf an langen Rastalocken zu sich hoch und brüllte besinnungslos:
„Karl! – Wo ist Karl?“ Dabei schüttelte und drehte Rachel – wie Jack die Furie spontan taufte – den Kopf der Rastafari-Braut wie von Sinnen hin und her.
„Stopp!“, brüllte Jack, stolperte zwei Schritte auf die mit unverminderter Kraft schreienden Verrückten zu. Vielleicht war dem Lockenkopf ja noch zu helfen, hoffte Jack und packte Rachels Handgelenke. Er musste all seine Kraft aufwenden, um das Rütteln und Schütteln zu unterbinden.
„Schluss jetzt!“, herrschte er die Irre durch seine Atemmaske an. „Lassen Sie die Frau los. – Lassen Sie sie...!“ Jack unterdrückte mühsam den aufkommenden Brechreiz, als er unvermittelt in das Gesicht der Rastafari-Braut blickte. Da war kein Gesicht mehr, sondern nur noch dampfende Hirnmasse. Ein einzelnes Auge hing wo in besseren Tagen die Nase gewesen sein musste. Pumpgun-Schrot aus nächster Nähe ins Gesicht. Das krächzend und knackend zum Leben erwachende Intercom in seinem Helm unterbrach glücklicherweise die grausige Bilderflut, die Jack zu lähmen drohte.
„Jack, Flashover auf acht Uhr. Raus hier, sofort!“, bellte der Späher, Jacks hundertachtzig Pfund schwere Lebensversicherung von gegenüber. Jacks Kopf schnellte in die angegebene Richtung und das Blut gefror ihm in den Adern. Hinter einer einen Spalt breit offenen Tür sah er eine tiefschwarz pulsierende Rauchwolke.
Pyrolysegase... Horizontale Flammenausbreitungsgeschwindigkeit 10m/sek... Vollbrand bei 1000 Grad Celsius. Jack vergewisserte sich mit einem schnellen Rundblick, dass sich der dritte Körper – ein Mann? – weder bewegte, noch irgendwelche Lebenszeichen von sich gab. Und zum ersten Mal in seinem Leben war er froh, dass der es nicht tat. Er fuhr herum und herrschte die immer noch kreischende Verrückte an:
„Kommen Sie, wir müssen hier raus! Gleich fliegt uns der ganze Mist um die Ohren. Kommen Sie, hier ist keiner mehr am Leben.“ Keine Reaktion. Lediglich Rachels Schreien wurde leiser, unterbrochen von immer länger anhaltenden Hustenanfällen. Jack versuchte ihre Hände aus den Locken der Toten zu lösen, an deren Kopf sie noch immer wie wahnsinnig zerrte, als wolle sie eine Antwort aus der leblosen Gliederpuppe herausschütteln.
Wie konnte ein so zarter Körper eine derartig titanische Kraft entwickeln? Die Irre schien mit dem Boden verwachsen zu sein und bewegte sich keinen Millimeter. Langsam wurde es eng.
Keine Zeit mehr für Netiquette. Mit der Stablampe schlug Jack der Verrückten beherzt auf Handrücken und Finger, fasste sie gleichzeitig um die Hüfte und hob sie mit einem Ruck vom Boden. Verwunderung, Schmerz und Wut überzogen Rachels puppenhaftes Gesicht, als ihr Kopf ruckartig zu Jack herumfuhr. Ihre blaugrünen, vom Rauch geröteten Augen funkelten irrsinnig. Aber immerhin ließ sie die grausig verstümmelte Leiche der Rastafari-Braut los. Jack nutzte den Überraschungsmoment, schulterte Rachel in bester Footballspielermanier und stolperte der zerstörten Glasfront entgegen. Es war der pure Wahnsinn. Rachel zappelte, schrie und schlug um sich, während Jack die Sauerstoffflasche abzustreifen versuchte. Er musste unbedingt ihrer beider Gewicht reduzieren. Wie er das zappelnde Bündel auf seiner Schulter rechtzeitig in den Bergegurt bekommen sollte, war ihm allerdings vollkommen schleierhaft.
„Umdrehen, Jack! Sofort! – Die Safeknacker sind da! – Zur Tür, lauf!", dröhnte der Späher in seinem Ohr. Jack drehte sich taumelnd um einhundertachtzig Grad und hastete der immer noch verriegelten Tür entgegen. Blindes Vertrauen, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Blind war er mittlerweile wirklich beinahe, denn die vor Anstrengung beschlagene Atemschutzmaske nahm ihm zunehmend die Sicht. Durch den milchigen Nebel schielte Jack in Richtung der pulsierenden Rauchwolke an der Decke des angrenzenden Raumes. Sie streckte bereits ihre ersten krakenhaften Arme in Richtung des flammenden Infernos.
„Kontakt in fünf Sekunden!, schrie der Späher mit sich überschlagender Stimme. Jack war noch mindestens drei Meter von der rettenden Tür entfernt. Die zu allem Überfluss immer noch fest verschlossen war. Das schaffst du nie, durchfuhr es Jack. Panik schnürte ihm die Kehle zu. Sein Atem rasselte. Die Muskeln waren müde und schwer. Sein Körper war kurz davor, ihm den Dienst zu versagen. Nur noch reine Willenskraft trieb ihn an, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
„Lass los, Jack. – Das schaffst du nicht mehr. – Lass einfach los“, flüsterte die Schlange in seinem Kopf. Es lohnt die Mühe nicht.
„Nein!“, schrie Jack wütend. „Nein! Es ist erst zu Ende wenn ich es sage!“ Verzweifelt mobilisierte er seine letzten Kraftreserven. – Da überschlugen sich die Ereignisse.
Die beiden Flügel der schweren Bürotür flogen genau in dem Augenblick auf, als sich das Rauchgasgemisch hinter Jack und seinem Bündel entzündete. Starke Männerarme rissen ihn und die Wahnsinnige hinaus in den Flur und beidseits der Eingangstür zu Boden. Schwere Löschdecken wurden blitzschnell über das Menschenknäuel geworfen, während die tausend Grad heißen Flammen der Rauchgasexplosion über sie hinweg schossen. Dunkelheit legte sich über Jacks Bewusstsein und gönnte ihm eine kurze Auszeit.
Auf einer Krankenbahre kam Jack langsam wieder zu sich. Neben ihm lag die unbekannte Schöne. – Sie lebt, dachte Jack erleichtert. Sie lebt, Gott sei Dank. Erst jetzt registrierte er, dass die Sanitäter Rachel fixiert hatten. Jack wollte sprechen, sie fragen, was da oben eigentlich passiert war, aber dafür war es schon zu spät. Rachels Augenlider flatterten ein letztes Mal, dann schossen sie sich und ihr Kopf sank matt zur Seite.
Ruhig gestellt, die haben sie ruhig gestellt, schoss es Jack durch den Kopf. So ein Schwachsinn. Er brauchte Antworten. - Wer war diese Frau? Und wer waren die Toten? Wer war dieser Karl? War er immer noch im 16ten Stock? War er der Pump Gun Killer?
Jack musste dringend mit dem Einsatzleiter reden. Ihn warnen... Er kämpfte sich mühsam hoch. Sein Schädel pochte und dröhnte als wolle er platzen. Gerade wollte er die Beine von der Bahre schwingen, da drückte ihn ein Rettungssanitäter sanft aber bestimmt wieder auf die Bahre zurück.
„So junger Mann, wir bleiben hübsch liegen und lassen uns erstmal wieder schön zusammenflicken. Alles andere kann warten.“
„Aber...“, versuchte Jack mühsam.
„Kein aber! Das pikst jetzt kurz ein bisschen und dann werden Sie erst mal schön schlafen.“
Jack bäumte sich mit letzter Kraft auf. „Aber Karl...“
„Ich heiße Rüdiger, Schätzchen“, lächelte der Sanitäter süffisant.
„Doch nicht Du... da oben ist noch ein...“ tröpfelte es immer unzusammenhängender aus Jack heraus.
„Sweet dreams, mein Großer“, war das letzte was Jack im Wegdämmern noch hörte, ehe ihn das Schlafmittel von seinen wirren Gedanken erlöste.
Ein halbes Jahr zuvor: Heuschrecken
Lässig schlenderte Franz von Moor um seinen gewaltigen Mahagonischreibtisch herum. Er war in einer geradezu euphorischen Stimmung. Mit glänzenden Augen betrachtete er die aktuellen Börsenkurse auf einem Plasmabildschirm, der fast die gesamte gegenüberliegende Wand ausfüllte.
Heureka! Der Reispreis war innerhalb von nur sechs Monaten um 83 Prozent gestiegen. Der Preis für Mais um 67 Prozent und der Index für Getreide gar um 111 Prozent. Heureka! Die Vorstellung, wie einst Archimedes von Syrakus nackt durch die Stadt zu stolzieren, amüsierte