Achim Grauer

Occupys Soldaten


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seine Beine ergoss, den schalenförmigen Sitz anfüllte und leise über den Rand auf den Betonboden zu tröpfeln begann. Er war wieder einer Ohnmacht nahe, aber die Erinnerung an den ätzenden Geruch des Riechsalzfläschchens hielt ihn im Hier und Jetzt.

      „Jetzt haben Sie sich auch noch eingenässt. Wie wird denn das gleich auf youtube aussehen?“ Aufrichtige Besorgnis klang anders. Aber das erwartete Schollenbruch auch nicht von seinem Folterknecht. Er glitt allmählich in einen Zustand völliger Apathie ab.

      „Schollenbruch, ich mache Sie zum Medienstar. Was sagen Sie dazu?“ Schollenbruch stöhnte auf und verdrehte die Augen, dass fast nur noch das Weiße zu sehen war.

      „Kommen Sie, bleiben Sie bei mir.“ Guy Fawkes tätschelte seine Wangen.

      „Nicht wegdämmern. Sonst muss der Onkel wieder das böse Riechsalzfläschchen holen.“

      Schollenbruch schluchzte, Tränen flossen in Strömen über seine Wangen.

      „Nein bitte, Sie brauchen mir doch nicht zu danken. Das Beste kommt ja noch. – Ich gebe ihnen die einmalige Chance ein Mensch zu werden. Bisher sind Sie ja noch in einer Art vormenschlichem Stadium gefangen. Im Stadium des Homo Speculantius, sozusagen. Sehen Sie, während die Welt an ihrem Leiden teilhaben darf und ihre Bank einige Milliarden an verschiede Hilfsorganisationen einzahlen wird, werden wir die Zeit nutzen und aus ihnen ein nützliches Mitglied unserer Gesellschaft machen.“

      Mit wenigen Handgriffen reduzierte die Maske das Licht auf ein erträgliches Maß und gab den Blick frei auf eine Leinwand, die an der gegenüberliegenden Seite der Wand hing. Sie war so angebracht, dass sie Schollenbruchs Blickfeld komplett ausfüllte.

      „Und hier wäre auch schon unser erster kleiner Lehrfilm. Bitte entschuldigen Sie die zum Teil lausige Qualität. Aber uns soll es doch auf den Inhalt ankommen, nicht wahr? Ich habe ihnen ein schönes Potpourri zusammengestellt.“ Die Maske drückte ein paar Knöpfe, ein Beamer fuhr langsam hoch bis er seine volle Lichtstärke erreicht hatte.

      „Das Sterben in der Dritte Welt. Von der Sahelzone, über Somalia bis ans Horn von Afrika. Viel Spaß dabei und carpe diem, Dr. Schollenbruch. Wir sehen uns wieder, wenn ihre mächtigen Freunde und Vorstandskollegen meine Forderungen erfüllt haben.“

      Guy Fawkes startete die Übertragung und schickte sich an zu gehen. An der schweren eisernen Stahltür wandte er sich noch einmal um.

      „Sollte sich tragischer Weise herausstellen, dass ihre Freunde Sie für - wie haben Sie das doch gleich so schön formuliert - „einen entbehrlichen Bodensatz unserer Gesellschaft“ halten, dann fürchte ich, werden wir uns bedauerlicher Weise nicht mehr wieder sehen.“

      Karl von Moor

      Karl konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Der Streifschuss quer über seine rechte Gesichtshälfte blutete stark. Er schob sich die Baseballkappe tiefer ins Gesicht und lauschte. Eine Kakophonie an- und abschwellender Töne hallte durch die Häuserschluchten des Frankfurter Bankenviertels.

      In einiger Entfernung heulten Sirenen durch die Nacht.

      Er zitterte am ganzen Körper. Lederjacke, T-Shirt und Edeljeans waren von Flammen und Rauch angesengt und klebten rußverschmiert und schweißnass wie alte Lumpen an Karls durchtrainiertem Körper. Zu allem Überfluss stank er erbärmlich nach Müll und Unrat.

      Unter der Jacke wurde es unerträglich heiß.

      Nicht die Kontrolle verlieren. Langsam weitergehen. Atmen, ruhig atmen. Aber das konnte er sich einreden sooft er wollte. Er hatte gerade die Frau verloren, die er über alles liebte.

      Wie sollte es da weitergehen? Tränen liefen über sein vom Ruß geschwärztes Gesicht und überzogen es mit seltsamen Linien.

       Warum konntest du dich nicht raushalten? Nur dieses eine Mal? Du... Du…

      „Du scheiß-emanzipierte pseudopolitisch korrekte blöde Kuh“, brüllte er verzweifelt in die menschenleere Hochhauswüste. Schluchzend trommelte der gegen das kalte Glas einer Fensterfront und stammelte:

      „Ich hasse dich...„ Wieder und wieder. Er sank an der Glasfront herunter und umklammerte seine Beine.

      Bilder der sterbenden Freunde drängten an die Oberfläche. Erschossen von seinem eigenen Bruder. Ein heftiges Zittern schüttelte Karl. Er kippte zur Seite. Lag da wie ein unschuldiges Baby.

       Ich habe meinen Bruder umgebracht. Hab ihn erschossen. Ich...

      Würgend stemmte sich Karl auf alle viere. Aber es gab nichts mehr, was er hätte von sich geben können. Dünne, gallebittere Speichelfäden tropften auf den Boden.

       Was hab ich getan? Was hab ich bloß getan?

      Dem feinen Brüderchen eine Lektion erteilen. Diesem Gernegroß, der seine Konten sperren ließ. Weiß der Henker wie er den Alten dazu gebracht hatte. Das konnte er Franz doch nicht durchgehen lassen.

       Auge um Auge. Zahn um Zahn. - Aber ihn töten?

      Karl wurde schwarz vor Augen.

       Atmen, ruhig atmen.

      Er riss die Augen auf, konnte aber nur verschwommene Umrisse wahrnehmen. Wenigsten war niemand in seiner Nähe, soweit er das feststellen konnte.

       Ausruhen.

      Sie hatten Franz aus dem Bett seiner Penthousesuite gezogen, ihn in sein Büro im 16ten Stock der Taunusanlage 11 geschleift und von ihm die Zugangscodes für das interne Buchungssystem verlangt. Spiegelberg und die Schweizerin machten sich daran, ein paar Milliönchen umzubuchen. Sie waren gerade dabei den Transaktionsalgorithmus zu installieren, als Amalia plötzlich hereinplatzte.

      Sie hatte Wind von der Aktion bekommen und versucht, ihn davon abzubringen.

      Er hatte sie außer Gefecht gesetzt. Nicht eben Gentleman like. Amalia litt an einem seltenen Gendefekt. Myotonia congenita. Besser bekannt als Temporäre Muskelstarre.

      Auf youtube kursierten lustige kleine Filmchen von den Tennesee Fainting Goats. Einer amerikanischen Ziegenart, die unter demselben Gendefekt leidet und deren Muskulatur sich unter enormem Stress für kurze Zeit völlig versteift.

      Karl hatte nicht damit gerechnet, dass Amalia ihnen folgen würde.

       Warum musste sie sich nur immer in alles einmischen?

      Und dann war das Chaos ausgebrochen. In der allgemeinen Verwirrung hatte Franz eine Pump Gun aus einem verborgenen Fach seines Schreibtisches gezogen und wild um sich geballert.

      Spiegelberg erwischte es zu erst. Blut und Gedärm quoll zwischen seinen Händen hervor. Die Schweizerin stürzte sich auf Franz. Doch der schoss ihr einfach das Gesicht weg. Und Karl hielt plötzlich Spiegelbergs Revolver in Händen, als Franz die Pump Gun auf ihn richtete.

      Er oder ich. So einfach war das.

      Franz ließ mir doch gar keine Wahl. Für eine Wahl braucht man nämlich mindestens zwei Möglichkeiten. Oder? Oder etwa nicht?

      Außerdem war es letztendlich keine bewusste Entscheidung mehr gewesen. Nur Instinkt. Purer Überlebenswille.

      Er war sprichwörtlich außer sich gewesen und zögerte einen Sekundenbruchteil.

       Blut ist dicker als Wasser. - Wie banal.

      Franz war da ganz offensichtlich anderer Meinung und feuerte seine Pump Gun ab. Der Beobachter Karl brüllte den realen Karl an, endlich abzudrücken. Oder wenigsten seinen Allerwertsten, bzw. sein weit edleres, weil wertvolleres Körperteil, den Kopf, aus er Schussbahn zu bringen. - Die Schrotkugel streifte seine rechte Schläfe. - Er schaffte es gerade noch den Revolver abzufeuern, sah seinen Bruder getroffen zu Boden gehen, ehe er selbst das Bewusstsein verlor und Amalia wieder zur Salzsäule erstarrte.

       Steh