Achim Grauer

Occupys Soldaten


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      Jack wand sich nach links und wäre beinahe auf dem frisch gewischten, spiegelglatten Fußboden ausgerutscht. Den gelben Warnaufsteller hatte er glatt übersehen. Vorsichtig schlurfte er auf die Kriminalwache zu. Mit einem Luftgewehr auf dem Rücken hätte er sicher wie ein Biathlet ausgesehen. Am Empfangstresen angekommen, drückte er die obligatorische Klingel und wartete bis ein jugendlich dynamischer Kriminalhauptkommissar hinter der Glasscheibe auftauchte und ihn fragend ansah.

      „Kosinski. Jack Kosinski, guten Tag. Ich werde von Kriminaloberrat Rodgaus erwartet.“

      Jack hatte versucht selbstbewusst zu klingen, musste sich aber eingestehen, dass ihn diese typische Bittstellerposition vor der Glaswand prompt ein wenig eingeschüchtert hatte. Im Kino sah das immer so einfach aus.

      „Bitte warten Sie einen Augenblick, Sie werden gleich abgeholt“, erwiderte der Rodgaus-Klon kühl und verschwand wieder in der Tiefe des Raumes.

       Worauf hab ich mich da bloß eingelassen?

      Da war ja der Sorgerechtsstreit mit seiner Ex ein Kindergeburtstag dagegen. Nach einer Weile, die Jack wie eine Ewigkeit vorkam, erschien sein wortkarger Führer. Ein Rotschopf, der beim Entenhausener Pfadfinderclub „Fähnlein Fieselschweif“ noch locker als Eleve durchgegangen wäre, aber schon jetzt eine Arroganz ausstrahlte, dass es einem schlecht werden konnte.

      Nach einem Marsch über endlose Flure, vorbei an Gewahrsamszellen, Koordinationszentralen und Befehlsstellen, landeten sie schließlich im 6. Stock des Westflügels. Freundlicherweise hoben sich die einzelnen Bereiche farblich voneinander ab. Von Gelb im Eingangsbereich, über Rot und Grün bis hin zu Blau im Westflügel. Rodgaus Reich.

       Na das passt ja.

      „Willkommen im Land der Heiterkeit, Harmonie und Zufriedenheit. Einem Ort zum Seele baumeln lassen und die unbekannten Tiefen ihres Unterbewusstseins zu ergründen.“, brummte Jack leise vor sich hin.

       Oder was immer die Farbe Blau sonst noch symbolisieren mochte.

      „Warten Sie hier, Herr Kosinski“, raunzte ihn der Rotschopf in gewohntem Befehlston an und verschwand hinter einer Tür.

      Jack blickte den eintönigen Flur mit seinen unzähligen immer gleichen Türen entlang.

      „Ach sagte die Maus...“

      Nemesis

      „Herr Kosinski, schön dass Sie es einrichten konnten.“ Rodgaus Stimme schreckte Jack aus seinen Grübeleien.

      „Ich hatte gerade nichts anderes vor.“ Der Sarkasmus in Jacks Stimme war nicht zu überhören. Rodgaus zeigte jedoch keinerlei Regung. Er schien den Satz überhaupt nicht gehört zu haben.

      „Zimmer 911 im Vierten. Ich werde Sie begleiten“, fuhr Rodgaus kurzangebunden fort und setzte sich in Bewegung.

      „Ein klassisches Verhörzimmer mit Venezianischem Spiegel, Mikros und Videoaufzeichnung. Ganz wie im Kino.“

       Nur dass Dich da keiner spielen könnte. Soviel Klischee hält doch keiner aus...

      „Sie haben eine Stunde, dann machen wir eine Pause von 15 Minuten. Dann noch mal eine Stunde...“

      „Und wenn ich mal pinkeln muss?“, unterbrach ihn Jack.

      Rodgaus blieb so abrupt stehen, dass Jack ihm fast in die Hacken gelaufen wäre. Der wand sich halb um und zischte Jack mit seiner Countertenorstimme bedrohlich leise an:

      „Wenn Sie noch einmal versuchen, sich in der Öffentlichkeit über mich lustig zu machen, reiße ich Ihnen den Zeigefinger aus und nähe ihn eigenhändig quer über Ihr verdammtes Schandmaul, verstanden?“ Jack starrte Rodgaus entgeistert an.

      Der wand sich ab, als hätte er Jack gerade lediglich darauf hingewiesen, in den Amtsfluren doch bitte nicht so laut zu sprechen und betrat den Aufzug, der ehrfürchtig auf seinen Herrn und Meister gewartet zu haben schien. Jack blieb nichts anderes übrig als ihm zu folgen.

      Die Türen schlossen sich geräuschlos und der Fahrstuhl setzt sich mit einem kaum merklichen Ruck in Bewegung. Die Lüftung blies Jack die unangenehm kühle Klimaanlagenluft direkt in den Nacken. Rodgaus blieb davon scheinbar unbeeindruckt.

      „Unser Erkenntnisstand. Erstens: Die Unbekannte ist in keiner nationalen oder internationalen Verbrecherkartei zu finden. Was den Schluss zulässt, dass Sie bisher noch nicht straffällig geworden ist.“

      Gott sei Dank. Jack fiel ein Stein vom Herzen. 5ter Stock.

      „Zweitens: Die Unbekannte hat laut Schmauchspurentest keine Waffe abgefeuert.“

      Das wurde ja immer besser. 4ter Stock. Lautlos öffnete sich die Tür und Rodgaus übernahm wieder die Führung.

      „Was aber auf Grund der Rauchentwicklung am Tatort nicht weiter verwunderlich und somit irrelevant ist.“

       Wäre auch zu schön gewesen.

      „Drittens: Die Tatwaffe wurde nicht gefunden. Dafür aber ein Revolver, der ebenfalls benutzt wurde. Der darauf befindliche Handabdruck ist leider vom Blut des Hackers verschmiert und unbrauchbar. Lässt aber auf Grund seiner Größe den Schluss zu, dass es sich bei dem Täter in jedem Fall um einen Mann handeln muss. Der Abdruck stammt eventuell also vom Hacker selbst. – Passen Sie gefälligst auf Sie Kretin“, herrschte Rodgaus den Putzmann an, der mit einer beinahe manischen Akribie den Flur vor dem Verhörzimmer 911 wischte und dabei Rodgaus edles Schuhwerk bespritzt hatte.

       Rudolf Scheer. Zweieinhalb Mille das Paar.

      Jack fragte sich gerade, wie sich ein Kriminaloberrat solche Schuhe leisten konnte, da öffnete Rodgaus schon schwungvoll die Tür und trat in einen abgedunkelten Raum.

      „Viertens:“ Jack folgte zögernd. „Wir konnten alle sechs abgefeuerten Projektile sicherstellen. Fünf befanden sich in den Wänden des Büros. Das Sechste lag mitten im Raum. Auf Grund seiner Deformation können wir davon ausgehen, dass die Kugel einen Körper glatt durchschlagen hat. Was den Schluss nahe legt, dass mindestens noch eine weiter Person im Raum gewesen sein muss, die jetzt mit einem veritablen Loch durch die Lande streift.“

      Jack war aufrichtig beeindruckt. Die Jungs hatten ihren Job gemacht. Er sah Rodgaus das erste Mal seit sie aufeinander getroffen waren in einem anderen Licht. Und das lag nicht nur an der schummrigen Beleuchtung.

      Rodgaus hatte offensichtlich gesagt, was er zu sagen gedachte, denn er stand nun wieder auf die ihm eigene statuenhafte Art mit dem Rücken zur Wand und fixierte einen imaginären Punkt an der gegenüberliegenden Seite des Raumes. Jack folgte Rodgaus Blick und hätte beinahe laut aufgeschrieen.

      Sie stand genauso unbeweglich und unnahbar im hell erleuchteten Verhörraum wie gestern Nacht im Flammenmeer des Büros. Vor ihr ein Tisch mit zwei Stühlen. Darin eingelassen ein Mikrofon. Daneben zwei Gläser und eine volle Wasserkaraffe. Sie sah Jack direkt in die Augen. Freilich ohne ihn zu sehen. Das verhinderte der Venezianische Spiegel hinter dem Jack sich verbarg. Ihr Blick war nicht mehr Ausdruck puren Irrsinns. Ihre Augen funkelten eher wie Sterne kurz vor einer Supernova. Was eigentlich auch keine bahnbrechende Verbesserung darstellte. Trotzdem atmete Jack hörbar auf. Er war einfach dankbar dafür, dass Rodgaus ihn nicht ins kalte Wasser geworfen hatte.

      Ein kurzer Seitenblick sagte Jack, dass er noch ein wenig Zeit hatte „seine Irre“ zu beobachten, die ihn immer noch ansah.

      Man hatte ihr einen schlichten, schwarzen Trainingsanzug der Frankfurter Polizei gegeben, der offenbar ein paar Nummern zu groß war. Trotzdem konnte dieser Schlabberlook weder ihre wohlproportionierte Figur, noch eine Haltung, die schon beinahe aristokratisch war, hinreichend verbergen. Sie gehörte eindeutig zu jener Sorte Frau, der man auch einen Kartoffelsack überziehen konnte und trotzdem würde es so aussehen, als sei der von Armani geschneidert.

      Eine dicke weiße Cremeschicht, die die offenbar doch in Mitleidenschaft