Achim Grauer

Occupys Soldaten


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Er konnte ihren durchtrainierten, athletischen Körper spüren, der sich wie selbstverständlich an den seinen schmiegte.

       Mann, Mann, Mann.

      Jack spürte ihre straffen Brüste, die sich in der Umarmung angenehm an seine Brust drückten. Der Trainingsanzug roch nach einem Billigwaschmittel, konnte aber ihren angenehm süßlich herben Körpergeruch nicht ganz überdecken. Jacks Hals war auf einmal staubtrocken. Ehe er noch etwas erwidern konnte, war dieser überraschende Moment der Nähe auch schon wieder vorüber und sie wandte sich von ihm ab. Völlig überrumpelt presste Jack ein:

      „Ich... ich hab nur meinen Job gemacht... ich meine, ich hab ihn natürlich gern gemacht…“ heraus.

      Sie schien ihn gar nicht zu hören. Stattdessen starrte sie, wie Jack jetzt erst bemerkte, gedankenverloren auf das schlichte weiße Steinkreuz mit den eingravierten, schwarzen Lettern: Pauline Schmidt.

      Paulines Grab war ein beliebtes Touristenziel. Jack hatte selbst schon oft davor gestanden. Das im Jahre 1858 verstorbene Mädchen hatte dem Frankfurter Psychiater und Kinderbuchautoren Heinrich Hoffmann zur Vorlage für eine Geschichte in seinem bekanntesten Werk gedient. Dem Struwwelpeter.

      „Nennen Sie mich Lina“, murmelte sie unvermittelt und verstummte sofort wieder. Offenbar war sie sich ihrer Sache weit weniger sicher als sie vorgab.

      Was dein Feind nicht wissen soll, das sage deinem Freunde nicht, ging es Jack durch den Kopf.

      „Hören Sie Lina, ich bin ein einfacher Feuerwehrmann. In der Regel habe ich wenig Interesse an Problemen anderer Leute. Eben weil diese Probleme nicht meine sind und ich in meinem Job leider viel zu oft das Ergebnis irgendeiner Einmischung aus einem Wagen schneiden, von Fenstersimsen zerren oder vom Boden abkratzen muss. Verstehen Sie?“

      Jack zögerte kurz, da von ihr aber keine Reaktion kam, fuhr er mit schonungsloser Offenheit fort.

      „Ich habe einfach keine Lust bei der schon zwanghaft gewordenen Dramatisierung des Banalen mitzumachen.“

      Jack wartete vergeblich auf eine Reaktion, dabei war er sich nicht einmal sicher, ob Lina ihm überhaupt zuhörte.

      „Sie stehen mitten in der Nacht im lichterloh brennenden 16ten Stock eines Bankenhochhauses. Um sie herum liegen zwei, drei bestialisch zugerichtete Leichen und Sie brüllen nach einem Typ namens Karl. Wir holen Sie da raus, weil es unser Job ist. Das Boulevard macht die unvermeidliche Heldennummer daraus. – Und Ende der Geschichte! Verstehen Sie? So läuft das für gewöhnlich und so mag ich das auch! – Vom Heldenschwachsinn mal abgesehen. – Stattdessen lustwandle ich hier mit ihnen über den Frankfurter Hauptfriedhof, weil die quotengeile Medienlandschaft diesen billigen Überfall zum Terrorakt hochstilisiert hat und dem großartigen Herrn Generalbundesanwalt der Allerwerteste auf Grundeis geht. – Hab ich noch was vergessen? – Ach ja, natürlich! – Jede völlig banale Geschichte braucht selbstverständlich etwas Geheimnisvolles! – Und das hat Madame freundlicherweise gleich mitgeliefert. Weil Madame es nämlich vorzieht zu schweigen!“

      Jack hatte sich in Rage geredet und starrte Lina jetzt herausfordernd an.

      „Wissen Sie, bis dahin kann ich die ganze gequirlte Hirngrütze sogar verstehen! – Ja, wirklich! – Wer mit DSDS, Big Brother und Florian Silbereisen aufgewachsen ist, den kann eigentlich kaum noch etwas erschüttern. – Aber verraten Sie mir doch bitte eins: Warum in Dreiteufels Namen ich! Warum haben Sie sich gerade mich zum Beichtvater auserkoren? Sie glauben doch nicht ernsthaft, ich könnte ihnen helfen. – Mein Name ist Kosinski, Jack Kosinski. Und ich bin ein einfacher Feuerwehrmann und nicht James Bond!“

      Jack starrte Lina unverwandt an. Einerseits erstaunt über seine Fabulierwut. Andererseits ein wenig verärgert über Linas beharrliches Schweigen. Und zum Dritten leicht berauscht vom eigenen Gefühlsausbruch.

      Die Stille, die folgte, war beklemmend. Jack hätte sich ohrfeigen können. Wieder einmal war er mit seiner direkten Art übers Ziel hinausgeschossen. Gerade als er zu einer Entschuldigung ansetzten wollte, flüsterte Lina heiser:

      „Sie sind der Einzige, dem ich vertrauen kann. – Wie spät ist es?“

      Ihre unzusammenhängende Art zu kommunizieren irritierte Jack. Widerwillig warf er einen kurzen Blick auf seine Rolex Yachtmaster.

      „Viertel nach Elf“, antwortete Jack knapp.

       Ich bin der Einzige dem Du vertraust? Wie kam Sie nur auf diese absurde Idee? Sie kannte ihn doch kaum?

      Es gab wenige Menschen denen Jack vertraute. Er konnte sie an den Fingern einer Hand abzählen. Diese sehr besonderen Menschen hatten sich sein Vertrauen hart erarbeiten müssen. Und dass Lina so vollkommen anders ticken sollte, nahm er ihr einfach nicht ab.

      „Also ich an Ihrer Stelle wüsste nicht warum ich mir vertrauen sollte“, nahm Jack den Faden wieder auf.

      „Bloß weil ich Sie da rausgeholt habe, macht mich dass noch lange nicht zum Heiligen. – Schreiende Wahnsinnige aus Hochhäusern zu schleifen ist mein Job, Lina. So was mach ich ständig! Weil ich Feuerwehrmann bin und kein Polizist! – Feuerwehrmänner retten, Polizisten klären auf. Und die netten Jungs vom BKA brauchen dringend ihre Unterstützung, sonst basteln die sich ihre eigene Wirklichkeit. Und ich glaube nicht, dass die Ihnen gefallen wird.“

      „Und wie soll diese Wirklichkeit aussehen?“, entgegnete ihm Lina leise.

      „Die glauben, dass Sie etwas mit der Schollenbruchentführung zutun haben und dass die „Moor & Moor“ Nummer auf dasselbe hinaus laufen sollte, aber offensichtlich völlig aus dem Ruder gelaufen ist.“

      „So ein Quatsch“, fauchte Lina ohne von Paulines Grab aufzusehen.

      „Wenn das so ein Quatsch ist, warum dann diese ganze Geheimnistuerei? Warum sagen Sie denen nicht einfach, was letzte Nacht wirklich passiert ist?“

      Langsam ging Jack dieses Gezicke auf die Nerven.

      „Weil nicht immer alles nur schwarz oder weiß ist“, entgegnet Lina mit bemühter Beherrschung.

      „Weil Männer wie dieser Rodgaus wenig Interesse an der Wahrheit, dafür aber umso mehr Interesse an Macht und Geltung haben.“ Linas Stimme zitterte.

      „Weil Menschen sterben werden, wenn ich nicht das Richtige tue.“

      Lina sah Jack jetzt mit ihren klaren blaugrünen Augen eindringlich an.

      „Ich vertraue ihnen Jack, weil Sie der einzige Mensch in diesem Albtraum sind, der keinen Profit daraus ziehen möchte. – Sie denken nicht nur an ihre Karriere oder ihren private Vorteil. – Deshalb vertraue ich Ihnen, Jack!“

      Wieder trat eine angespannte Stille ein. Jack war verwirrt. Denn obwohl Lina ihrer Mischung aus kryptischen Andeutungen und dramatischer Überhöhung treu geblieben war, konnte er Ihre Begründung nachvollziehen. Zwei Dinge gefielen ihm daran allerdings überhaupt nicht. Und je mehr er darüber nachdachte desto unwohler fühlte er sich in seiner Haut. Wie sollte er ein Problem lösen, dessen Ausmaß er noch nicht einmal wirklich verstanden hatte? Wie sollte er es mit den ausgekochten Profis vom BKA aufnehmen, denen ein unerschöpflicher Polizeiapparat zur Verfügung stand? Mal ganz abgesehen von Occupys Soldaten, die ganz offensichtlich hinter dem ganzen Schlamassel steckten? Und selbst wenn dieses Paket noch nicht gereicht hätte Jack davon abzuhalten sich auf Linas Bitte einzulassen, ihre beinahe körperlich spürbare Todesangst tat es.

       Was macht dir so eine Höllenangst? Oder sollte er besser fragen WER? – Karl?

      Während Jack noch mit sich haderte, blies ein Windhauch die Ahnung feinsten Zigarrenrauchs aus dem hinteren Teil des Friedhofs zu Jack herüber. Dankbar für die Ablenkung nickte Jack anerkennend.

      Spitzenware.

      Er hatte, als er sich vor Jahren einmal eine Auszeit gegönnt hatte, selbst bei einem kubanischen Torcedor das Ziggarendrehen gelernt. Eine mühsame Arbeit, die ein hohes Maß an Gewissenhaftigkeit und Präzision erforderte. Für Jack war die Arbeit zu