M.H. Murray

Tod am Lagerhaus


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hatte seine Galerie vor sechs Jahren eröffnet und schien sehr erfolgreich zu sein, auch im internationalen Kunsthandel. Er besaß teure Sportwagen und eine Villa in den Hügeln von Hollywood. Er war nicht verheiratet und angeblich auch nicht in einer festen Partnerschaft. Auf einigen Fotos sah man ihn in Begleitung verschiedener junger Damen. Sarah war aufgefallen, dass alle blond waren. Ob da jemand eine Vorliebe für Blondinen hatte?

      Sie hatte gestaunt, als sie gelesen hatte, was alles für Stücke in seiner Galerie ausgestellt wurden. Obwohl ihr Herz der Polizei gehörte, interessierte sie sich immer noch für die Kunst. Schließlich hatte sie Kunstgeschichte studiert, bevor sie zur Polizeiakademie gegangen war.

      Fieberhaft suchte sie seit Tagen in jeder freien Minute nach mehr Informationen. Sie hatte es sich und auch Benny geschworen, seinen Mörder zu finden.

      ***

      Und dann tauchten sie erneut auf – Bennys starre Augen mit den Einschusslöchern dazwischen und brachten Sarah wieder zurück in die Gegenwart. Seufzend kippte sie den letzten Schluck Whisky hinunter.

      „Das hat also auch nicht geholfen“, murmelte sie entnervt.

      Sie stellte das Glas auf den Nachttisch und klappte ihren Laptop, der neben ihr auf dem Bett lag, auf. Der Browser war bereits geöffnet und ihre ersten Klicks führten sie unwillkürlich auf die Webseite von Grahams Galerie. Als ihr Blick auf die Seitenleiste fiel, huschte ein leichtes Zucken über ihre Mundwinkel und sie fasste spontan einen Entschluss.

      Kapitel 2

      Das Summen ihres Weckers riss Sarah aus dem Schlaf. Erst mit dem dritten Versuch brachte sie den kleinen Nervtöter endlich zum Schweigen.

      „Oh verdammt“, brummte sie müde und richtete sich auf.

      Doch dann huschte ein erleichtertes Lächeln über ihr Gesicht. Sie hatte zum ersten Mal seit zwei Wochen keinen Albtraum gehabt. Das gab ihr Zuversicht und Selbstvertrauen. Dieses hatte sie auch bitter nötig, wenn sie an ihren Plan dachte und sich vorstellte, wie Captain Mancini darauf reagieren würde. Vielleicht würde sie heute Abend auch gar keinen Job mehr haben.

      Nachdenklich schlüpfte sie aus dem Bett und ging in das Badezimmer. Sie stellte die Dusche an, zog sich aus und stieg hinein. Während das warme Wasser angenehm auf ihrer Haut prickelte, dachte sie noch einmal über ihren Entschluss nach und kam zu der Erkenntnis, dass sie dafür Hilfe brauchte und es gab nur eine Person, die dazu in der Lage war, sie zu unterstützen.

      ***

      Wie zu jedem Arbeitsbeginn in ihrem Büro, setzte sich Sarah an ihren Schreibtisch und checkte zuerst ihre E-Mails, bevor sie sich den Akten zuwandte. Heute jedoch wanderte ihr Blick immer wieder ungeduldig zu der Wanduhr über der Tür und als die Zeiger zehn Uhr anzeigten, stand sie auf und eilte hinaus. Sie lief den Flur entlang zum Fahrstuhl, der sie eine Etage nach oben beförderte. Dort stieg sie aus und strebte geradeaus auf eine Tür am Ende des Korridors zu, auf der ein Schild mit der Aufschrift. „Edward Grant, Chief“ prangte.

      Als sie die Tür erreicht hatte, zögerte Sarah für einen Moment, doch dann klopfte sie entschlossen an.

      „Ja bitte!“, hörte sie eine tiefe Stimme rufen.

      Sie drehte den Knauf, öffnete die Tür und trat ein.

      „Chief Grant, kann ich Sie in einer dringenden Angelegenheit sprechen?“, fragte sie den Mann, der hinter seinem Schreibtisch saß und nun zu ihr blickte.

      „Aber natürlich. Ich nehme an, es ist dienstlich?“, entgegnete er.

      „Jawohl Sir“, bestätigte Sarah.

      „Dann schließen Sie die Tür und nehmen Sie Platz, Detective Williams.“

      Sarah tat es und saß gleich danach dem Chief gegenüber. Dieser lächelte leicht.

      „Da wir nun unter uns sind, was ist so dringend, Sarah?“

      „Es geht um diesen Graham“, kam sie direkt zur Sache. „Ich hatte da so eine Idee und …“

      „Sarah, ich weiß, wie schwer es für dich ist“, unterbrach er sie. „Und vor allem nach der Beerdigung gestern muss es besonders schmerzhaft sein. Aber ich muss dich daran erinnern, dass das nicht dein Fall ist. Außerdem ist Captain Mancini dein direkter Vorgesetzter.“

      „Das weiß ich“, erwiderte sie trotzig. „Aber es geht hier nicht um mich, es geht nur um die Aufklärung des Falles, glauben Sie mir, Edward.“

      Chief Grant sah sie nachdenklich an, während Sarah schweigend abwartete. Sie kannte ihn gut genug, um ihn jetzt nicht weiter zu bedrängen. Edward Grant war fast so etwas wie Familie für sie. Sie kannte ihn, seit sie noch zur Schule gegangen war. Seine Frau Helen war die beste Freundin ihrer Mutter gewesen. Er hatte Sarah auch unterstützt in ihrem Wunsch, Polizistin zu werden und nach dem Unfall ihrer Mutter waren die Grants so etwas wie ihre Ersatzfamilie geworden. Damals, als Sarah noch auf dem College war.

      Edward Grant fuhr sich mit der Hand über die Halbglatze, was er immer tat, wenn er ein schwieriges Problem zu lösen hatte. Sarah wusste, dass es ihr den Anfang in der Mordkommission erleichtert hatte, dass er hier der Chief war – wenn auch nur noch für ein Jahr, danach würde er in Pension gehen. Aber bis dahin wollte sie durch ihre Leistungen jeden Zweifel an ihren Fähigkeiten ausgeräumt haben.

      Noch vor einigen Jahren hatte Chief Grant ihr immer wieder erzählt, wie er den Ruhestand zusammen mit seiner Frau in ihrem kleinen Haus genießen wollte. Doch seit dem Krebstod von Helen vor zwei Jahren träumte er nur noch davon, nach seiner Pensionierung so weit weg wie möglich zu reisen. Sarah musste einen Seufzer unterdrücken, als ihr erneut bewusst wurde, dass vor ihr der einzige Mensch saß, der ihr nach Bennys Tod noch als Freund - oder gar so etwas wie Familie, geblieben war.

      Chief Grant räusperte sich und hatte sofort Sarahs Aufmerksamkeit.

      „Also gut, ich werde mir deine Idee anhören“, entschied er. „Aber mehr verspreche ich dir im Moment nicht, und ohne die Zustimmung von Captain Mancini wird auch nichts passieren.“

      „Danke“, war Sarah erleichtert. „Es geht darum, ich war gestern Abend auf der Webseite von Grahams Firma. Dort war eine Anzeige geschaltet. Graham sucht für seine Galerie eine neue persönliche Assistentin mit Erfahrung in Kunst und Computerkenntnissen.“

      „Und?“, fragte Edward Grant und zog eine Augenbraue nach oben in der Vorahnung, dass ihm die Antwort auf diese Frage nicht gefallen würde.

      „Ich habe mich auf die Anzeige beworben. Unter dem Namen Sarah Porter“, bestätigte sie seine Befürchtungen.

      „Du hast was?“, rief er entsetzt aus. „Sarah, weißt du, was du da gemacht hast? Du hast damit nicht nur den Fall gefährdet, du hast deine Karriere, deinen Job aufs Spiel gesetzt.“

      „Aber wer weiß, wann sich so eine Chance wieder ergibt“, gab sie zu bedenken. „Ich musste einfach handeln.“

      Grant schüttelte den Kopf.

      „Du hattest keinerlei Befugnis dazu. Du bist nicht dumm und auch nicht erst seit gestern Nachmittag bei der Polizei. Du weißt, dass du so etwas nicht allein entscheiden darfst.“

      „Edward, bitte! Sie wissen doch auch, dass die Ermittlungen feststecken. Lassen Sie mich undercover zu Graham gehen! Er kennt mich nicht. Ich habe einen Studienabschluss in Kunstgeschichte und wie Sie wissen, habe ich den Spezialkurs in Computersicherheit an der Akademie absolviert. Wenn etwas in Grahams Daten ist, werde ich es finden.“

      Grant fuhr sich erneut über die Halbglatze.

      „Sarah, ich weiß, du willst Bennys Mörder unbedingt dingfest machen, jeder von uns möchte das, aber du bist zu emotional in diesem Fall.“

      „Das heißt also, Sie haben mich die ganze Zeit belogen?“

      „Wie bitte? Was meinst du?“

      „Sie haben mich all die Jahre bestärkt in dem Glauben, wie begabt ich doch bin, was für eine