M.H. Murray

Tod am Lagerhaus


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zu enttäuschen. Vielleicht hatte Edward Grant doch recht gehabt, als er gesagt hatte, sie sei zu sehr emotional in diesen Fall involviert. Nein! Das würde sie nicht zulassen. Sie würde beweisen, dass man ihr den Auftrag zu Recht anvertraut hatte.

      „Miss Porter?“, wurde sie von Amandas Stimme aus ihren Gedanken gerissen.

      „Ja?“

      „Mister Graham erwartet Sie in seinem Büro. Die Treppe hoch und einfach geradeaus, bis zum Ende des Flures und durch das Büro.“

      „Vielen Dank“, entgegnete Sarah, atmete tief durch und machte sich entschlossen auf den Weg zu David Graham.

      Die Treppe führte sie hinauf in einen breiten Flur. Sie ging weiter und als sie das Ende des Korridors erreicht hatte, trat sie durch eine offene Tür ein großes Büro. Hier befand sich ein Schreibtisch auf der linken Seite, während zahlreiche Aktenschränke an der Wand rechts von ihr aufgestellt waren. Genau gegenüber erkannte sie eine weitere Tür, die nach Amandas Beschreibung direkt in Grahams Büro führen sollte. Ohne zu zögern klopfte Sarah dort an.

      „Ja bitte!“, hörte sie leise und trat ein.

      Das Büro war ein großer, heller Raum mit einem riesigen Fenster, vor dem ein moderner Schreibtisch stand. Sarah war ein wenig überrascht. Auch wenn sie wusste, dass es dieses Klischee in der Realität doch selten gab, hatte sie sich in ihren Gedankenspielen ihr Zusammentreffen anders ausgemalt. Sie hatte sich darin vorgestellt, dass Leute wie Graham in dunklen Hinterzimmern sitzen würden und mit ihren Gangsterkumpanen Poker spielten und Whisky in sich hinein schütteten. Stattdessen saß David Graham allein hinter seinem Schreibtisch und blickte in ihre Bewerbungsunterlagen. Er trug weder Jacke, noch Krawatte, sondern nur ein dunkles Hemd und Sarah musste feststellen, dass er noch viel attraktiver war als auf den Fotos, die sie bisher gesehen hatte.

      „Guten Tag, Mister Graham“, grüßte sie ihn.

      „Guten Tag, Miss …“ Er las offensichtlich noch den Satz zu Ende und klappte dann den Ordner zu.

      Seine Stimme klang gelangweilt, so als ob es nur eine lästige Pflicht sein würde, sie zu empfangen.

      „Porter“, beendete er die Begrüßung und blickte zu ihr auf.

      Sarah bemerkte, wie dunkel seine Augen waren und dass sich seine Miene schlagartig aufhellte, als er sie erblickte. Sogar ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Er stand auf, ging um den Schreibtisch herum und streckte ihr die Hand entgegen.

      „Herzlich willkommen!“

      Sarah konnte seine Augen jetzt noch deutlicher sehen und spürte, wie ein leichtes Zittern durch ihren Körper lief. Sie hatte das Gefühl, in zwei Magnete zu schauen, denen man nicht entkommen wollte, auch wenn man wusste, dass man darin unweigerlich in der Unendlichkeit versinken würde. Dieser Mann war sehr wahrscheinlich ein Mörder, ein Monster, aber wie konnte dann allein sein Blick so eine ungewöhnliche Anziehungskraft auf sie ausstrahlen?

      Sie räusperte sich.

      „Ähm, danke!“

      Vorsichtig ergriff sie seine ausgestreckte Hand, um diese zu schütteln und verlor beinahe das Gleichgewicht, als die Berührung so etwas wie einen Stromschlag in ihren Nervenbahnen auslöste, der sich bis in ihren Bauch ausbreitete und sich dort in einem warmen Kribbeln auflöste.

      „Bitte, setzen Sie sich doch!“, bot Graham ihr an.

      Sarah war froh, auf dem Sessel vor dem Schreibtisch Platz nehmen zu können, da sie fürchtete, sich nach seiner Berührung nicht mehr auf ihre Beine verlassen zu können. Sie ertappte sich dabei, wie ihr Blick unwillkürlich von seinem Rücken hinunter auf seinen Hintern wanderte, als er wieder zurück auf die andere Seite des Tisches ging. Was war nur mit ihr los? Sie saß hier vor dem Mörder ihres besten Freundes und anstatt sich auf ihren Job zu konzentrieren, starrte sie ihm auf den Hintern – auch wenn es ein sehr süßer Hintern war.

      „Oh Gott, nein!“, stöhnte sie bei diesem Gedanken entsetzt auf.

      „Wie bitte?“, fragte Graham irritiert.

      Sarah spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Hatte sie das wirklich laut gesagt?

      „Nein, Entschuldigung, ein Irrtum. Ich dachte für einen Moment, ich habe vergessen, mein Auto abzuschließen. Aber das ist ja in der Werkstatt. Ich … Ich bin ein wenig nervös, tut mir leid.“

      „Muss es nicht, das ist doch in dieser Situation normal“, entgegnete er lächelnd.

      Sarah lächelte verlegen zurück.

      ’Na toll, verständnisvoll ist er auch noch. Kann er es mir nicht einfacher machen, ihn verabscheuen zu können?’

      Graham wandte seinen Blick nicht für eine Sekunde von ihr ab.

      „Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“

      „Nein, danke, sehr nett von Ihnen“, lehnte sie ab.

      „Nun gut, dann würde ich sagen, fangen wir an.“

      Er legte seine Hand auf ihre Bewerbungsunterlagen.

      „Ich habe mir Ihren Lebenslauf bereits durchgelesen und ich kann Ihnen sagen, dass Ihre Qualifikationen und bisherigen Jobs durchaus dem entsprechen, was ich von meiner Assistentin erwarten würde.“

      „Das freut mich, Mister Graham“, erwiderte Sarah erleichtert.

      „Oh bitte, nennen Sie mich David. Wir reden uns hier alle mit Vornamen an. Daran sollten Sie sich schnell gewöhnen, falls Sie den Job bekommen sollten.“

      „Ich werde es mir merken“, versprach sie. „Ich nehme an, Sie nennen mich dann Sarah?“

      „Wenn Sie mir Ihren richtigen Namen nicht verheimlicht haben, wird das so sein“, antwortete er augenzwinkernd und ließ sie vor Schreck erstarren.

      Hatte er etwas bemerkt? Wusste er mehr, als er sich anmerken ließ? War ihre Tarnung etwa schon aufgeflogen? Sie versuchte, in seinem Gesichtsausdruck zu lesen, aber alles, was sie erkennen konnte, war Freundlichkeit, Wohlwollen und auch so etwas wie Interesse. Sie beruhigte sich wieder ein wenig. Wahrscheinlich war sein Kommentar wirklich nur als kleiner Scherz gemeint gewesen.

      „Sie haben mich erwischt. Ich heiße eigentlich Dorothy“, versuchte sie, die Situation auf humorvolle Art zu überspielen.

      Graham musste lachen.

      „Das würde ich Ihnen nicht antun. Da bleibe ich doch lieber bei Sarah. Der Name ist viel schöner und passt wunderbar zu Ihnen.“

      Sie senkte bei seinem Kompliment verlegen den Blick.

      „Wie wäre es, wenn Sie mir noch ein wenig von sich erzählen, damit ich besser beurteilen können, ob Sie gut in unsere kleine Familie hier in der Galerie passen würden“, schlug Graham vor.

      Sie zuckte mit den Schultern.

      „Was möchten Sie denn hören? Etwas über das Museum oder die kleine Galerie, in der ich zuletzt gearbeitet habe?“

      „Nein, eher etwas über Sie selbst. Wie sind Sie zur Kunst gekommen? Was interessiert Sie? Was begeistert Sie?“

      „Ich denke, mein Interesse an Kunst wurde durch meine Mutter geweckt. Sie hat mich schon als kleines Mädchen in Ausstellungen und Museen mitgenommen. Sie hat auch selbst gemalt und sogar ein paar Bilder verkauft. Ich denke schon, dass sie einen großen Einfluss auf mich hatte und mich auch darin bestärkt hat, Kunstgeschichte zu studieren.“

      David Graham hörte interessiert zu.

      „Und Ihr Vater?“

      „Keine Ahnung, ich habe ihn nie kennengelernt.“

       „Oh, das tut mir leid.“

      „Muss es nicht. Ich habe ihn eigentlich auch nie vermisst. Ich kannte es nicht anders.“

      „Verstehe. Aber Ihre Mutter war sicher stolz auf Sie, als Sie gleich nach dem Studium im Museum of Fine Arts arbeiten konnten?“

      Sarah