M.H. Murray

Tod am Lagerhaus


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geben Sie mir diese Chance“, beharrte Sarah. „Gerade weil es ein spezieller Fall ist.“

      „Ich fürchte eher, Captain Mancini wird ein Disziplinarverfahren eröffnen, wenn du mit der Geschichte zu ihm gehst.“

      „Darum bin ich ja hier. Ich möchte Sie bitten, dass Sie zu ihm gehen und es als Ihre Idee verkaufen.“

      Chief Grant sah sie überrascht an.

      „Und wenn ich es nicht mache?“

      „Ich werde Bennys Mörder überführen, das habe ich ihm und mir geschworen“, entgegnete Sarah leise, aber bestimmt. „Und wenn Sie mich dabei nicht unterstützen, werde ich mich beurlauben lassen und auf eigene Faust ermitteln.“

      Sie konnte einen leisen Seufzer vernehmen.

      „Du weißt schon, dass du mich hier erpresst, oder?“

      „Nein, ich appelliere nur an Sie, das Richtige zu tun.“

      „Und wenn du den Job bei Graham gar nicht bekommst? Wer weiß, wie viele sich dort bewerben.“

      „Wenn ich den Job nicht bekomme, habe ich versagt und bin bereit, die Konsequenzen zu tragen“, erklärte sie entschlossen. „Noch bin ich im Rennen. Ich habe vorhin eine E-Mail bekommen – ich habe übermorgen Mittag ein Vorstellungsgespräch.“

      „Wirklich?“, war Chief Grant überrascht.

      Sie nickte.

      „Also gut, ich werde mit Captain Mancini sprechen“, gab er schließlich nach. „Was würdest du brauchen, falls er zustimmt?“

      „Bis übermorgen nur die Papiere auf den Namen Sarah Porter und einen wasserdichten Lebenslauf. Alles andere hat Zeit, bis ich den Job habe.“

      „Gut, das müssten wir schaffen. Für die Papiere hast du Passbilder?“

      „Ich lasse heute noch welche machen.“

      „Alles klar. Ich werde mit Mancini reden und ich denke, du wirst nachher von ihm hören. So oder so.“

      Sarah erhob sich.

      „Vielen Dank.“

      „Nichts zu danken“, wehrte der Chief ab. „Du weißt, dass ich es immer noch für keine gute Idee halte?“

      „Ja Chief.“

      Sie ging zur Tür und öffnete diese.

      „Sarah!“

      Sie drehte sich noch einmal um.

      „Versprich mir, sei bitte vorsichtig!“

       „Natürlich, Ehrenwort“, versicherte sie und machte sich auf den Rückweg zu ihrem Büro.

      ***

      Während sie weiter an ihrem Schreibtisch die Akten durchging, spürte Sarah ein leichtes Kribbeln in ihrem Bauch – ein sicheres Zeichen ihrer Nervosität. Ob Chief Grant bereits mit dem Captain geredet hatte? Und wie würde dieser reagieren? Sie hasste die Ungewissheit genauso sehr, wie zur Tatenlosigkeit verdammt zu sein.

      Um zwei Uhr am Nachmittag öffnete sich die Tür von Mancinis Büro.

      „O’Neill, Rodriguez, Williams, alle in mein Büro, sofort!“

      Sarah atmete tief ein und folgte ihren Kollegen in die Höhle des Löwen – oder des brüllenden Löwen, wie er sich ja einmal selbst bezeichnet hatte. Die drei Detectives standen vor dem Schreibtisch ihres Captains wie Schüler vor dem Direktor und warteten ab, was er ihnen wohl zu sagen hatte.

      Mancinis durchdringender Blick wanderte von einem zum anderen.

      „Es geht um den Doppelmord“, klärte er sie schließlich auf. „Insbesondere um unseren Hauptverdächtigen, der, wenn ich mich richtig erinnere, auch unser einziger Verdächtiger ist, oder?“

      „Ja Sir, dieser Graham, alles deutet auf ihn“, bestätigte O’Neill.

      „Gut, und alles deutet auch darauf hin, dass wir in diese Richtung keinen Schritt weiter gekommen sind, oder liege ich da falsch?“

      „Also, so kann man das nicht sagen“, stammelte Rodriguez.

      „Wie kann man es denn sonst sagen? Haben Sie einen neuen Ermittlungsansatz?“

      „Na ja, nicht direkt …“

      „Dann halten Sie die Klappe und hören zu!“

      „Ja Sir.“

      Sarah stand schweigend daneben und versuchte, kaum zu atmen, um nicht die Aufmerksamkeit ihres Vorgesetzten auf sich zu ziehen.

      „Ich hatte vorhin ein langes Gespräch mit dem Chief“, fuhr dieser fort. „Er hatte eine neue Idee, die sich aus einem günstigen Zufall ergeben hat, wie er es nannte.“

      Ein leichter Schauer lief Sarah den Rücken hinab, als er sie dabei mit seinem Blick zu durchbohren schien.

      „Was für eine Idee und welcher Zufall?“, fragte O’Neill vorsichtig.

      „Wenn Sie mich irgendwann einmal ausreden lassen, werden Sie es auch erfahren“, entgegnete Mancini ungehalten. „Also, Graham sucht dringend eine neue Assistentin für seine Firma und der Chief denkt, es wäre unsere beste Chance, jemanden undercover dort hinzuschicken.“

      „Und wer sollte das machen?“

      Der Captain zeigte auf Sarah.

      „Detective Williams hier. Der Chief teilte mir mit, dass Sie alle Qualifikationen haben, um diesen Assistentinnenjob glaubhaft auszuüben. Stimmt das?“

      „Ja Sir, das stimmt“, erwiderte sie knapp.

      „Ach ja? Und woher wissen Sie, was für Qualifikationen das sind? Die habe ich Ihnen doch gar noch nicht mitgeteilt.“

      Verdammt! Jetzt hatte er sie erwischt.

      „Chief Grant hat mit mir vorhin kurz darüber gesprochen, Sir“, gestand sie.

      „Aha. Gut, dann haben Sie hiermit übermorgen Mittag ein Vorstellungsgespräch bei Graham. Sie haben also knapp zwei Tage Zeit, um sich vorzubereiten und sich mit ihrer Tarnidentität vertraut zu machen. Denken Sie, Sie schaffen das?“

      „Natürlich Sir“, war sich Sarah sicher.

      „Na gut, dann war es das“, nickte Captain Mancini.

      „Aber Sir, ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist“, warf O’Neill ein.

      „Dann sagen Sie das dem Chief. Und jetzt wieder ab an die Arbeit. Und schließen Sie die Tür hinter sich.“

      Die drei Detectives beeilten sich, aus der Reichweite ihres Vorgesetzten zu kommen. Leider hatte Sarah weniger Glück als die anderen.

      „Williams! Sie bleiben noch“, rief er ihr zu, als sie als Letzte die Tür erreicht hatte.

      Langsam drehte sie sich wieder um und blieb wie angewurzelt stehen. Der Captain wartete, bis die Tür geschlossen war und winkte sie näher zu sich heran, bis sie direkt vor seinem Schreibtisch stand.

      „Wissen Sie, wie lange ich jetzt Captain hier bin? Zwölf Jahre“, sagte er dann, während Sarah ihn voller Anspannung schweigend anstarrte. „Denken Sie, dass man so lange Captain sein kann, wenn man ein Trottel ist?“

      „Nein, natürlich nicht, Sir“, murmelte sie als Antwort.

      „Warum halten Sie mich dann für einen Trottel? Denken Sie wirklich, ich wüsste nicht, dass das eigentlich Ihre Idee war und nicht die vom Chief?“

      Sarah schluckte schwer und blickte kurz nach unten, bevor sie ihm wieder direkt in die Augen schaute.

      „Es tut mir leid, Sir. Aber ich habe die Anzeige gesehen und musste einfach etwas unternehmen.“

      Mancini stand auf.

      „Und dann sind Sie hinter meinem