M.H. Murray

Tod am Lagerhaus


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      Ihre beiden Kollegen zuckten mit den Schultern.

      „Wie Sarah“, entgegneten sie wie aus einem Munde.

      „Na vielen Dank“, meinte sie, mit den Augen rollend.

      „Nein, nein, wir meinten eher sportlich, wie ein Detective halt“, stotterte Rodriguez.

      „Schon klar. Belassen wir es bei diesen Komplimenten, bevor es noch schlimmer wird“, erklärte Sarah und ging weiter.

      Nach einigen Schritten drehte sie sich aber noch einmal abrupt um und sah, dass die beiden wie gebannt auf ihren Hintern gestarrt hatten und nun versuchten, blitzartig woanders hinzuschauen. Warnend hob sie den Zeigefinger.

      „Schon mal etwas von sexueller Belästigung gehört?“

      O’Neill kratzte sich verlegen am Kopf, grinste dann aber.

      „Kommt darauf an. Wen von uns wollen Sie denn belästigen?“

      Sarah musste lachen.

      „Träumen Sie weiter, aber lassen Sie sich nicht vom Captain dabei erwischen.“

      Kopfschüttelnd ging sie nun zur Tür ihres Vorgesetzten und klopfte an die Scheibe.

      „Herein“, erklang barsch Mancinis Stimme und Sarah trat ein.

      „Guten Morgen, Captain“, grüßte sie und bemerkte, dass sich noch eine weitere Person im Raum befand. „Chief Grant.“

      „Morgen“, knurrte Mancini in seiner gewohnt mürrischen Art.

      Edward Grants Augen waren auf Sarah gerichtet und auf seiner Stirn zeigten sich tiefe Falten.

      „Sarah, wie siehst du denn aus?“, fragte er konsterniert und wandte sich dann dem Captain zu. „Haben Sie ihr das befohlen?“

      „Also bitte, Edward. Ich habe mit der Mordkommission mehr als genug zu tun. Denken Sie, ich bin nebenbei auch noch Modeberater?“, wehrte der Captain ab.

      „Nein, das habe ich allein zu verantworten“, bestätigte Sarah.

      Grant schüttelte den Kopf.

      „Ich verstehe das nicht. Sie hätten ihr das aber verbieten müssen, Anthony.“

      Der Captain hob abwehrend die Hände.

      „Sie kennen sie doch besser als ich. Sie sollten eigentlich wissen, dass das zwecklos wäre.“

      „Soll das heißen, Sie haben Ihre Abteilung nicht mehr im Griff? Wir können sie doch nicht so gehen lassen. Der Rock ist auch viel zu kurz für meinen Geschmack“, empörte sich der Chief.

      „Captain? Chief? Entschuldigung!“, unterbrach Sarah den Disput der beiden Männer, die sie jetzt überrascht anschauten.

      „Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass ich nachher noch ein Vorstellungsgespräch habe“, sagte sie mit Nachdruck. „Und bei allem Respekt, Chief“, wandte sie sich an Edward Grant, „was meine Kleidung betrifft, darüber kann ich schon gut allein entscheiden, es geht hier nicht um meinen ersten Schultag.“

      Chief Grant atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen. In dem Blick, den Captain Mancini ihr jetzt zuwarf, war durchaus so etwas wie Respekt zu erkennen.

      „Richtig Sarah, kommen wir zu dem, warum wir hier sind“, gab Grant ihr recht.

      Captain Mancini nickte zustimmend und zeigte vor sich auf den Schreibtisch.

      „Hier sind Ihre Papiere und das Handy. Die GPS-Ortung funktioniert auch, wenn es ausgeschaltet ist, damit wir Sie nicht so schnell aus den Augen verlieren. Merken Sie sich, die Nummer, mit der Sie mich direkt erreichen, ist auf Schnellwahl Drei einprogrammiert unter dem Namen Reinigung. Eins und Zwei sind ein Pizzaservice und ein chinesischer Lieferservice, nur für den Fall, dass jemand neugierig wird.“

      „Okay“, entgegnete Sarah, betrachtete neugierig den Führerschein, die Kreditkarte und die Sozialversicherungskarte, die auf den Namen Sarah Porter ausgestellt waren und steckte dann alles ein.

      „Falls Sie den Job bekommen, kann es sein, dass Sie auch noch einen Reisepass brauchen werden. Graham hat seine Assistentin öfter mit auf Geschäftsreisen genommen. Aber hoffen wir mal, dass es soweit nicht kommen wird“, erklärte Mancini.

      „Ganz sicher nicht, das wäre nicht zu verantworten“, warf Chief Grant ein.

      „Abwarten“, meinte Sarah schulterzuckend und steckte auch das Handy in ihre Handtasche.

      „Was ist mit einer Waffe?“, fragte der Captain.

      Sarah schüttelte den Kopf.

      „Nicht jetzt. Ich denke nicht, dass ich heute eine brauchen werde. Außerdem will ich nicht, dass jemand eine Pistole in meiner Tasche sieht.“

      „Das gefällt mir alles ganz und gar nicht“, murmelte Chief Grant. „Dann geben wir dir aber ein kleines Mikrofon mit.“

      „Nein, bitte Chief“, lehnte sie lächelnd ab. „Ich habe Ihnen versprochen, dass ich vorsichtig sein werde. Bitte vertrauen Sie mir.“

      Edward Grant seufzte und nickte schließlich.

      „Also gut.“

      Sarah schaute auf die Uhr.

      „Ich denke, es wird Zeit.“

      „Gut“, erwiderte Captain Mancini. „Ich erwarte, dass Sie sich unverzüglich melden, wenn das Bewerbungsgespräch beendet ist – oder wenn es Probleme geben sollte, verstanden?“

      „Ja Sir.“

      „Dann viel Glück und jetzt ab.“

      Sie nickte und verließ das Büro. Edward Grants Gesichtsausdruck hatte ihr deutlich gezeigt, dass er alles andere als glücklich darüber war, sie ohne weitere Absicherung ziehen zu lassen. Aber sie wollte ihren Auftrag auf keinen Fall gefährden, bevor er richtig begonnen hatte.

      Sarah verließ das Polizeigebäude, lief bis zur nächsten Straßenecke und stieg dort in ein Taxi, das sie zur Galerie von David Graham am Wilshire Boulevard brachte. Sie bezahlte den Taxifahrer, stieg aus und stand direkt vor einer der riesigen getönten Schaufensterscheiben, durch die man in das Innere der Galerie blicken konnte. Da sie noch eine halbe Stunde Zeit bis zu ihrem Termin hatte, überlegte Sarah, ob sie noch etwas warten sollte, beschloss dann aber doch hineinzugehen.

      Direkt hinter der Eingangstür befand sich ein im Halbkreis geschwungener Empfangstresen, hinter dem eine junge Frau mit dunklen, schulterlangen Haaren saß und sie freundlich anlächelte, als sie zögernd eintrat.

      „Kommen Sie ruhig herein, wir haben bereits geöffnet“, sprach sie Sarah an.

      „Oh, ja, danke“, entgegnete diese. „Ich bin eigentlich hier wegen eines Bewerbungsgesprächs, aber ich bin etwas zu früh.“

      „Ach so.“ Die Frau schaute in einen Kalender. „Miss Porter?“

      „Ja“, bestätigte Sarah.

      Die Frau stand auf.

      „Ich bin Amanda. Herzlich willkommen.“

      „Danke.“

      „Sind das Ihre Bewerbungsunterlagen?“, fragte Amanda und zeigte auf den Umschlag in Sarahs Hand.

      „Ja.“

      „Die kann ich ja schon mal mitnehmen. Sie können sich ruhig noch ein wenig umschauen“, schlug sie vor.

      „Sehr gern“, erwiderte Sarah, reichte ihr den Umschlag und begann, durch den Raum zu schlendern, während Amanda eine Treppe im hinteren Bereich der Galerie nach oben stieg.

      Mit Interesse betrachtete Sarah die ausgestellten Exponate und versuchte damit, den Gedanken zu kontrollieren, dass sie in wenigen Minuten dem wahrscheinlichen Mörder ihres besten Freundes gegenüberstehen würde. Sie musste ruhig und stark bleiben. Wenn sie ehrlich war, hatte sie ein wenig Angst – nicht vor Graham,