Michael Stuhr

DÄMONEN DER STEPPE


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sagte Bogan im Hinausgehen. „Du kannst auch hier bleiben.“

      Ysell war es übel vor Aufregung. Nichts hätte sie im Moment lieber getan, als möglichst weit von dem Gehege fortzubleiben. „Kann ich dir dabei helfen?“, fragte sie unsicher.

      „Vielleicht“, antwortete Bogan „Aber ich will zusehen, dass ich allein zurechtkomme.“

      „Ich komme mit!“, sagte Ysell mit entschlossener Stimme, die nur ein ganz klein wenig belegt war, und setzte sich in Bewegung „Ich will mich nicht drücken.“

      „Wie du willst.“ Bogan sah sie seltsam an und hielt ihr die Tür auf. Dann ging er mit schnellen Schritten hinaus zu den Gehegen. Ysell musste fast rennen, um mit ihm Schritt zu halten.

      Bogan bestand nicht darauf, dass Ysell ihm half, denn es waren mittlerweile genug andere Trossleute dazugekommen. Arkas´ Vorderbeine waren inzwischen zusammengebunden worden und er lag mit rollenden Augen und schäumendem Maul auf der Seite. Zwischen seinen Hinterbeinen hatte man ein etwa drei Ellen langes Stück Holz angebracht, das auf beiden Seiten gabelförmig auslief. In jedem Gabelende steckte eines der Hinterbeine, die mit Stricken unverrückbar fest an das Holz gebunden waren.

      Es schnürte Ysell die Luft ab, als sie das stolze Tier so hilflos daliegen sah. Ihr Schritt verlangsamte sich, und als Bogan das Gehege betrat, blieb sie am Zaun stehen.

      Bogan kniete bei dem Tier nieder und öffnete die Kassette. Ysell musste sich fest halten. Er nahm eine der Flaschen und benetzte die Stelle, an der er den Schnitt setzen würde. Arkas tobte in seinen Fesseln wie wahnsinnig und Ysell hielt sich an dem Zaun fest, als hinge ihr Leben davon ab.

      Jetzt griff Bogan wieder in die Kassette und brachte das Messer zum Vorschein. Arkas wand sich, versuchte, auf die Füße zu kommen und Ysell stöhnte leise auf. Sie krallte die Fingernägel in das Holz des Gatters, dass es schmerzte, aber sie konnte nicht loslassen. Es schien ihr, als würde die Welt um sie herum verschwimmen und nur ein einziger Fleck trete in gnadenloser Schärfe und Helligkeit hervor. - Bogans Messer zwischen den Schenkeln des Hengstes, der sich verzweifelt gegen die Stricke wehrte, so als ahne er, was ihm bevorstehe. Als Bogan das Messer ansetzte, und Arkas´ panisches Keuchen unvermittelt zu einem dumpfen, stoßweisen Brüllen anschwoll, knickten Ysell die Knie ein und es wurde dunkel vor ihren Augen.

      „Es war nötig!“ Nachdem alles vorüber war, saßen Nekoi und Ysell auf dem Rand des Wassertrogs am Gatter. Die Trossfrau hatte eine Hand auf Ysells Schulter gelegt und beide beobachteten Arkas, der mit hängendem Kopf in der am weitesten entfernten Ecke des Geheges stand.

      „Er hatte doch gewonnen!“, protestierte Ysell schwach und sah zu Boden. Sie schämte sich entsetzlich, dass sie schlappgemacht hatte. „Er hatte Jomo besiegt, und es waren seine Stuten!“

      „Mir wäre es auch lieber gewesen, er hätte sich mit seinem Sieg zufrieden gegeben.“ Nekoi seufzte. „Aber er wollte Jomo für immer vertreiben, und sie hätten nie wieder zusammen im Tross gehen können.“

      „Es wären bestimmt schöne Fohlen geworden“, beharrte Ysell auf ihrem Standpunkt. Arkas war der stärkste und stolzeste Hengst deiner Gruppe - der schönste im ganzen Gehege!“

      „Wir züchten Tragtiere, Ysell, keine Kampfhähne“, erklärte Nekoi geduldig. Stell dir vor, Arkas´ Hengstfohlen hätten sein Temperament geerbt und seine Stutenfohlen hätten nach ein paar Jahren ebenso unverträgliche Hengstfohlen hervorgebracht.

      „Hm.“ Ysells Widerstand wurde schwächer. Sie sah ja ein, dass ein Hengst wie Arkas über seine Nachkommen die ganze Zucht verderben konnte.

      „Wir brauchen ruhige und zuverlässige Tiere“, fuhr Nekoi fort. Nicht die stärksten und nicht die schönsten wählen wir zur Zucht aus. Friedliebende Tiere müssen es sein! Ruhige Tiere, die sich anzupassen vermögen.“ Nekoi sah kurz zu Jomo hinüber, der nun auch wieder friedlich im Gehege stand und scheue Blicke auf Arkas warf. Der Druck an Ysells Schulter verstärkte sich kurz, dann stand Nekoi auf.

      So funktionierte Zucht? Eine endlose Folge von Verstümmlungen zum Nutzen der Menschen? Ysell schüttelte hilflos den Kopf. Unauffällig schielte sie nach Nekois Händen, denn sie war es gewesen, die Bogan bei seiner blutigen Verrichtung geholfen hatte; aber natürlich hatte sie sich sofort gewaschen und nicht die kleinste Spur von Arkas´ Blut war mehr zu entdecken.

      „Du warst übrigens sehr tapfer heute.“ Nekoi sah Ysell ernst an. „Aber mach so etwas besser nie wieder!“

      Sie und tapfer? Ysell sah Nekoi verständnislos an. Sie wusste nur davon, dass sie ohnmächtig geworden war, und das war peinlich genug. Wollte die Trossfrau sie etwa verspotten?

      „Tu bloß nicht so unwissend!“, lachte Nekoi. „Wir haben alle genau gesehen, wie du die Tiere davon abhalten wolltest, durch die Lücke zu springen. - Du hast ja den Weg erst freigegeben, als sie schon in der Luft waren.“

      Jetzt begriff Ysell. - Das meinte Nekoi also! Dass sie nur in wilder Angst mit den Armen gewedelt hatte, weil ihre Beine vor lauter Schreck wie gelähmt gewesen waren, konnten die Trossleute ja nicht wissen - und Ysell dachte im Traum nicht daran, die Sache richtig zu stellen. „Och ...“, meinte sie nur und machte eine unbestimmte Handbewegung, die Bescheidenheit vortäuschen sollte, dann stand auch sie auf und ging mit Nekoi zum Essen.

      Natürlich sprach es sich in Windeseile herum, dass die kleine Ysell sich ganz allein zwei rasenden Tragtieren im Paarungskampf entgegengestellt hatte, und für die Zeit des Essens war sie der Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass sie zur Heldin des Tages geworden war, weil sie vor lauter Angst nicht hatte weglaufen können - aber feiern ließ sie sich gerne, und nach der Pause schmerzte ihr die Schulter von den freundschaftlichen Klapsen, die die Trossleute ihr gegeben hatten.

      „Kannst du eigentlich lesen?“, fragte Nekoi unvermittelt, als sie nach dem Essen wieder zu den Gehegen hinausgingen.

      „Was? - Äh, wie bitte?“ Ysell war noch ganz in ihren Gedanken gefangen.

      „Ob du lesen kannst.“

      „Och, ein wenig.“ Das war nicht gelogen. Vor einiger Zeit hatte Ysell sich zeigen lassen, wie ihr Namenszeichen aussah, und sie würde es jederzeit wiedererkennen.

      „Willst du es richtig lernen?“, fragte Nekoi freundlich „Ich könnte dir jeden Tag ein wenig beibringen und mit dir üben.“

      „Du kannst lesen?“ staunte Ysell.

      „Ja“, bestätigte Nekoi „Und ich bin zahlenkundig!“ So etwas wie Wehmut schwang in ihrer Stimme mit, so als denke sie gerade an längst vergangene, bessere Zeiten.

      „Ich könnte es ja mal versuchen“, meinte Ysell nachdenklich.

      „Fein!“, freute sich Nekoi. „Dann komm doch morgen früh gleich zu mir. Ich werde mir für eine Handmaß frei nehmen und auch dafür sorgen, dass du Zeit dafür bekommst.“

      So kam es, dass Ysell jeden Morgen nach ihrem Besuch bei Läufer zuerst zu den Gehegen hinausging und mit Nekoi ein paar Lektionen durchnahm. Das Lesenlernen war nicht gerade eine Offenbarung für sie, weil Nekoi keine Bücher hatte, und die Schriftzeichen mit einem spitzen Stock in den Boden ritzte, aber Ysell begriff schnell und beide hatten eine Menge Spaß bei dem Unterricht. Es kam allerdings auch schon mal vor, dass Ysell nicht die rechte Lust hatte, aber auch an solchen Tagen ging sie zu Nekoi, um ihre neue Freundin nicht zu enttäuschen.

      Arkas Wunde heilte gut, und inzwischen war er ganz zahm und zutraulich geworden. Die anderen Tiere interessierten ihn nicht mehr und so konnte er sein Leben doch noch friedlich im Tross verbringen und der Gang zum Schlachthof blieb ihm erspart.

      „Ha! Jetzt nehmen sie dich aber richtig ran!“, stellte Ysells Vater belustigt fest, als sie ihm nach ein paar Tagen von den Leseübungen erzählte. Er schien das für einen Teil ihrer Strafe zu halten. Die Mutter schaute nur verständnislos und wunderte sich, was die Leute im Zwinger alles mit ihrer Tochter anstellten. - Das Kind war ja kaum noch wiederzuerkennen.

      Ysell war inzwischen