Erich Szelersky

Das Quaken der Frösche


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      Gerd Matuschak wartete einen Moment.

      „WennSe die Zeitung lesen wollen könnSe gern nehmen. Ich habse schon aus.“

      „Nein danke. Ich lese die Bildzeitung eigentlich nicht.“

      „Nich? Die ham aber meistens recht mit dem watse schreiben, oder?“

      Der andere nahm die Zeitung und warf einen flüchtigen Blick hinein. Die Zeitung berichtete auf der Titelseite über das Spiel und die Befindlichkeiten der deutschen Fußballspieler und ihres Trainers nach der Niederlage und dem Ausscheiden aus dem Turnier um die Europameisterschaft.

      „Ich find ja auch, dat der Löw zu wenig Dortmunder Spieler aufgestellt hat“, begann Gerd Matuschak das Gespräch erneut.

      „Die deutsche Mannschaft hat doch ein gutes Turnier gespielt und es muss doch auch erlaubt sein, einmal zu verlieren.“ Er legte die Zeitung wieder an ihren Platz zurück. Gerd Matuschak nahm die Zeitung und stopfte sie zusammen mit der Butterbrottüte in die Aktentasche.

      „Sie wollten noch sagen, wieSe heißen“

      „Wollte ich?“

      „Ja. Is doch schöner, wenn man weiß, mit wem man auf ner Bank sitzt und quatscht.“

      Der um seinen Namen Gefragte straffte seinen Oberkörper und drehte sich Gerd Matuschak halb zu.

      „Ich heiße Bernhard de Winter, Herr Matuschak.“

      „Freut mich Bernd.“ Gerd Matuschak stand auf und reichte de Winter seine rechte Hand. Bernhard de Winter zögerte. Bernd hatte ihn noch keiner genannt, und für einen Moment wollte er Gerd Matuschak zurechtweisen und daran erinnern, dass er Bernhard hieß, doch irgendetwas in ihm hielt ihn zurück. Er ergriff Matuschaks Hand, die von harter Arbeit mit Schwielen übersät war.

      „Bisse öfters hier?“ Er duzte ihn, und es schien für ihn das Allernatürlichste auf der Welt zu sein, dass man sich duzte, wenn man auf einer Bank saß, sich vorgestellt hatte und sich miteinander unterhielt.

      „Nicht oft. Ab und zu. Aber es ist schön hier. Ich wusste gar nicht, dass hier eine Bank ist. Habe sie nur durch Zufall entdeckt, als ich hier spazieren ging.“

      „Dat glaub ich. Is ja auch gut versteckt hinter der hohen Hecke.“

      Matuschak öffnete die Aktentasche erneut und entnahm ihr eine Flasche Bier. Mit seinem Feuerzeug öffnete er die Flasche so, dass der Kronenkorken im hohen Bogen wegflog und auf dem Weg vor der Bank liegen blieb. Bernhard de Winter registrierte dies missbilligend und Gerd Matuschak bemerkte den Unverständnis ausdrückenden Blick. Er stand auf, hob den Kronenkorken auf und warf ihn in den Abfalleimer, der neben der Bank stand. Etwas verlegen setzte er sich wieder auf die Bank.

      „Alte Angewohnheit von mir.“

      Bernhard de Winter reagierte nicht.

      Gerhard Matuschak reichte de Winter die noch volle Bierflasche.

      „Auchen Schluck?“

      „Nein, danke. Ich trinke nicht.“

      Matuschak zog die Flasche zurück und trank einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Als er getrunken hatte wischte er sich mit dem Handrücken den Mund ab und nahm das Gespräch wieder auf.

      „Ich war schon öfters hier. Früher mit meinem Enkelsohn, als der noch klein war. Der hat sich so gern die Schiffe angeguckt.“

      Er fischte aus seinem Portemonnaie ein altes, schon etwas vergilbtes und vom vielen Herumzeigen verknittertes Foto.

      „Dat isser.“ Sein Finger zeigte voller Stolz auf einen blonden Jungen, der hoch oben auf einem Klettergerüst stand und offensichtlich seinem Opa zuwinkte.

      „Hasse auch Kinder?“

      „Ja. Zwei Söhne und eine Tochter und fünf Enkelkinder. Die sind aber schon erwachsen.“

      „Ja; meiner auch. Der is jetz schon fünfundzwanzig. Macht sich prächtig. Is bei den Wirtschaftsbetrieben.“ Er schaute Bernhard direkt ins Gesicht und fügte mit stolzer Stimme hinzu:

      „Als Techniker.“

      Bernhard de Winter nickte wohlwollend.

      „Ich bin sehr stolz auf ihn. Er sollet ja auch ma besser haben als ich und sein Vater.“

      Er steckte das Foto wieder ein.

      „Und wat machen Deine Enkel? … Beruflich mein ich.“

      Bernhard de Winter zögerte.

      „Die studieren noch.“

      „Und wat, wenn ich fragen darf?“

      „Die Älteste Medizin. Die beiden Jungen Ingenieurwissenschaften und Physik, und die Kleinen gehen noch zur Schule. Machen in diesem und im nächsten Jahr Abitur.“

      Gerd Matuschak nickte zustimmend mit dem Kopf.

      „Es ist schön, wenn man Enkelkinder hat. Sie machen einen jeden Tag stolz.“

      Bernhard de Winter nickte zustimmend und lächelte; zum ersten Mal, seit er Gerd Matuschak getroffen hatte.

      „Das geht mir genauso. Früher habe ich das gar nicht so empfunden, doch jetzt, da ich alt bin, ist die Freude allgegenwärtig.“

      „Ja, dat stimmt.“

      Die beiden Männer blickten auf den Rhein und die vorbeiziehenden Schiffe.

      „Da! Der Tanker kommt aus Holland. Wahrscheinlich hatter Öl geladen.“ Gerd Matuschak schaute seinen Nachbarn an.

      „Fährt wahrscheinlich zu den Fordwerken nach Köln oder zu Bayer in Leverkusen.“

      „Kann schon sein.“

      Damit kam das Gespräch wieder ins Stocken. Gerd Matuschak hätte sich gerne noch ein wenig unterhalten, doch er wusste nicht worüber, und sein Nachbar auf der Bank schien kein besonderes Interesse an einer Weiterführung der Unterhaltung mit ihm zu haben.

      Bernhard de Winter schaute auf seine Uhr.

      „Ich muss jetzt los.“ Er stand auf. Etwas gestelzt drehte er sich zu Matuschak, der noch auf der Bank saß, um.

      „Schön, dass wir gesprochen haben.“

      „Ganz meinerseits, Bernd.“

      Bernhard de Winter wandte sich um und wollte gehen.

      „Kommsse morgen wieder hierher?“

      Die Frage überraschte de Winter. Wenn er wiederkommen würde, dann bestimmt nicht, um sich mit Gerhard Matuschak zu treffen und über die Bildzeitung zu unterhalten. Trotzdem wich er einer Antwort aus.

      „Mal sehen.“ Er ging ein paar Schritte und Gerd Matuschak sah ihm hinterher. Dann drehte er sich um und sah in Gerds erwartungsvolles Gesicht.

      „Hängt vom Wetter ab.“

      3

      Bernhard de Winter war bald schon hinter dem Deich verschwunden. Gerd Matuschak saß noch eine Weile auf der Bank und schaute den Möwen zu. Dann stand auch er auf und ging nach Hause.

      De Winter wohnte seit zwei Jahren in einem Altenstift. Nach dem plötzlichen Tod seiner Frau vor vier Jahren hatte er nicht in sein Leben zurückgefunden. Trostlosigkeit umgab ihn. Alles versank in tiefer Trauer um die Frau, mit der er über fünfzig Jahre verheiratet gewesen war. Auf Drängen seiner Kinder ging er in die Seniorenresidenz am Park.

      In dem gepflegten und großzügigen Haus konnte er sich seine Individualität und Eigenständigkeit bewahren und in dem ihm eigenen persönlichen Lebensstil seine Zeit verbringen.

      Das war ihm wichtig, denn in eine Gemeinschaft einordnen konnte er sich schlecht. Er hatte es auch nie gelernt.

      In der Parkresidenz fehlte es ihm an nichts.

      Er hatte sich angewöhnt, morgens,