Erich Szelersky

Das Quaken der Frösche


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frühstückte er alleine mit seiner Zeitung auf seinem Balkon, von dem aus er einen Blick auf den nicht weit entfernt gelegenen Golfplatz hatte. Er war einmal ein begeisterter Golfspieler gewesen, ebenso wie seine Frau.

      Jetzt spielte er nur noch ganz selten. Ein alter Freund von ihm überredete ihn schon mal zu einer Runde, und er hatte es auch immer genossen, aber zu regelmäßigem Spielen konnte er sich nicht entschließen. Von Zeit zu Zeit ging er in den Golfclub und aß dort. Manchmal traf er sogar noch einen von den Alten, die früher mit ihm ihre Runde gespielt hatten. Dann gab es immer ganz lustige Gespräche über alte Zeiten und Ereignisse, die er schon lange vergessen hatte.

      Meistens saß er jedoch alleine an seinem Tisch, trank einen Espresso und beobachtete das Treiben der jungen Leute.

      Es hatte sich nichts geändert zu damals, nur, dass er jetzt über achtzig war und die anderen dreißig Jahre jünger.

      Einige seiner alten Freunde waren auch schon gestorben. Er erfuhr es immer von seiner Tochter, denn die Todesanzeigen in der Zeitung las er nicht.

      Im Seniorenheim hatte er sich anfangs zum Bridgekurs angemeldet. Als er aber feststellen musste, dass er dabei nur unter Frauen war, ist er nicht mehr hingegangen. Die Frauen waren alle freundlich und lebenslustig, meistens sehr gebildet und, ihrem Alter angemessen, sportlich aktiv. Manche waren von ihrem vor ihnen Dahingeschiedenen reichlich mit Geld versorgt worden, andere hatten in einem erfolgreichen Berufsleben genügend Geld verdient, um sich diesen luxuriösen Lebensabend leisten zu können, und nicht wenige hatten schon als Kind ein Vermögen in die Wiege gelegt bekommen. Gemeinsam war ihnen, dass sie ihre Zeit unbeschwert mit den Dingen verbringen konnten, die ihnen wichtig waren. Einige engagierten sich in sozialen Projekten, andere legten den Schwerpunkt auf Gesundheit und körperliche Fitness und kulturell interessiert waren sie alle.

      De Winter war sehr überrascht, als er ihr Alter erfuhr, denn sie sahen alle zehn Jahre jünger aus als sie waren.

      Die Frauen hatten im Unterschied zu den Männern, die in dem Heim in der Unterzahl waren, unterschiedliche Grüppchen gebildet, in denen sie ihren gemeinsamen Interessen nachgingen. Die Männer waren dagegen alle Einzelgänger. Es gab kaum gemeinsame Aktivitäten. Jeder lebte für sich; und jeder langweilte sich für sich.

      Auch Bernhard de Winter lebte dieses ereignislose Leben. Oftmals reichte es ihm, zu lesen oder mit seinem Notebook im Internet zu surfen, was er ganz gerne tat, doch er erwischte sich immer häufiger dabei, dass er überlegte, wie er den Tag gestalten könnte, und keine rechte Antwort darauf fand.

      Sprach man ihn darauf an gestand er es jedoch nicht ein und verwies darauf, dass sein Leben mit vielen Dingen ausgefüllt sei. Als Beispiel führte er dann immer sein Abonnement im städtischen Opernhaus an. Das war auch richtig, denn die Opernaufführungen besuchte er regelmäßig. In den Theatern und Kleinkunstbühnen der Stadt traf man ihn allerdings immer seltener an. Früher, in seinem anderen Leben, hatte er viel Zeit in dieser Szene verbracht, denn Kunst interessierte ihn sehr. Wann immer es sein Kalender zugelassen hat besuchte er gemeinsam mit seiner Frau die Theater. Als einige der kleinen Bühnen in finanzielle Schieflage gerieten engagierte er sich für deren Überleben, gründete einen Verein und sorgte für Sponsoren, mit deren Geld die Szene erhalten werden konnte. Dabei erleichterte ihm seine gesellschaftliche Stellung seine Bemühungen, aber er spendete auch einen fünfstelligen Betrag aus seinem eigenen Vermögen für den Erhalt dieser kulturellen Initiativen.

      Die Sonne senkte sich über dem Horizont, und die Bäume warfen lange Schatten auf das Grün der Fairways. Er könnte mal wieder ins Kom(m)ödchen, ins Hundertmeister oder in die Säule gehen. Dort war er seit Charlottes Tod nicht mehr gewesen. Bernhard senkte seinen Kopf und verschränkte die Hände in seinem Schoß. Seine Gedanken fielen in eine Zeit zurück, die er längst vergessen zu haben glaubte. Warum fiel ihm gerade jetzt wieder Charlotte und die Zeit an der Uni ein? Vielleicht weil ihn eine der Pflegekräfte gefragt hatte, was er heute Abend unternehmen würde. Vielleicht aber auch, weil er sich einfach nur nach ihr sehnte.

      4

      Langeweile hatte er damals im Gegensatz zu heute nicht gehabt. Er studierte und lebte in Aachen. Inzwischen waren viele Jahre vergangen. Jetzt war er alt und allein. Ihm fehlte die Lust, ohne eine Begleitung auszugehen. Früher, als seine Frau noch lebte, war das anders. Sie waren ständig unterwegs gewesen. Charlotte, seine Frau, war Kunsthistorikerin und studierte noch Theaterwissenschaften, als sie sich kennenlernten. Er schrieb gerade an seiner Dissertation und bewohnte eine kleine Wohnung in Aachen.

      Sie war in einer Familie groß geworden, in der die strengen Regeln, deren oberste war, dem Mann stets widerspruchslos zu gehorchen, nicht galten.

      Charlotte und Bernhard hätten unterschiedlicher nicht sein können. Er, konservativ und auf die Besonderheit seiner Herkunft achtend, und sie, unkonventionell, unverfroren frech und provozierend. Es störte sie in keinster Weise, dass die Mitbewohner des Hauses, in dem Bernhard die Wohnung hatte, hinter ihrem Rücken über sie sprachen und sie moralisch minderwertig nannten, weil sie ein halbes Jahr, nachdem sie sich kennengelernt hatten, zu ihm gezogen war, ohne mit ihm verheiratet zu sein.

      Sie lebten ungezwungen zusammen, und kümmerten sich nicht um die morschen Moralvorstellungen der Nachkriegsgesellschaft. In ihrer Jugendlichkeit setzten sie sich sogar über bis dahin als unumstößlich geltende Tugenden wie keusche Enthaltsamkeit hinweg.

      Charlotte und Bernhard waren ihrer Zeit voraus, denn von dem, was neunzehnhundertachtundsechzig passieren würde, hatten sie zu dieser Zeit noch keine Vorstellung.

      Bernhard de Winter hatte lange überlegt, wie er seinen Eltern beibringen könnte, dass er eine Frau heiraten wollte, die sich von allen Zwängen des vorherrschenden gesellschaftlichen Rollenverständnisses von Mann und Frau lossagte, und dies in jedem Augenblick mit ihrem Handeln dokumentierte. Umso überraschter war er, dass seine Eltern Charlotte vom ersten Moment an offen empfingen und in ihre Familie aufnahmen. Sie akzeptierten sogar, dass Charlotte katholisch blieb, bestanden aber darauf, dass die Kinder evangelisch erzogen würden. Charlotte wäre auch konvertiert, denn sie hatte keine konfessionellen Bindungen. Bald darauf heirateten sie und bekamen ihre erste Tochter.

      Durch Charlotte veränderte Bernhard sich. Er setzte sich manchmal über seine Konventionen hinweg und löste sich für seinen neuen Lebensentwurf sogar ein wenig von dem Respekt vor seiner eigenen Familientradition.

      Insbesondere bei der Erziehung der Kinder traten diese unterschiedlichen Auffassungen zwischen ihm und seiner Frau zutage, aber auch für seine berufliche Entwicklung war Charlottes Denkweise sehr von Vorteil, denn er verstand es vortrefflich, die von ihr vorgelebte unkonventionelle Annäherung an Problemstellungen und Lebensaufgaben mit seiner aus der Verantwortung für die traditionellen Werte seiner Familie erfolgten Erziehung zu verbinden. Bald schon galt er als Querdenker und machte Karriere. Einmal in der Tretmühle des Topmanagements angekommen gerieten die Lebensentwürfe der ersten Jahre bei ihm schnell wieder in Vergessenheit. Die gesellschaftlichen Verhältnisse hatten sich auch verändert. Alles, was er damals in der ersten Zeit mit Charlotte als ein Stück seiner persönlich gelebten Freiheit in einer obrigkeitshörigen und alles reglementierenden Gesellschaft betrachtet hatte, war nun zum Bestandteil des alltäglichen Lebens geworden. Ihm kam es so vor, als hätten die Achtundsechziger ihn um diese Zeit mit ihrem Lebensgefühl betrogen.

      Allmählich verkantete er sich wieder und als Charlotte angeboten wurde, Kuratorin am größten Museum der Stadt zu werden, widersetzte er sich anfangs sogar. Er begründete dies damit, dass die Kinder noch zu klein seien. Charlotte ließ sich von diesen Widerständen nicht beeindrucken und nahm kurz darauf die Stelle an.

      Sie hatte einen starken Willen. De Winter musste lachen. Ja, den hatte sie.

      Er stand auf und schaute aus dem Fenster. Vielleicht sollte er sich aufraffen und wieder einmal etwas unternehmen, doch alleine machte es ihm nicht mehr so viel Freude, auszugehen. Vielleicht kommt Lisa, seine Enkelin, die in Köln studierte, mal wieder vorbei und begleitet mich. Er beschloss, sie bei nächster Gelegenheit anzurufen.

      Das Leben in dem Seniorenstift am Park ließ sich wie in einem Fünfsternehotel gestalten. Wenn man nicht auf ärztliche oder pflegerische Hilfe angewiesen war gab es