Erich Szelersky

Das Quaken der Frösche


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mit den anderen im Gemeinschaftsrestaurant ersetzte er oft und aß in seinem Zimmer. Manchmal sah man ihn eine Woche oder länger nicht im Speisesaal.

      Fast schien es, dass er die Gemeinschaft meiden wollte, aber es fiel ihm auch schwer, die andere Seite des Lebens in einem Altenheim zu sehen. Das waren all die gebrechlichen alten Menschen, die der Hilfe des Pflegepersonals bedurften und er ertappte sich bei dem ihn erschreckenden Gedanken, er könnte irgendwann auch einmal ohne fremde Hilfe nicht mehr zurechtkommen.

      Kontakt hatte er zu keinem. Die aktiven älteren Damen hatten schon mehrfach versucht, ihn in ihren Kreis einzubeziehen, doch er hatte sich ihnen immer entzogen. Manchmal, wenn er seine Einsamkeit besonders stark empfand, und mit dem Gedanken spielte, hinunter zu gehen und sich den anderen Hausbewohnern anzuschließen, überkam ihn Trauer um seine verstorbene Frau, und er begründete seine Zurückhaltung gegenüber den anderen und insbesondere auch gegenüber sich selbst damit.

      Wahrscheinlicher war allerdings wohl eher ein Gefühl der Unsicherheit, das ihn zurückhielt. Die Frauen waren jede einzelne und insbesondere auch in der Gruppe sehr selbstbewusst und er kam sich ein wenig lächerlich vor, umgeben von Frauen und ihren Themen, die ihn im Grunde nicht besonders ansprachen. Er konnte auch nicht erwarten, dass sie auf ihn besonders Rücksicht nehmen würden und es war ihm auch nicht verborgen geblieben, dass einige der Frauen kein stärkeres Bedürfnis hatten, ihn in ihren Kreis mit einzubeziehen, weil sie fürchteten, ein Mann könnte ihre Harmonie zerstören. Eine Freundschaft oder gar Partnerschaft mit einer der Frauen einzugehen, und dabei dachte er gar nicht einmal an das Sexuelle, kam für ihn nicht in Betracht, obwohl er sich manchmal schon ausmalte, dass es ganz reizvoll sein könnte, seine Tage mit einer Frau, die gleiche Interessen hatte wie er, zu gestalten.

      Es blieb jedoch bei den Gedanken darüber, und so war es nicht verwunderlich, dass er als Sonderling galt und als arrogant verschrien war. Er hatte davon gehört, als eine der Angestellten, die ihm morgens das Frühstück und seine Zeitungen auf sein Zimmer gebracht hatte, davon erzählte. Im ersten Augenblick hatte er sich überlegt, vielleicht doch einmal wieder zu einem der Bridgetreffen oder zu einer der Veranstaltungen, die ständig zur Unterhaltung der alten Menschen stattfanden, zu gehen, doch schon ein paar Stunden später kam ihm dieser Gedanke wie Hohn vor.

      Bei diesem Verhalten konnte er mit niemandem ins Gespräch kommen. Unterhaltungen führte er, wenn überhaupt, mit Fremden; Menschen, die er nicht kannte, die ihn nicht kannten, und die nach ein paar Minuten oder auch nach einer Viertelstunde, je nachdem, wie lange die Unterhaltung gedauert hatte, wieder aus seinem Blickfeld verschwanden.

      Zufrieden machte ihn das nicht, aber ändern tat er es auch nicht. Manchmal fühlte er sich sogar ein bisschen wohl in seiner „Splendid Isolation“. Unverstanden in seiner Überlegenheit, so kam es ihm vor, doch im Grunde war es nur aufgesetzte Überheblichkeit, mit der er seine Angst, verletzt zu werden, verbarg. Er hatte einen Schutzwall von Verhaltensweisen um sich errichtet, die keiner zu durchdringen vermochte. Als seine Frau noch lebte brauchte er solche Äußerlichkeiten nicht. Doch jetzt waren sie für ihn überlebenswichtig. Sie erhöhten ihn in seinem Selbstbild gegenüber den anderen und gaben ihm das Gefühl, eben nicht einer von ihnen zu sein; ein Rentner, den keiner mehr brauchte, dessen Leben seinen Anker verloren hatte und der in der Anonymität des Banalen zu versinken drohte.

      Wenn er jedoch über seine Situation mit dem ihm eigenen analytischen Verstand nachdachte empfand er nur eine tiefe Einsamkeit und Traurigkeit. Manchmal erwischte er sich sogar dabei, dass er mit einer imaginären Person Selbstgespräche führte und ihr sein großes Unglück erzählte. Dann erschrak er und schaute sich um, prüfend, ob jemand Zeuge seines Selbstgespräches gewesen sein könnte.

      5

      Es war schon Mittag, als Gerd Matuschak vor dem Haus in der Reihenhaussiedlung stand. Er schob sein Fahrrad den schmalen Weg von der Straße zum Hauseingang und stellte es in den dafür vorgesehenen Fahrradständer. Heute war Mittwoch. Das war der Tag, an dem er im Sommer immer das kleine Stückchen Rasen, das hinter dem Haus, eingebettet in einen Schutzwall aus Forsythiensträuchern lag, mähte.

      Er erledigte diese Arbeit und noch einige andere gern für seine Kinder. Seine Tochter arbeitete ebenso wie sein Schwiegersohn, so dass ihnen wenig Zeit dafür blieb. Außerdem gab es ihm das Gefühl, nicht ganz nutzlos zu sein, obwohl er seit seiner Pensionierung vor zwanzig Jahren nicht oft gedacht hatte, unnütz zu sein. Im Gegenteil, er hatte sich gefreut, als ihm von der Personalabteilung mitgeteilt wurde, dass er in den Sozialplan käme.

      Sein ganzes Leben war er auf der Hütte gewesen. Mit vierzehn hatte er die Volksschule verlassen und eine Lehrstelle als Maurer bekommen. Deutschland lag in Trümmern und musste neu aufgebaut werden. Aber es gab Arbeitskräftemangel. Viele Männer waren im Krieg gefallen oder waren noch in Kriegsgefangenschaft. Die Währungsreform brachte ersten Optimismus und die Hoffnung darauf, dass die Hungerjahre und die Zeit des Schwarzmarktes und Organisierens des nackten Überlebens zu Ende gehen würden. Die Jahre waren bestimmt vom wirtschaftlichen Aufschwung. Seine Mutter arbeitete in der Fabrik und beide hofften darauf, dass der Vater bald aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehren würde. Sie mussten lange warten. Zuerst erhielten sie einen Brief, dass er noch lebte. Sie schrieben zurück, ohne jemals erfahren zu haben, ob die Briefe seinen Vater erreicht hatten. Erst nach weiteren zwei Jahren kam die befreiende Nachricht. Vater war auf dem Weg nach Hause.

      Als sie ihn eines Tages vom Bahnhof abholten, war er Gerd völlig fremd. Er hatte sich in den sechs Jahren, die sie sich nicht mehr gesehen hatten, sehr verändert, war im Kriegsgefangenenlager gealtert. Seine Mutter hatte zwei Flaschen Bier am Kiosk gekauft und jeder hatte auf die glückliche Heimkehr ein Glas getrunken.

      Nach der Lehre arbeitete Matuschak noch ein paar Jahre auf dem Bau. Als er hörte, dass die Hütte Arbeiter suchte und besser zahlte, ging er zur Hütte. Da er Maurer gelernt hatte, wurde er im Stahlwerk eingesetzt und mauerte die Pfannen mit Schamottsteinen aus, damit der flüssige Stahl sich nicht durch die Stahlwand der Pfanne fressen konnte.

      In der Halle war es stickig, heiß und staubig. Die schwere Arbeit ging rund um die Uhr. Die Arbeiter arbeiteten in drei Schichten. Samstag, Sonntag, und an den Feiertagen wurde auch gearbeitet. Freie Tage waren nach einem ausgeklügelten Schichtplan verteilt und fielen nur alle paar Wochen einmal auf ein Wochenende.

      Ein monotoner Ablauf, der vor nichts Halt machte, nicht vor Wochenenden, nicht vor Familienfesten und auch nicht vor Feiertagen. Und wenn er einmal das Glück hatte, dass sein freier Tag auf einen Sonntag oder Feiertag fiel, versuchte er, trotzdem zu arbeiten. Panzerschicht nannte er das. Je nachdem, um welchen Feiertag es sich handelte, konnte man an einem solchen Tag bis zum Doppelten seines Lohnes verdienen. Das war für ihn sehr reizvoll, denn schließlich sparte er mit seiner Frau für ein Auto. Erst vor einem Jahr hatten sie sich den ersten Fernsehapparat gekauft. Es ging aufwärts. Sie waren zufrieden, auch wenn ihr Leben von dem erbarmungslosen Arbeitstakt der Hütte bestimmt wurde.

      Je älter er wurde, desto schwerer fiel ihm die Arbeit, und nach dem Unfall litt er ständig unter Schmerzen. Die Pensionierung kam ihm wie eine Erlösung vor.

      Für ihn kamen nun ein paar sehr schöne Jahre. Er lebte damals mit seiner Frau in einer Werkswohnung der Hütte. Sie war nicht sehr groß, nur sechzig Quadratmeter, aber für die beiden reichte es. Sie fuhren mit ihrem kleinen Auto an die Nordsee und in die Berge und einmal flogen sie sogar in die Türkei.

      Sie wollten sich gerne einmal die Stadt ansehen, aus der ihre türkischen Nachbarn stammten.

      Matuschak war in den sechziger Jahren Vorarbeiter einer Kolonne mit einigen türkischen Gastarbeitern, die man angeworben hatte, um den Arbeitskräftemangel auszugleichen.

      Zwei von ihnen kamen aus Akcabaat am Schwarzen Meer, Öczan Yilmaz und Bülent Gökdal. Wenn man in den sechziger Jahren in Akcabaat lebte, arbeitete man entweder auf dem Bau oder in der Fischfabrik.

      Etwas anderes gab es nicht, und beides ernährte eine Familie nicht. So waren sie den Anwerbern, die ihnen guten Verdienst versprachen, nach Deutschland gefolgt.

      Anfangs wohnten die türkischen Männer in eigens für sie errichteten Wohnheimen oder in den billigsten Wohnungen, die sie mieten konnten. Später, als sie erkennen