Stefan Kraus

Die Bruderschaft des Baums


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nicht nach kam. Als es schon dunkelte, kamen die beiden anderen Familienmitglieder nach Hause, während Hanrek immer noch am Tisch saß und Rede und Antwort stand. Damit wurde es jetzt auch nicht besser. Jetzt musste er zu den Fragen seiner Mutter, zusätzlich noch die Fragen von Vater und Bruder beantworten. Sie stellten die gleichen Fragen noch einmal, die er seiner Mutter bereits beantwortet hatte. Es wurde spät in der Nacht, bis er schließlich ins Bett fiel.

      Die nächsten Tage verliefen ereignis- und abwechslungsreich. Er machte Besuche bei Nachbarn und Freunden, richtete Grüße von Miria aus, es wurden Neuigkeiten und Geschichten ausgetauscht und er half natürlich seiner Familie in Haus, Garten und auf dem Feld. Er merkte erst jetzt so richtig, dass ihm diese Arbeit gefehlt hatte.

      „Was hast du denn für eine Narbe an der Hand?“, fragte ihn sein Bruder eines Nachmittags, als sie gemeinsam im Stall Werkzeuge putzten.

      „Das ist eine eher unerfreuliche Geschichte. Ich habe dir doch erzählt, dass ich mich schon auf dem Weg nach Haffkef mit den beiden Gehilfen geschlagen habe. Die Narbe habe ich als kleines Zeichen dafür bekommen, dass sie das nicht vergessen haben.“

      Und dann erzählte Hanrek Stonek die ganze Geschichte mit der Sudkanne.

      „Lass mal sehen.“, bat Stonek. Er betrachtete sie eingehend.

      „Hm. Sie sieht aus wie ein Baum. Passt zu dir, da du Bäume ja so liebst.“

      Hanrek sah erst seinen Bruder und dann seine Hand verblüfft an.

      „Du hast recht, wenn man sich das als den Stamm denkt ...“, Hanrek deutete auf die dickste Linie in der Mitte der Handfläche, „... und diese Linien als die Äste ...“, dabei fuhr er mehrere etwas dünnere Linien entlang, die von der dicken Linie abgingen, „... dann kann man darin wirklich einen Baum sehen.“

      „Ich habe mir den Griff von der Sudkanne noch gar nicht so genau angesehen. Aber jetzt vermute ich, dass auf dem Griff tatsächlich ein Baum als erhabenes Motiv vorhanden ist. Das hat sich dann viel tiefer in die Haut eingegraben als der Rest des Griffs. Sobald ich wieder in Haffkef bin, werde ich mir die Sudkanne mal genauer ansehen.“

      Hanrek vergaß es auch nicht, bei seinem Zögling dem kleinen Heronussbaum im Garten vorbeizugehen. Der kleine Baum war schon kein ganz kleiner Baum mehr sondern er war kräftig gewachsen und überragte Hanrek deutlich. Natürlich begrüßte er ihn auf seine spezielle Art und Weise, mithilfe seiner Gabe. Der kleine Heronussbaum hatte natürlich noch nichts gemeinsam mit der väterlichen Präsenz seines Ahnen im Wald aber auch er hatte schon eine beachtliche Aura. Hanrek saugte diese Aura in sich auf und speicherte das Gefühl, das ihm der junge Baum vermittelte, tief in seinem Inneren ab.

      Die Woche war schnell verstrichen und viel zu schnell war es wieder Zeit, nach Haffkef zurückzukehren. Pirion und Stonek versprachen ihm, ihn in Haffkef so bald wie möglich zu besuchen. Sie hatten vor, im Herbst nach der Ernte Lebensmittel in Haffkef auf dem Markt zu verkaufen und wollten ihn dabei besuchen kommen. Hanrek machte sich auf den Weg zurück und kam diesmal ohne Zwischenfälle in Haffkef an.

      Zurück von seiner Reise machte sich Hanrek bei der nächsten Gelegenheit daran, den Griff der Sudkanne zu untersuchen. Wie sich jedoch herausstellte, hatte Zollan nach dem Vorfall mit der Kanne den eisernen Griff durch einen Holzgriff ersetzt.

      Als Hanrek ihn danach fragte, kam die Antwort. „Den eisernen Griff suchst du. Möchtest du dir mal wieder die Finger wärmen?“, und sofort fing Zollan wieder zu keckern an.

      Und erst nach einer Weile war er wieder in der Lage, die Frage von Hanrek zu beantworten.

      „Den habe ich, wie du vielleicht bemerkt hast, durch einen Holzgriff ersetzt. Wenn der aus Versehen im Feuer herumliegt, dann kann nur ein Unfall passieren. Er geht in Flammen auf. Habe den Griff in das Zimmer mit dem Gerümpel geworfen, du weist schon ganz unter dem Dach die Kammer am Ende des Gangs. Da irgendwo weit hinten wird er liegen, bis Lucek mal wieder auf die Idee kommt, dass ihr Lehrlinge die Kammer ausräumen sollt und ein paar Sachen auf’m Markt verkauft werden sollen und die restlichen Sachen werden dann ganz weggeworfen.“

      Glücklicherweise war Lucek in letzter Zeit nicht auf diese Idee gekommen und nach langem Suchen, einigen leichteren Schnittverletzungen und einigen Niesanfällen, die durch einen alten staubigen Teppich hervorgerufen wurden, fand Hanrek ihn in der dunklen Kammer. Er nahm ihn mit auf sein Zimmer und schaute ihn sich dort genauer an. Wie geahnt, hatte der Griff ein erhabenes Motiv eines Baums. Das Motiv war filigran gearbeitet und eine gute handwerkliche Arbeit. Hanrek beschloss, den Griff als Erinnerungsstück aufzubewahren und steckte ihn in sein Bündel.

      Einige Tage später fand er endlich auch mal wieder Gelegenheit, sich daran zu machen, die Heronuss zum Keimen zu bewegen. Sein Plan war, die Aura, die er bei dem jungen Baum im Garten seiner Eltern wahrgenommen hatte, abzurufen und diese der Nuss als ihre eigene Aura zu übermitteln. Gleichzeitig wollte er versuchen, die Nuss von anderen Einflüssen abzuschirmen. Er vermutete, dass der tote Heronussbaum einen Rest an Aura ausstrahlte, die die Nuss wahrnehmen konnte und verhinderte, dass sie sich zum Keimen bewegen ließ. Der Plan klang einfach und logisch, er stellte sich in der Ausführung aber als harte Konzentrationsarbeit heraus.

      Mehrere Tage versuchte er verbissen zum Ziel zu gelangen und begann schon langsam daran zu zweifeln, dass der Plan überhaupt durchführbar war. Als es ihm dann tatsächlich gelang, beide Dinge gleichzeitig zu tun, war er überrascht und voller Euphorie. Diese Euphorie wurde schließlich belohnt. Es begann mit einer ganz zarten und sachten Resonanz, die er auf die Übertragung der übermittelten Aura bekam. Es wirkte auf Hanrek fast wie eine Frage, die ihm die Nuss stellte. Er beantwortete die Frage der Nuss mit noch größeren Anstrengungen, in denen er sich bemühte, die Aura zu verstärken. Und schließlich gelang es. Die Nuss keimte.

      Hanrek hätte am liebsten Luftsprünge gemacht und wäre in Jubelgeschrei ausgebrochen und er musste sich doch normal verhalten, denn wem hätte er erklären wollen, dass er es geschafft hatte mit der Kraft seiner Gedanken nämlich der Gabe, von der niemand etwas wusste und wissen sollte, über mehrere Schritt Entfernung hinweg eine Heronuss tief in der Erde unter dem toten Gerippe des alten Baums zum Keimen zu bringen.

      Er musste lächeln, als ihm die Absurdität der Situation bewusst wurde. Niemand hätte ihm vielleicht mit Ausnahme der Bruderschaft eine solche Geschichte geglaubt.

      Nachdem die Nuss endlich gekeimt hatte, begann eine weitere schwere Aufgabe. Der Spross, der noch tief in der Erde war, musste an die Oberfläche geleitet werden. Als Hanrek die möglichen Wege an die Oberfläche ermittelte, wurde ihm Angst und Bang um den kleinen Spross. Der natürlichste Weg nämlich einfach gerade nach oben war versperrt.

      Ein Spross des Heronussbaums hatte normalerweise die Kraft, alles was auf seinem Weg lag fort zu räumen, beiseite zu drücken oder bei größeren Hindernissen diese zu sprengen und zwar mit einer Kraft, wie Wasser, das durch kleine Ritze ins Innere eines Felsbrockens eingedrungen ist, durch Gefrieren zu Eis wird, sich dadurch ausdehnt und dabei den Felsbrocken sprengt. Der Spross war in der Lage sich durch ein Felsmassiv zu bohren aber er war eben nicht in der Lage es mit einem an Festigkeit nicht zu überbietenden Heronussbaum aufzunehmen.

      Die Gefahr war, dass der Spross geradewegs in eine Sackgasse des Wurzelwerks des Heronussbaums hinein wuchs und in dem Versuch sich durchzukämpfen, verkümmerte und starb.

      Die erste Idee Hanreks war, den Spross etwas nach unten und dann an dem Wurzelwerk vorbei zu führen. Hanrek versuchte es, der Spross ließ sich aber nicht dazu bewegen nach unten zu wachsen. Als Hanrek diesen Versuch schließlich aufgab, hatte er wertvolle Zeit verloren. Der Spross war mittlerweile gefährlich nahe an einer Sackgasse angekommen und Hanrek war sich nach seinem vorhergehenden vergeblichen Versuch sicher, dass er ihn da nicht wieder hätte herausführen können. Also suchte er verzweifelt nach weiteren möglichen Wegen. Der einzige Weg, der ihm sicher genug erschien, war der mitten durch den Baum. Am Ende würde der Spross aus dem Spalt herauskommen.

      Der Spalt, der durch den Baum verlief, ging im Zickzack und reichte bis hinunter ins Wurzelwerk in der Erde. Allerdings gab es da eine kritische Stelle, die nur eine sehr kleine Lücke bot. Hanrek hoffte, dass der neue Heronussbaum irgendwann stark genug sein würde, um diese Stelle