Stefan Kraus

Die Bruderschaft des Baums


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vorstellen, wie dieser Baum wieder wachsen soll, wo er doch schon seit mindestens 800 Jahren tot ist.“, sagte Hanrek.

      „So wie du denken viele. Deshalb wird die Zahl der aktiven Brüder auch immer kleiner. Einst waren es Hunderte, heute sind wir gerade mal noch zwanzig.“, antwortete Jorgen.

      „Was passiert mit denen, die die Bruderschaft verlassen müssen?“, fragte Hanrek.

      „Da ihre Chance vertan ist, den Baum wieder zum Wachsen zu bringen, dürfen sie keine aktiven Brüder mehr sein. Sie werden feierlich verabschiedet, bleiben aber ihr Leben lang der Bruderschaft verpflichtet. Das heißt, sie gehören dann zur Armee der Bruderschaft und die wird dem obersten Bruder für seine Aufgabe ebenfalls zur Verfügung stehen. Wir alle bekommen beim Eintreten in die Bruderschaft auf den Rücken der linken Hand das Symbol des Baums eintätowiert. Und wenn der oberste Bruder ruft, werden alle kommen, egal wo sie sind und was sie gerade tun.“

      „Lucek hat mir erzählt, dass es ein Gesetz des Königs gibt, das dafür sorgt, dass ihr mit Geld versorgt werdet.“, bemerkte Hanrek.

      „Ja.“, bestätigte Jorgen, „das Gesetz ist schon sehr alt und oft bestand die Gefahr, dass das Gesetz von Königen aufgehoben wird. Aber wir hatten in Kiroloom schon immer einflussreiche Brüder, die es geschafft haben, das zu verhindern. Wir hoffen, dass das Gesetz auch in Zukunft bestehen bleibt.“

      Nach zwei Wochen kam wie erwartet der Lehrling aus Hattkel. Er war ein langer Schlacks mit einem freundlichen Gesicht. Sein Name war Binno. Wie Lucek vermutet hatte, verstanden sich die beiden auf Anhieb sehr gut. Hanrek führte Binno herum, zeigte ihm alles, warnte ihn vor den beiden Gehilfen und stellte ihm alle anderen Personen des Haushalts vor. Die Arbeit, die Hanrek bisher schon viel Spaß gemacht hatte, machte jetzt noch mehr Spaß, da er einen Kumpan hatte, mit dem er sie gemeinsam tun konnte. Sie lachten viel und gingen öfter gemeinsam in die Stadt, wenn sie Zeit dazu fanden. Häufig schlossen sich ihnen auch der Stallbursche Mico und der Bruder Jorgen an.

      Für eine Gruppe von vier halbwüchsigen jungen Männern bot die Stadt viele Abenteuer. Hanrek stellte fest, dass es Mico faustdick hinter den Ohren hatte. Der Stallbursche kannte sich gut in der Stadt aus und zwar auch in Gegenden, in denen er sich nicht hätte auskennen sollen. Immer dann, wenn Mico die Führung übernahm, kamen sie in so manche düster wirkende Schenke, in denen das Bier billig war aber schal schmeckte und in denen dafür umso kräftiger gespielt wurde. Gerne setzte er dann auch einige Kupferlinge und manchmal gewann er sogar.

      Eines Abends hatte Mico wieder einmal die Führung übernommen. Er hatte sie zu einer windschiefen Hütte gebracht und fröhlich mehrere windige Gesellen begrüßt, die ihn alle zu kennen schienen. In einer Ecke war ein munteres Kartenspiel im Gange. Zielsicher ging Mico zu dem Tisch und fragte, ob er mitspielen dürfe. Gerne wurde er in der Runde aufgenommen. Hanrek und die beiden anderen wurden gefragt, ob sie nicht auch mit tun wollten, sie lehnten aber dankend ab. Sie zogen sich stattdessen Stühle heran, bestellten sich jeder ein Bier und begannen sich zu unterhalten. Nur hin und wieder warfen sie einen Blick auf die Kartenspieler. Vor Mico häufte sich so nach und nach ein immer größer werdender Berg Münzen. Man merkte ihm an, dass er in guter Stimmung war. Die drei bestellten sich jeder ein zweites Bier. In der Hütte brummte es vor Geschrei, Lachen und Gesang.

      Plötzlich ging alles sehr schnell. Am Kartentisch wurden Stühle umgestoßen, es flogen Gläser und Münzen auf den Boden und es begann eine wilde Rauferei zwischen einem der Spieler und Mico. Der breitschultrige Gegner Micos war um einiges älter und ein wahrer Hüne, der ihn mindestens um einen Kopf überragte. Er schaffte es Mico in eine Ecke zu drängen und ihn mit beiden Armen zu umklammern, sodass dieser sich nicht mehr rühren konnte. Mico holte kräftig aus und trat ihm mit der Stiefelspitze gegen das Schienbein. Aufheulend knickte der Getroffene ein, verlor das Gleichgewicht und zusammen krachten sie auf den Boden. Der Hüne lockerte dabei seinen Griff und Mico schaffte es fast, sich aus der Umklammerung zu lösen. Er holte Schwung mit dem Kopf und donnerte dem Hünen seine Stirn direkt auf die Nase. Damit hatte er sich genug Raum und Zeit verschafft, um aufzuspringen und etwas Distanz zwischen sich und den Hünen zu bekommen. Dieser kam brüllen vor Wut und aus der Nase blutend wieder auf die Beine, holte aus um Mico einen Kinnhaken zu verpassen. Doch Mico war schneller. Als der Schlag kam, duckte er sich, schlüpfte wieselflink an dem Hünen vorbei und rammte ihm den Ellenbogen mit voller Wucht in die Nieren. Vor Schmerz schrie der Hüne auf und ging zu Boden, wo er sich um Luft ringend wälzte.

      Mico ging seelenruhig zum Spielertisch, warf den anderen Spielern einen feindseligen Blick zu, las die Münzen auf, von denen er annahm, dass sie ihm gehörten, warf dem Wirt eine Krone zu, die dieser geschickt mit einer Hand auffing, und nickte dann seinen Freunden zu.

      „Lasst uns gehen.“

      Die drei machten, dass sie Mico aus der Hütte folgten, bevor jemand auf die Idee kam, sie aufzuhalten.

      „Mann, das war aber eine üble Schlägerei.“, sagte Jorgen.

      „Na ja. So schlimm war sie nun auch wieder nicht. Ich habe ja noch nicht einmal meine Messer einsetzen müssen.“, sagte Mico und bückte sich, um aus seinem rechten Stiefelschaft ein langes dünnes Messer zu ziehen. Sofort ließ er es wieder zurück gleiten.

      „Warum habt ihr euch überhaupt geschlagen?“, fragte Hanrek.

      „Er hat behauptet ich spiele falsch.“

      „Und hast du?“, fragte Hanrek.

      Mico grinste.

      „Wenn ich nicht falsch gespielt habe, ist ja wohl klar, dass ich mich schlagen muss, um zu zeigen, dass ich unschuldig bin und er mich mit seiner Frage beleidigt hat. Und wenn ich falsch gespielt habe, kann ich das ja wohl schlecht zugeben, also muss ich so tun, als ob er mich beleidigt hätte. Nach so einer dummen Behauptung muss es also zwangsläufig zu einem Kampf kommen.“

      Mit diesen Worten drückte sich Mico um eine ehrliche Antwort, was darauf schließen ließ, dass er tatsächlich falsch gespielt hatte.

      Nach diesem Erlebnis gingen sie zwar weiterhin gerne mit Mico in die Stadt, sie achteten aber immer darauf, dass nicht er sondern einer der anderen die Führung übernahm.

      Nachdem jetzt Binno angekommen war, hatte auch die Zeit begonnen, in der sie morgens gemeinsam von einem Lehrer Unterricht bekamen. Der Lehrer hatte die Aufgabe ihnen alles beizubringen, was sie als Gehilfen eines Steuereintreibers benötigen würden.

      Er hieß Fisilio und war noch recht jung. Er kam aus Kiroloom und hatte sich entschlossen, das ganze Königreich zu bereisen. Auf dieser Reise war er auch in den nördlichen Teil des Königreichs gekommen. Nun brauchte er Geld, um seine Reise fortsetzen zu können.

      Er unterrichtete sie auf interessante und natürliche Weise. Beide Lehrlinge hatten große Freude seinem Unterricht zu folgen und lernten spielend.

      Neben dem eigentlichen Lernstoff fand Fisilio immer wieder Zeit, ihnen von seinen Reisen zu erzählen. Er erzählte ihnen auch viel über Kiroloom und den König.

      „Sag mal Fisilio. Was hat es eigentlich mit dem goldenen Drachenei in Kiroloom auf sich?“, fragte Hanrek in einer Unterrichtsstunde, als Fisilio wieder einmal über seine Heimatstadt Kiroloom berichtete.

      „Das Drachenei, das ist eine geheimnisvolle Sache.“, freute sich Fisilio wie immer, wenn einer der Lehrlinge ihm eine interessierte Frage stellte, insbesondere dann, wenn diese Frage ihm daraufhin gestattete, eine interessante Geschichte zu erzählen.

      „Ob der Gegenstand, der als Drachenei bezeichnet wird, tatsächlich ein Drachenei ist, oder einfach nur ein eiförmig geformter Goldklumpen, schon das kann oder will einem niemand genau erzählen. Bei dem Drachenei, bezeichnen wir es trotzdem so, handelt es sich wahrscheinlich um den bestbewachten Gegenstand im Königreich.“, begann er seine Erläuterungen.

      „Es wird rund um die Uhr von einer ganzen Kringe Soldaten bewacht. Und das sind Elitesoldaten, die normalerweise dazu da sind, den König zu beschützen. Es wird in einem eigens dafür reservierten Raum der Schatzkammer gelagert. Gesehen hat das Drachenei kaum je einer, weil es nicht öffentlich zur Schau gestellt wird. Und ihr wisst, wie das mit solchen Dingen ist, um