Stefan Kraus

Die Bruderschaft des Baums


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und würde noch Geld übrig behalten. Als Hanrek an das Geld und die Einkäufe dachte, die er noch zu erledigen hatte, hatte er es auf einmal eilig. Er hatte zu lange herum getrödelt und jetzt würde er es wahrscheinlich gerade noch so bis zum Mittagessen schaffen, aber nur wenn er sich sehr beeilte. Er ließ ohne ein Wort den Ladenbesitzer stehen und ging schnell in Richtung Markt.

      Verärgert rief ihm der Ladenbesitzer nach.

      „Du hättest ja wenigstens versuchen können zu handeln, du Bastard.“

      Hanrek beachtete sein Rufen nicht und eilte weiter. Er wollte nicht schon beim ersten Mal zu spät sein oder Zollan die versprochenen Dinge nicht mitbringen. Schnell kaufte er die Sachen ein und schaffte es dann gerade noch rechtzeitig, bis zum Mittagessen zurück zu sein.

      Nach dem Mittagessen, das aus einem würzigen wohlschmeckenden Eintopf bestand, fand sich Hanrek wie gewünscht im Arbeitszimmer von Lucek ein. Der Raum war funktionell und weitgehend schmucklos eingerichtet. Die Ausstattung bestand aus einem Schreibtisch in der einen Ecke, einigen Stühlen in der anderen Ecke und Büchern und gestapelten Akten in Regalen an den Wänden.

      Lucek kam gleich zur Sache, und erläuterte Hanrek, wie sein Tagesablauf in der nächsten Zeit aussehen würde.

      „Sobald der andere Lehrling aus Hattkel eingetroffen ist, bekommt ihr morgens zusammen Unterricht bei einem Lehrer, den ich ins Haus bestellt habe. Den genauen Lehr- und Zeitplan bekommt ihr dann vom Lehrer. Bis aber der Lehrling da ist, hilfst du mir morgens im Arbeitszimmer beim Akten Aufräumen und Sortieren. Durch das Erdbeben sind viele Akten komplett verloren gegangen, einige konnten aus den Trümmern gerettet werden. Sauber gemacht haben wir sie schon aber sie müssen neu sortiert werden. Viele Akten sind miteinander vermischt worden. Vielleicht können wir aus den vorhandenen Akten auch Teile der verloren gegangenen Akten rekonstruieren. Wenn nicht, müssen diese neu angelegt werden. Es gibt jede Menge zu tun und jedes Mal, wenn ich mich damit beschäftige, wird der Berg Arbeit größer anstatt kleiner.“

      „Nachmittags bekommt ihr dann zweimal in der Woche Kampfunterricht. Für zwei Lehrlinge wollte ich keinen eigenen Ausbilder einstellen. Deshalb habe ich mich mit der Bruderschaft des Baums geeinigt, dass ihr dort mit trainieren dürft.“, fuhr Lucek fort.

      „Bruderschaft des Baums. Was ist das?“, fragte Hanrek.

      „Wenn du in unseren Hof gehst, siehst du das Gebäude gegenüber. Vielleicht hast du es ja schon gesehen. Dort hat die Bruderschaft des Baums ihren Sitz. Sie verehren den toten Heronussbaum in ihrem Garten oder so etwas Ähnliches. Die Bruderschaft geht auf irgendein altes Gesetz eines lange verstorbenen Königs zurück. Die Bruderschaft bekommt sogar von den Steuergeldern, die wir eintreiben einen gehörigen Batzen ab. Wenn du mich fragst, gehört das Gesetz abgeschafft. Aber wenigstens muss ich für eure Teilnahme an der Kampfausbildung nichts extra bezahlen, da wir die Kerle ja sowieso durchfüttern.“, erklärte Lucek.

      Hanrek erinnerte sich seiner Absicht, sich nach dem toten Baum zu erkundigen und er fand das war eine günstige Gelegenheit damit anzufangen.

      „Weißt du etwas über diesen toten Baum? Wie lange ist er schon tot? Warum ist er gespalten?“

      Lucek schüttelte den Kopf.

      „Keine Ahnung, keine Ahnung und keine Ahnung, um deine drei Fragen zu beantworten. Warum interessiert dich der Baum? Willst du dir etwa einen Ast abbrechen? Das vergiss gleich wieder. Sich einen Ast von einem Heronussbaum abbrechen zu wollen ist genauso schwer, wie das goldene Drachenei in Kiroloom stehlen zu wollen.“

      Hanrek hatte noch nie von einem goldenen Drachenei in Kiroloom gehört, aber er wollte nicht nachfragen.

      „Nun, wo war ich stehen geblieben. Ja, eigentlich war die Kampfausbildung von Rannold und Tonnir schon zu Ende. Aber ich habe mich entschlossen, dass sie, sobald sie dazu wieder in der Lage sind, noch mal mittrainieren sollen. Nachdem sie sich gestern ziemlich blamiert haben und zu zweit keine Chance gegen dich hatten, tut ihnen das sicher gut. Die Bruderschaft zählt ungefähr zwanzig Brüder. Dann seid ihr eine große Gruppe und habt damit viele wechselnde Gegner. Ich weiß nicht viel von der Bruderschaft, aber zumindest so viel weiß ich, dass die interne Hierarchie streng nach Alter geregelt ist. Der älteste Bruder hat bei allem das Sagen. Ist der älteste Bruder nicht da, dann bestimmt der Zweitälteste und so weiter. Übrigens bitte achte bei den Kampfübungen darauf, dass du nicht auf Rannold und Tonnir triffst. Ich will nicht schon wieder Schwerverletzte in meinem Haus.“

      „Die anderen vier Tage in der Woche helft ihr mir bei verschiedenen Dingen. Wir haben zweimal in der Woche Sprechstunde hier im Haus. Die wird zwar noch nicht so gut angenommen, wie ich mir das wünsche aber das wird schon werden. Es gibt Tage, an denen ich die Handwerker und Ladenbesitzer in der Stadt besuche. Zweimal im Jahr, aber das hast du ja mitbekommen, statte ich den Dörfern einen Besuch ab. Es muss außerdem das Kassenbuch geführt werden. Um die Weiterleitung der eingetriebenen Steuern müssen wir uns kümmern und vieles mehr.“

      Lucek erläuterte noch viele Details, ehe er von seinem Stuhl aufstand und sagte.

      „Ich habe jetzt gleich einen Termin beim Tef und muss los. Du beginnst deine Arbeit damit, dass du dir die Akten hier drüben anschaust. Die sind schon sortiert und sollten stimmen.“

      Lucek deutete auf einen kleinen Berg Akten in einem der Regale.

      „Versuch das System zu begreifen, wie sie geordnet sind. Dort drüben sind die unsortierten Akten.“

      Lucek deutete auf einen viel größeren Berg in einem anderen Regal.

      „Schau, ob du schon was vorsortieren kannst. Aber vermische bitte die unsortierten nicht mit den sortierten. Wie wir da vorgehen, darüber reden wir noch mal.“

      Und damit ging er aus dem Raum und überließ Hanrek seiner Arbeit.

      In den nächsten Tagen wühlte sich Hanrek mehr und mehr durch die Akten und beschäftigte sich so intensiv damit, dass er schon nachts anfing, davon zu träumen. Es war keine Arbeit, die wirklich Spaß machte, aber Hanrek arrangierte sich mit ihr.

      Von Rannold und Tonnir bekam er fast nichts zu sehen. Diese leckten ihre Wunden, und wenn er einen der beiden traf, gingen sie wortlos aneinander vorbei und warfen sich nur böse Blicke zu.

      Was Hanrek richtig Spaß machte, waren die Übungsstunden bei der Bruderschaft. Die Übungsstunden fanden, auch wenn es langsam kalt wurde, im Garten der Bruderschaft auf einem Areal mit festgetretenem Lehm statt, direkt in Reichweite des toten Baums. Die Unterlage aus Lehm kam Hanrek natürlich sehr entgegen, da sie ermöglichte, dass er seine Gabe einsetzen konnte. Das verhalf ihm dazu, dass er mit seinem Können wiederum einen guten Sprung nach vorne tat. Für die Brüder diente der Kampf nicht dazu jemanden anzugreifen oder sich zu verteidigen sondern lediglich als Mittel um die eigene Mitte zu finden, damit sie besser meditieren konnten.

      Er freundete sich mit einem gleichaltrigen Jungen namens Jorgen an und dieser erläuterte ihm, was die Bruderschaft tat und warum sie es tat.

      „Die Bruderschaft des Baums gibt es aufgrund der Prophezeiung des Baums. Vor ungefähr 800 Jahren hat der damalige König bei einer Reise durchs Land auch die Stadt Haffkef besucht, und als er den Baum sah, machte er eine Prophezeiung.“

      Jorgen sprach die folgenden Worte mit feierlicher Miene und fast wie ein Gebet.

      „Jahrhunderte wird es dauern, da wird ein junger Mann diesen toten Baum durch seine geistige Stärke wieder zum Wachsen bringen. Dann steht das Schicksal des Königreichs auf des Messers Schneide. Dieser junge Mann wird das Schicksal des Königreichs entweder zum Guten oder zum Schlechten wenden. Er wird Ruhm erlangen und ein Held sein oder zusammen mit dem Königreich namenlos untergehen.“

      Dann fuhr er mit seinen Erläuterungen fort.

      „Damals wurde die Bruderschaft des Baums gegründet. Es kann ihr nur beitreten, wer mindestens fünfzehn Jahre alt und männlich ist. Und wenn man älter als einundzwanzig Jahre ist, muss man sie wieder verlassen. In diesen Jahren versuchen wir, durch Meditation die Prophezeiung zu erfüllen und den toten Baum wieder zum Wachsen zu bringen. Und derjenige, der es irgendwann schaffen wird, den