Stefan Kraus

Die Bruderschaft des Baums


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Koch der Bruderschaft versorgte die hässlichen Wunden mit einem dicken Salbenverband und riet ihm, einen Heiler aufzusuchen.

      Der gleiche Heiler, der auch Rannold und Tonnir nach ihrer Auseinandersetzung mit Hanrek versorgt hatte, kümmerte sich noch vor der Mittagszeit um die Hand von Hanrek. Der Heiler war sich sicher, dass Hanrek die Hand wieder würde ganz normal gebrauchen können, aber es würde eine Weile dauern und es würden einige hässliche Narben zurückbleiben. Er machte ihm genau wie der Koch zuvor einen dicken Salbenverband, gab ihm einen Tiegel mit Salbe mit und beschrieb ihm, wie er die Hand behandeln sollte.

      Die Folge der Brandwunde war, dass Hanrek die nächsten Wochen nicht arbeiten konnte. Nach seinem Einzelunterricht morgens bei Fisilio, Binno war mit Lucek und Tonnir noch unterwegs, nahm er sich den Nachmittag frei. Er setzte sich in den Hof ins Kräuterbeet und ruhte sich aus. Er nutzte die Zeit, um viele Bücher aus Luceks Bibliothek zu lesen.

      Nachdem er jetzt fast schon ein halbes Jahr in Haffkef war, kam er erst jetzt einmal dazu, zu beobachten, wie die Bruderschaft meditierte. Die Brüder kamen in einer langen Schlange feierlich und mit gemessenem Schritt aus dem Haus, umrundeten den toten Baum einige Male und setzten sich dann in Meditationshaltung um den Baum. Mit geschlossenen Augen meditierten sie den ganzen Nachmittag und standen dann plötzlich wie auf ein geheimes Kommando hin gleichzeitig wieder auf. Genauso wie sie gekommen waren, gingen sie auch wieder in einer langen Schlange zurück ins Haus. Dabei wurde die ganze Zeit kein einziges Wort gesprochen. Hanrek war ehrlich beeindruckt.

      Beim zweiten Mal, als er die Prozedur sah, fühlte er sich animiert, ebenfalls die Augen zu schließen und zu meditieren, was bei Hanrek hieß, dass er die Gabe fließen ließ und sich ihr ganz hingab.

      Er hatte in der Zeit, in der er in Haffkef war, selten Zeit gefunden, sich der Gabe hinzugeben, da der Takt in der Stadt einfach anders schlug als im Dorf. Die Benutzung der Gabe hatte wie immer zur Folge, dass er sich entspannte und Frieden fand. Er begann die Nutzung der Gabe im Kräuterbeet und dehnte sie nach und nach aus bis über den ganzen Garten der Bruderschaft. Auch den toten Baum sparte er nicht aus, sondern erforschte ihn in allen Einzelheiten. Er konnte die glatte Oberfläche des Kerns fühlen, als würde er mit seinen Fingern darüber streichen. Er untersuchte auch die zerfaserten und rauen Stellen, an denen der Baum gespalten war. Jeden einzelnen Zentimeter des Spalts untersuchte er fast zärtlich. Dann fuhr er mit der Gabe die Wurzeln entlang.

      Die dünnsten Teile der Wurzeln waren über die Jahrhunderte in der Erde zersetzt worden, aber die etwas gröberen Teile der Wurzeln, die aus Kernholz bestanden, waren erhalten und das seit weit über 800 Jahren. Die Wurzeln reichten sehr tief in die Erde. Er fühlte bis in die kleinsten erhaltenen Fasern hinunter und darüber hinaus.

      Doch plötzlich stockte er. Er prüfte noch einmal. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Tief unter dem Wurzelwerk des Baums lagerte eine Heronuss. Er wusste sofort, dass es eine Heronuss war, da er ja im letzten Sommer selbst eine gefunden und eingepflanzt hatte. Ja er hatte sie sogar beim Wachsen unterstützt. Vor hunderten von Jahren musste irgendein längst gestorbenes und vergessenes Tier die Nuss in seinen Bau getragen haben. Der Fund erfüllte Hanrek mit Freude.

      In den nächsten Tagen verbrachte Hanrek jede freie Minute im Kräuterbeet. Bis spät in die Nacht saß er dort, wenn möglich.

      Die anderen Bewohner des Hauses begannen sich Sorgen zu machen, da sich Hanrek in ihren Augen doch etwas seltsam benahm. Sie vermuteten, dass ihn der Anschlag von Rannold aus der Bahn geworfen hatte und sie hofften, dass Lucek bald zurückkommen würde.

      Der Einzige, der sich das natürlich nicht wünschte, war Rannold. Er wusste nicht, dass Hanrek beschlossen hatte, den Vorfall Lucek gegenüber nicht zu erwähnen. Hanrek hatte auch die anderen Bewohner des Hauses beiseite genommen und sie gebeten, Rannolds Hinterhältigkeit unerwähnt zu lassen. Mico hatte über Hanreks heldenhafte Einstellung gelacht, hatte aber versprochen, dass er dicht hielt.

      Zollan hatte nur mit der Schulter gezuckt und gesagt. „Wenn du das so willst und für richtig hältst. Bitte.“

      Hanrek hatte aber auch mitbekommen, dass Zollan Rannold kurz nach dem Vorfall beiseite genommen hatte und ihm klar gemacht hatte, dass die Küche sein Hoheitsbereich war und er solche Vorfälle in seiner Küche nicht noch einmal dulden würde.

      Was Hanrek betraf, war er ganz und gar nicht aus der Bahn geworfen, wenn man davon absah, dass er die rechte Hand noch schonen musste und sie kaum gebrauchen konnte, war er im Gegenteil voller Energie und Tatendrang.

      Hanrek hatte, wie er fand, eine äußerst sinnvolle Tätigkeit gefunden, in der er aber keine Hände brauchte.

      Wenn er in dem Kräuterbeet saß, ließ er die Gabe fließen und versuchte die Heronuss zum Wachsen zu animieren. Eine schwere Aufgabe, da eine Heronuss bekanntlich nicht in unmittelbarer Nähe eines Heronussbaums keimte. Wieder und wieder versuchte er, den nötigen Wachstumsimpuls auszulösen. Die Nuss wollte jedoch nicht keimen. Es half auch nichts, dass Hanrek vor nicht all zu langer Zeit einer Heronuss beim Keimen und Wachsen geholfen hatte und damit wusste, wie sich das anfühlte und wie er die Nuss unterstützen konnte.

      Hanrek hatte natürlich als Erstes geprüft, ob noch Leben in ihr war. Dies war nicht das Problem. Er erwog, die Nuss einfach auszugraben. Diese Idee verwarf er wieder. Erstens hätte er dazu die Bruderschaft bewegen müssen, dass er in ihrem Garten graben durfte und dies in unmittelbarer Nähe und gar unter ihrem heiligen Baum. Das war einfach unvorstellbar. Die Bruderschaft hätte das nie erlaubt. Zweitens hätte das Loch sehr tief sein müssen, und Hanrek wusste nicht, wie er das bewerkstelligen sollte.

      Dann überlegte er, ob er die Wurzel eines anderen Baums dazu bewegen könnte, in die Richtung der Nuss zu wachsen und sie vor sich her an die Oberfläche zu schieben. Auch das verwarf er, da es im Garten und auch in der näheren Umgebung nur Sträucher und keine Bäume gab. Ein neu gepflanzter Baum würde ein ganzes Menschenleben brauchen, um nur annähernd die Größe zu erreichen, die er hier benötigte. Die Nuss lag außerdem nicht frei unter den Wurzeln, sondern war teilweise davon eingeschlossen. Es blieb also nur die Möglichkeit, die Nuss doch zum Keimen zu bringen.

      Dann kam Lucek mit Gehilfe und Lehrling von seiner Rundreise zurück und Hanrek hatte erst einmal keine Gelegenheit mehr sich in das Kräuterbeet zu setzen und zu meditieren. Lucek hatte Arbeit mitgebracht. Hanrek schilderte ihm sein Missgeschick mit der Kanne und stellte es so dar, als ob er selbst schuld gewesen wäre.

      Lucek nahm natürlich Rücksicht auf seine verbrannte Hand, fand aber haufenweise Arbeit für ihn. Er nahm ihn viel auf Besuche mit in die Stadt und fand auch sonst viele Dinge, die man mit nur einer Hand tun konnte, sodass Hanrek die nächste Zeit kaum einmal dazu kam, sich mit der Nuss zu beschäftigen.

      Hanrek erzählte Binno natürlich die Wahrheit über seine verbrannte Hand. Er tat das vor allem, um diesen vor ähnlichen Missgeschicken mit den beiden Gehilfen zu schützen. Er bat aber auch, ihn Lucek gegenüber nichts zu erwähnen. Warum es ihm so wichtig war, dass der Vorfall eine Sache zwischen Rannold und ihm blieb, wusste er nicht. Es fühlte sich einfach richtig an und deshalb tat er es.

      Einige Wochen später war seine Hand wieder so weit geheilt, dass er den Verband abnehmen konnte. Die Fingerspitzen waren wieder vollständig geheilt. Die Handinnenfläche hatte dagegen eine tiefe rote Brandnarbe. Das Muster des Griffs der Kanne hatte sich hier tief eingegraben. Nach weiteren zwei Wochen konnte Hanrek die Hand wieder benutzen wie zuvor.

      Der Frühling wich dem Sommer und Hanrek, der nun bereits 16 Jahre alt war, beschloss Lucek zu bitten ihm ein paar Tage frei zu geben, damit er seine Familie in Hallkel besuchen konnte. Lucek willigte ein, gab ihm eine Woche frei und daraufhin fragte Hanrek Miria, ob sie mitgehen wollte und könnte. Gewollt hätte sie schon, es gab aber in der Schneiderei zu viel Arbeit, sodass ihre Tante nicht einwilligte. Hanrek versprach Grüße auszurichten und machte sich mit einem kleinen Bündel auf den Weg in sein Heimatdorf.

      Als er am späten Nachmittag an seinem Elternhaus ankam, wurde er von seiner Mutter freudestrahlend begrüßt. Sein Vater und sein Bruder waren auf dem Feld. Seine Mutter begann sofort, ihm eine seiner Lieblingsspeisen zu kochen. Sie hatte Mühe, die Freudentränen zurückzuhalten, hieß ihn sich