Stefan Kraus

Die Bruderschaft des Baums


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dann wieder abrupt zu stoppen, und warf damit die beiden Kämpfenden auf dem Pferd hin und her. Die Bewegungen des Pferds bewirkten, dass Miria immer wieder die Hände frei bekam, die sie dann benutzte, um Tonnir das Gesicht zu zerkratzen und sich in seine Haare zu krallen.

      Tonnir hatte alle Hände voll zu tun und versuchte verzweifelt, Herr der Lage zu bleiben. Als Hanrek die beiden endlich erreichte, genügte ein satter präziser Stockschlag Hanreks von hinten auf den Kopf, um Tonnir wie einen Mehlsack nach hinten vom Pferd kippen zu lassen.

      Tonnir merkte, da er ohnmächtig war, gar nicht mehr, dass er die schreiende Miria mit sich zog. Das Knacken, als Mirias Sturz von Tonnirs Körper aufgefangen wurde, klang ziemlich scheußlich und deutete auf mindestens eine gebrochene Rippe hin. Einen Moment lang war Miria die Luft weggeblieben, dann schlug sie noch immer von den Armen des Ohnmächtigen umschlungen wild um sich. Sie kämpfte sich aus dessen Armen und im Aufstehen verpasste Miria ihm noch mit einem kräftigen Schwung ihres Ellenbogens einen Schlag aufs linke Auge. Hanrek war sich sicher, dass Tonnir die nächste Zeit immer dann an Miria denken würde, wenn er sich im Spiegel betrachten würde.

      Vor Wut kochend kam Miria hoch und fuhr Hanrek an.

      „Warum hat das so lange gedauert, bis du diesem dreckigen Bastard eins verpasst hast.“

      Hanrek stotterte etwas perplex eine fadenscheinige Entschuldigung von schmerzenden Beulen an Kinn und Hinterkopf. Als er aber kurz darauf mit seiner Gabe nach Miria spürte, merkte er, dass sie zu Tode verängstigt und gedemütigt war und die Wut nur dazu diente, die Angst und die Demütigung zu verbergen.

      „Miria,“, sagte er leise, „ich bin mir sicher, diese beiden werden dir nichts mehr tun. Dafür sorge ich.“

      Dabei nahm er sie sachte in den Arm und sprach mit leisen tröstenden Worten auf sie ein.

      Einen Moment lang befürchtete Hanrek, dass sie auch auf ihn einschlagen würde aber dann merkte er, wie sie begann sich zu entspannen und mit der Entspannung kamen die Tränen. Eine ganze Weile standen sie so, bis sie von einem Stöhnen gestört wurden.

      Tonnir kam zu sich, drehte sich zur Seite und erbrach sich.

      Hanrek begann, sich die Schäden anzusehen. Er selbst hatte ein dickes Ei am Kinn von Rannolds Stab und sein ganzer Kiefer schmerzte. Eine empfindliche Beule am Hinterkopf hatte er dort, wo er bei dem anschließenden Sturz auf den Rücken aufgekommen war.

      Miria schien keine körperlichen Schäden davon getragen zu haben. Ihre Verletzungen waren seelischer Natur. Aber nachdem sie ihre Kleidung wieder in Ordnung gebracht hatte, die Tränen weggewischt hatte und sie ihre Sachen, die aus ihrem von Rannold achtlos weggeworfenen Bündel gefallen waren, eingesammelt hatte, merkte man ihr zumindest körperlich nicht mehr an, dass ihr gerade übel mitgespielt worden war und sie außerdem vom Pferd gefallen war.

      Die Pferde waren nirgends zu sehen. Eine kurze Prüfung mit der Gabe sagte ihm, dass sie kurz hinter der nächsten Wegbiegung angehalten hatten und friedlich am Wegrand grasten.

      Hanrek bat Miria.

      „Kannst du bitte die Pferde zurückholen. Ich bin sicher, dass sie nicht weit den Weg entlang gelaufen sind.“

      Er wollte die Gabe nicht dadurch verraten, dass er zu viel wusste.

      „Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um unsere beiden Freunde.“

      Widerwillig murrend ging Miria los.

      „Sollen diese Bastarde sich doch selbst um ihre Pferde kümmern. Sie hätten es nicht besser verdient, wenn sie den ganzen Weg nach Haffkef laufen müssten ...“

      Dann war Miria außer Hörweite, aber Hanrek war sich sicher, dass auch die Pferde noch einiges über ihre Reiter zu hören bekämen. Er war sich außerdem sicher, dass keiner der beiden in der Lage sein würde, nach Haffkef zu laufen.

      Er wandte sich Rannold zu, der mittlerweile zu sich gekommen war aber zusammengerollt auf der Seite lag. Als er näher kam, schaute der ihn mit einem glasigen Auge an. Das andere Auge war so dick zugeschwollen, dass er wahrscheinlich wochenlang nur mit einem Auge sehen würde. Aus dem getroffenen Ohr floss ein dünner Faden Blut.

      Hanrek stieß ihn mit seinem Stab an.

      „Kannst du mich hören?“

      Rannold nickte langsam und fast nicht wahrnehmbar.

      „Gut. Versuch aufzustehen.“

      Ohne Widerrede quälte sich Rannold in eine sitzende Position.

      „Ich glaube nicht, dass ich stehen kann“, sagte Rannold stockend, „etwas ist mit meinen Knien. Sie tun furchtbar weh.“

      Demnach war Rannold nach dem Schlag aufs Ohr schon weggetreten gewesen und er hatte den letzten Schlag auf die Kniescheiben nicht mehr mitbekommen.

      Als Miria mit den Pferden zurück war, bat Hanrek sie auf einem Pferd allein vorauszureiten, um Lucek zu holen. Alleine würde er die Spitzbuben nicht auf die Pferde bekommen und auf Miria Hilfe brauchte er dabei nicht zu hoffen. Er selbst hatte dazu auch keine Lust.

      Miria nutzte die Zeit, in der sie zusammen mit Lucek zurück ritt, um ihm zu erzählen, was seine beiden Gehilfen getan hatten und wie es ihnen ergangen war. Hanrek hatte das vermutet und erwartete einen zornigen Lucek.

      Lucek war nicht zornig. Er bestand nur noch aus Zorn.

      „Keine fünf Minuten kann ich euch alleine lassen, ohne dass ihr euch benehmt wie Strauchdiebe. Belästigt ein Mädchen, dass mir ihre Mutter anvertraut hat, in dem Glauben, dass sie so auf dem Weg nach Haffkef sicher ist.“, brüllte er sie an.

      Lucek zerrte Rannold mit brutaler Gewalt auf die Beine und achtete dabei nicht auf dessen gebrochenen Finger. Rannold kam wimmernd hoch, um sofort wieder umzufallen. Ausgerechnet auf seine schmerzenden Knie.

      Auch Stunden später hatte Lucek seinen Zorn noch nicht überwunden und war kaum ansprechbar.

      Trotzdem wagte es Hanrek, während er neben seinem neuen Meister herlief, ihn zaghaft anzusprechen: „Lucek.“

      „Hm.“, kam die brummbärige Antwort von Lucek, was wohl soviel heißen sollte wie: „Was gibt's?“

      „Wo werde ich denn in deinem Haus untergebracht? Wo werde ich schlafen?“

      Lucek drehte sich zu Hanrek um und schaute ihn direkt an. Verstehen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

      „Nach dieser Sache sicher nicht in dem gleichen Raum wie die beiden Kranken, die da hinten auf ihren Pferden wimmern. In Hattkel habe ich auf meiner Rundreise noch einen weiteren Lehrling gefunden. Der kommt in ungefähr zwei Wochen nach Haffkef. Sein Vater bringt ihn. Er ist so alt wie du. Ihr werdet euch gut verstehen, da bin ich mir sicher. Vorausgesetzt du schlägst ihn nicht gleich zusammen, wie die beiden Strauchdiebe da.“, Luceks Züge deuteten trotz seiner Wut fast so etwas wie ein Lächeln an.

      „Ihr werdet euch ein Zimmer teilen. Das andere Zimmer teilen sich Rannold und Tonnir.“, dabei sprach er die Namen der älteren Gehilfen aus, als ob er Galle im Mund hätte.

      „Im Übrigen werde ich dafür sorgen, dass sie dich in Ruhe lassen. Wenn sie die Lektion, die du ihnen beigebracht hast, noch nicht gelernt haben, werde ich sie ihnen noch mal beibringen.“

      Obwohl die eigentlich geplante Mittagspause ausgefallen war, kam die Reisegruppe erst sehr spät in Haffkef an. Sie trennten sich. Hanrek begleitete Miria zu ihrer Tante, die überrascht und hoch erfreut war, ihre Nichte zu sehen. Hanrek verabschiedete sich, nachdem er Miria versprochen hatte, sie regelmäßig zu besuchen und machte sich auf den Weg zu seinem neuen Heim.

      Er wurde von einem jungen Stallburschen empfangen. Hanrek stellte sich ihm als der neue Lehrling des Steuereintreibers vor. Sie verstanden sich auf Anhieb. Mico, so hieß der Stallbursche, führte ihn zu seinem Zimmer und wünschte ihm eine gute Nacht. Ehe er ihn alleine ließ, richtete er ihm von Lucek aus, dass er morgen früh frei hätte, sich aber nach dem Mittagessen in seinem Arbeitszimmer einfinden sollte. Die Kerze ließ er ihm da.

      Obwohl