Stefan Kraus

Die Bruderschaft des Baums


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      „Wenn ihr beim Schälen Hilfe braucht, ihr wisst ja, wo ich zu finden bin“, bot Till seine Hilfe an.

      Es war harte Arbeit. Nach zwei Tagen hatte Hanrek das Holz der Schale vom Kern getrennt. Einen weiteren Tag benötigte er, um das Holz möglichst gut zu zerkleinern.

      Für Hanrek war der Kern des Astes eine große Überraschung und eine große Freude. Als er Stück für Stück die Schale abschälte, kam ein langer heller Stab zum Vorschein. Der Stab war an dem einen Ende durch den Blitzschlag ganz gerade. Am anderen Ende, das entsprach der Stelle, wo der Ast in kleinere Äste verzweigt war, war er abgerundet. Der ganze Stab war bis auf eine kleine Erhebung an einer Stelle in der Mitte vollkommen glatt. Es war ein perfekter Stab für den Kampf.

      Auch der Müller Smit erklärte sich bereit zu helfen.

      „Hm.“, brummte er, als Hanrek mit dem Holz der Schale kam.

      „Dann versuchen wir mal unser Glück.“

      Diese Arbeit fand Hanrek wesentlich angenehmer. Einen ganzen Tag ließ der Müller die Mühlsteine angetrieben durch den Dorfbach auf dem Holz kreisen. Dann war er mit dem Ergebnis zufrieden.

      „Bring mir morgen davon meinen Anteil, was immer ihr für angemessen haltet.“, brummte Smit in seinen Bart, als er ihm den Ledersack mit dem Holzmehl überreichte.

      Ehrfürchtig saß die ganze Familie um den Küchentisch, auf den sie den Ledersack gestellt hatten.

      „Ein wertvoller Schatz, der da auf dem Tisch steht.“, wiederholte Pirion zum wohl dritten Mal.

      „Nun gut.“, holte Zaras tief Luft.

      „Wie teilen wir ihn auf?“

      Sie verständigten sich darauf, dass die Familie die Hälfte des Holzes behalten sollte. Von der anderen Hälfte zweigten sie etwas für Till, etwas für Smit und etwas für die Heilerin Kissas ab. Den Rest dieser Hälfte durfte Hanrek alleine behalten. Kissas war immer auf der Suche nach Heilkräutern und mit dem Überlassen des Holzes taten sie für das ganze Dorf eine gute Tat.

      „So. Und jetzt müssen wir entscheiden, was mit dem Kern passieren soll.“

      Pirion deutete auf den Kern des Astes, der fast nachlässig in der Ecke der Kammer an der Wand lehnte.

      „Holst du ihn bitte her und legst ihn auf den Tisch, Hanrek.“

      Folgsam stand Hanrek von seinem Stuhl auf, griff nach dem Kern und legte ihn behutsam in die Mitte des Tischs.

      „Ich glaube mit dem musst du nicht ganz so sorgsam umgehen. Der bekommt nicht mal eine Schramme, wenn Tarpon unser Ackergaul mit seinen schweren Hufeisen darauf herumtrampelt.“, lachte Pirion.

      Hanrek hatte vor der Unterredung seine Mutter beiseite genommen und ihr blumig seine Wünsche bezüglich des Kerns erzählt.

      Seine Mutter hatte sich alles ruhig angehört und am Ende einfach gesagt.

      „Wir werden sehen, Hanrek.“

      Hanrek befürchtete das Schlimmste. Eigentlich hatte er doch den Ast gefunden. Seine Eltern mussten doch einsehen, dass ihm der Stab zustand. Er hatte doch schon die kostbare Heronuss und die ebenfalls wertvolle Schale in den Dienst der Familie gestellt.

      In einem unbeobachteten Moment hatte er den Kern zärtlich in die Hand genommen und ihn dann ein paar Mal wie einen Kampfstab geschwungen. Er lag herrlich in der Hand, so leicht, so griffig. Sie konnten doch nicht ernsthaft in Betracht ziehen, den Kern für etwas anderes zu verwenden, ihn am Ende in Stücke schneiden zu lassen von diesen Leuten in Fissool. Wie würde er dort überhaupt hinkommen, was würde das kosten? Aber nichts von alledem sagte er nun. Er würde nicht auf seinem Recht bestehen, sondern sich dem Urteil der Eltern beugen. Er vermutete, dass der Stab ein Vermögen wert war. Dieses Geld konnten seine Eltern insbesondere nach dem Erdbeben gut gebrauchen.

      Seine Eltern schauten sich lange an. Seine Mutter nickte seinem Vater fast unmerklich zu. Sie hatten lange über den Stab diskutiert und die Entscheidung war ihnen nicht leicht gefallen.

      „Hm.“, sagte Pirion nach einer Weile.

      „Ich habe Zacharia den Kern gezeigt und er schätzt, …“, Pirion stockte und zögerte das Ganze in die Länge, doch dann grinste er seinen Sohn spitzbübisch an „… dass Hanreks Kampfstab so viel wert sein könnte wie das ganze Dorf zusammen.“

      Im ersten Moment wollte es Hanrek nicht gelingen zu verstehen, was sein Vater da gesagt hatte. Dann schlug er eine Hand vor den Mund.

      Stonek grinste und sagte altklug.

      „Jetzt hat Hanrek der Drachentöter einen legendären Kampfstab.“

      So oft er konnte, verfolgte Hanrek in den nächsten Tagen mit seiner Gabe, wie die frisch eingepflanzte Nuss keimte. Schon nach wenigen Tagen zeigte sich der erste zarte Spross, der wie ein sehr kleiner Maulwurf die Erde vor sich herschiebt, einen kleinen Hügel aufwirft und dann den Kopf aus dem Hügel streckt.

      Dann plötzlich war die Zeit für eigene Vergnügungen vorbei. Die Zeit der Ernte war da und für alle im Dorf gab es nur noch dieses Thema. Von früh bis spät waren alle verfügbaren Kräfte auf den Feldern. Man hatte vorher im Dorfrat einen Plan ausgearbeitet, in welcher Reihenfolge man die Felder abernten wollte. Und wie jedes Jahr kam immer alles ganz anders. Achsen von großen Karren brachen, Werkzeuge zerbrachen, Kinder wurden krank und mussten von ihren Müttern gepflegt werden, Brände brachen aus und das Wetter tat natürlich nie das, was es nach dem Plan des Dorfrats hätte tun sollen. Die Liste der Katastrophen war endlos. Alles in allem eine ganz normale Ernte.

      Aber nicht für Hanrek. Sein Vater hatte ihm ein paar Tage vor der Ernte eine Sense in die Hand gedrückt und ihm gezeigt, wie man damit umgeht. Die erste Erfahrung, die Hanrek dabei gesammelt hatte, war die, dass er beim Sensen die Gabe besser nicht benutzte. Die dauernden gewaltsamen Eingriffe bei Gras und Getreide waren wirklich sehr unangenehm.

      Hanrek hatte sich also wie jeder andere Schnitter vor einem Getreidefeld eingereiht und gemeinsam arbeiteten sie sich in das Feld hinein.

      Was anfangs wie leichte Arbeit gewirkt hatte, wurde, je länger sie dauerte, zur reinsten Qual. Die Blasen an den Händen wurden erst riesig, dann blutunterlaufen bis sie letztlich zu Stellen an den Händen wurden, in die bei jedem neuen Streich heißes Blei gegossen wurde. Die ständige Drehbewegung sorgte dafür, dass ihm die Wirbelsäule und die ganzen Beine schmerzten. Wenn er sich abends ins Bett legte, konnte er trotz seiner Müdigkeit vor Schmerzen nicht einschlafen. Dann dachte er an Miria.

      Durch eine glückliche Fügung war Miria dazu eingeteilt, hinter ihm das geschnittene Getreide zu Garben zu binden. Hanrek hatte sein Hemd abgelegt und arbeitete mit nacktem Oberkörper und kam sich dabei sehr männlich vor. Doch Hanrek tat sich nach wie vor schwer bei der Unterhaltung mit Miria und auch Miria schien nicht ganz unbefangen, daher unterhielten sich die beiden nur einsilbig und verkrampft.

      Doch genauso wie die körperlichen Schmerzen eines Morgens bei Hanrek besser waren - die Muskulatur entkrampfte sich, auf den Blasen bildete sich dicker Schorf und schließlich ebenso dicke Schwielen - genauso entspannte sich die Situation zwischen Miria und Hanrek. Ausschlaggebend hierfür war ein Apfel mit dem dazugehörigen Wurm.

      Die ganze Gruppe machte eine kurze Pause und Hanrek setzte sich unter den Schatten eines Apfelbaums. In dem Moment, in dem er sich entspannt mit dem Rücken an den Stamm lehnte, fiel ihm von oben ein großer Apfel auf den Kopf. Miria brach daraufhin in schallendes Gelächter aus. Gar kein Halten gab es mehr, als Hanrek ganz verdutzt den Apfel in die Hand genommen hatte und ein Wurm den Kopf aus dem Apfel gestreckt hatte. Er wand sich torkelnd aus dem Fruchtfleisch und machte den Eindruck, als hätte er zu tief ins Bierglas geschaut. Sie lachten beide, bis sie nicht mehr konnten.

      Den Apfel zerschnitt Hanrek geschickt mit seinem Messer in drei Teile. Den einen Teil gab er Miria, den zweiten Teil behielt er und den dritten faulen Teil setzte er behutsam mit dem Wurm beiseite. Der Apfel war süß und der Saft lief ihnen an den Seiten der Mundwinkel hinunter. Danach waren sie beide in der Lage, entspannter miteinander