Stefan Kraus

Die Bruderschaft des Baums


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aber schaffte es, die Bewegung abzubrechen.

      Diesmal waren sie beim Heu machen und Miria belud den Heuwagen mit dem Gras, das Hanrek vor ihr mit der Sense schnitt.

      „Ich glaube, ich habe einen Hasen im Heu gesehen.“

      Hanrek prüfte kurz die Gegend vor sich. Er stoppte den Fluss der Gabe sofort wieder. Miria hatte recht. Da saß unmittelbar vor ihm zusammen geduckt und sehr gut getarnt ein junger Hase im hohen Gras.

      Ganz vorsichtig beugte er sich herunter und nahm das Langohr sachte auf den Arm. Das Herz des Häschens raste und es zitterte am ganzen Leib.

      „Wenn du nicht gerufen hättest, hätte ich ihn getötet.“, sagte Hanrek bestürzt zu Miria.

      „Ich danke dir.“

      Einen Moment lang sah Miria Hanrek auf eigentümliche Weise an. So hatte sie ihn noch nie angesehen. Dann sagte sie leise, um den Hasen nicht noch mehr zu ängstigen.

      „Setz' ihn da drüben am Waldrand auf den Boden. Dort wird ihm nichts geschehen.“

      Zusammen gingen sie eng über das Häschen gebeugt zum Wald. Dort setzte Hanrek das zitternde kleine Häufchen Fell auf den Boden. Wie der Blitz und im Zickzack flitzte der junge Hase davon, sodass er in wenigen Augenblicken verschwunden war. Sie schauten ihm trotzdem noch einige Momente hinterher. Verstohlen schaute Hanrek zu Miria hinüber. Er wollte etwas besonderes sagen und er hätte gerne ihre Hand in seine genommen. Aber seine Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet und als er auf seine Hände hinunter sah, merkte er, dass sie von der Arbeit ganz schmutzig waren. Und dann strich sich Miria eine Strähne ihres Haars nach hinten, seufzte, drehte sich vom Waldrand weg und der vertraute Moment war vorüber.

      So schnell, wie die Ernte über das Dorf hereingebrochen war, so schnell war sie auch wieder beendet. Natürlich gab es im Nachgang und als Vorbereitung auf den Winter immer noch sehr viel Arbeit. Die Arbeit in einem Bauerndorf endete nie. Aber zumindest gestanden Pirion und Zaras Hanrek wieder ab und zu einige freie Zeit für sich selbst zu. Es war wenig genug, und da die Tage kürzer wurden, wurde das wenige an Zeit noch einmal verkürzt.

      Hanrek nutzte die Zeit, um seinen Stab auf seiner abgelegenen Lichtung gebührend einzuweihen. Der Stab war himmlisch und es war eine Wonne, mit ihm die Übungen zu machen.

      Nach einer dieser Übungseinheiten schlenderte Hanrek verschwitzt in Richtung Dorf. Als er die Straße vom Dorf nach Haffkef kreuzte, erspürte er, dass aus Richtung der Stadt noch verborgen durch die nächste Biegung eine Gruppe von drei Reitern kam. Sie ließen ihre Pferde im Schritt gehen. Im ersten Moment dachte Hanrek wieder an sein Erlebnis mit den Männern im Wald. Daher blieb er zunächst verborgen von Büschen am Wegrand stehen und wartete auf die Gruppe.

      Als sie näher kamen, erkannte Hanrek, dass einer der Reiter die Abzeichen für den Steuereintreiber des Königs trug. Über die Gabe erspürt Hanrek, dass bei dem Pferd des Mannes vorne rechts ein Stein unter dem Hufeisen eingeklemmt war. Das Tier hatte schon ganz leicht angefangen diesen Fuß zu schonen und in nicht all zu langer Zeit würde es deutliche Beschwerden haben.

      Die anderen beiden Reiter waren wohl Gehilfen. Der Steuereintreiber war ein großer breitschultriger Mann, mit markanten Gesichtszügen, die aber nicht unfreundlich wirkten. Sein Haar war glatt nach hinten zu einem Zopf gekämmt.

      Der eine seiner Begleiter war lang und dünn und hatte einen etwas dümmlichen Gesichtsausdruck. Sein braunes Haar war fettig und seine Kleider wirkten ungepflegt. Der andere Begleiter war klein und wirkte irgendwie verschlagen. Hanrek konnte nicht sagen, wodurch dieser Eindruck entstand. Vermutlich waren es das fliehende Kinn und die kleinen etwas zu nahe beieinanderstehenden Augen, die wieselflink hin und her gingen.

      Hanrek zeigte sich und trat auf den Weg hinaus, die Reiter kamen näher. Als die Drei ihn erreicht hatten, begrüßte er sie mit dem Gruß des Königs.

      Der Gruß des Königs war die förmliche Begrüßung im Königreich. Dazu streckte man die rechte Hand mit dem Handrücken nach oben gerade nach vorne aus und drehte dann die Handfläche nach oben. Dies sollte zeigen, dass man unbewaffnet war und nichts Böses im Sinn hatte. Im Dorf nutzte man den Gruß des Königs fast nie, aber wenn man Fremden begegnete, wurde er fast immer verwendet. Es galt dann als unhöflich, wenn man den Gruß nicht anbot.

      Nachdem er diese förmliche Geste ausgeführt hatte und die Reiter den Gruß erwidert hatten, sprach Hanrek sie an.

      „Guten Abend, mein Herr. Ist euch bewusst, dass euer Pferd lahmt?“

      „Hm.“

      Der Mann musterte Hanrek von oben bis unten.

      „Nein, das habe ich nicht bemerkt. Was denkst du, welcher Fuß es ist?“

      „Vorne rechts.“, kam die prompte Antwort Hanreks.

      Der etwa fünfundzwanzigjährige Mann stieg vom Pferd, kam auf die andere Seite und fuhr mit der Hand am Bein des Pferdes entlang abwärts zum Huf.

      „Geschwollen ist es nicht. Sei so gut und führe es mir ein paar Schritte am Zügel, damit ich mir das ansehen kann.“

      Hanrek tat, wie er gebeten wurde.

      „Hm.“, sagte der Steuereintreiber nach einer Weile.

      „Ich denke, du hast recht.“

      „Wenn ihr gestattet.“, sagte Hanrek.

      Er nahm sein Messer aus der Tasche, hob den Huf an und begann den Dreck aus dem Huf zu kratzen. Als er an die Stelle kam, wo der Stein saß, ging er behutsamer zu Werk. Ganz vorsichtig, ohne dem Tier weh zu tun, hebelte er den Stein unter dem Hufeisen heraus.

      „So mein Alter. Jetzt kannst du wieder schmerzfrei laufen.“

      Dabei klopfte er dem Tier aufmunternd den Hals. Der Steuereintreiber hatte die ganze Zeit aufmerksam zugesehen.

      „Gut gemacht, mein Junge.“, die beiden Gehilfen tauschten heimlich neidische Blicke.

      „Wie ist dein Name?“

      „Hanrek, mein Herr.“

      „So wie Hanrek, der Drachentöter?“, fragte der Mann.

      Die beiden Burschen grinsten sich hämisch an.

      Hanrek verbeugte sich.

      „So ist es. Zu euren Diensten, mein Herr. Ist euch unterwegs ein Drache begegnet, bei dem ich euch mit einer kleinen Heldentat beistehen soll.“

      Der Steuereintreiber lachte.

      „Nein, nein.“, sagte er schließlich.

      „Nicht nötig. Du hast heute genug Heldentaten vollbracht.“

      Dabei klopfte er seinem Tier, als ob er es belohnen wollte, den Hals und es war klar, dass diese Anerkennung für Hanrek bestimmt war.

      „Und du brauchst mich nicht mit mein Herr anreden. Ich bin Lucek, der Steuereintreiber aus Haffkef, wie du vielleicht schon festgestellt hast.“

      Hanrek nickte.

      „Und das sind meine Gehilfen Rannold und Tonnir.“

      Bei „Rannold“ deutete er auf den kleineren der beiden und bei „Tonnir“ auf den langen dünnen.

      Hanrek schaute die beiden offen an, erntete aber nur abfällige Blicke. Er schätzte, dass die beiden ungefähr drei Jahre älter waren als er selbst.

      „Wir sind auf dem Weg nach Hallkel. Kannst du uns sagen, wie weit das noch ist?“, fragte Lucek.

      „Es ist nicht weit. Wenn ihr möchtet, kann ich euch begleiten.“, bot Hanrek an.

      Lucek nahm dankend an. Rannold und Tonnir blieben auf ihren Pferden sitzen und ließen sie im Schritt hinter Lucek und Hanrek hergehen. Lucek ging neben Hanrek her und führte sein Pferd am Zügel hinter sich her. Dabei stellte er ihm viele Fragen. Wie das Erdbeben letztes Jahr war, wie viele gestorben waren, wie alt er sei, wie weit seine Ausbildung gediehen wäre und viele Fragen mehr. Hanrek beantwortete alle Fragen wahrheitsgemäß,