Stefan Kraus

Die Bruderschaft des Baums


Скачать книгу

und die vertraute Umgebung einfach verlassen, um Gehilfe eines Steuereintreibers zu werden. Die Stadt, die ihm zwar immer gefallen hatte, die er aber für zu groß und zu laut empfand, das sollte plötzlich der Ort sein, wo er lebte, aß, arbeitete und wohnte. Er vermisste jetzt schon seine Freunde im Dorf, die Felder, seine Wanderungen im Wald, die Lichtung auf der er mit seinem Stab übte.

      Warum war er auch nur Lucek auf dem Weg begegnet und warum war er so dumm gewesen, sich in den Vordergrund zu drängen, indem er seinem Pferd geholfen hatte? Spätestens, wenn das Pferd richtig gelahmt hätte, hätten sogar die beiden anderen Gehilfen des Steuereintreibers bemerkt, dass das Pferd einen Stein unter dem Hufeisen hatte und jeder, der ein bisschen Erfahrung mit Pferden hatte, hätte ihn entfernen können. Auch dann hätte das Pferd keinen Schaden genommen. Der Steuereintreiber hätte einfach etwas länger zu Fuß gehen müssen. Aber nein. Er hatte sich ja mithilfe seiner Gabe einmischen müssen. Und warum hatte er sich nicht dümmer gegeben, als er war, damit so ein blöder Steuereintreiber ein Beamter aus der Stadt nicht auf die Idee kam, ihn als Gehilfen zu wollen? Und warum hatte sein Vater das nicht verhindert? Schließlich brauchte er ihn doch bei der Arbeit.

      Immer mehr steigerte Hanrek sich in eine Stimmung hinein, in der er am liebsten das Geschirr aus dem Küchenschrank genommen hätte und jedes Teil einzeln mit einem lauten Knall dem Steuereintreiber an den Kopf geworfen hätte.

      Pirion, der seinen Sohn gut kannte, bemerkte seine Stimmung. Er versuchte erst gar nicht, ihn zu besänftigen sondern erzählte weiter von dem, was Lucek ihm in der letzten Stunde erzählt hatte. Er erzählte von der Arbeit, die Hanrek bevorstand, wie die Lehrzeit ablaufen würde, wo er zum Wohnen untergebracht war und dass er die Eltern hin und wieder besuchen könnte.

      Ganz allmählich konzentriert sich Hanrek nicht mehr auf seine Wut sondern hörte zu und stellte widerwillig Fragen. Viele dieser Fragen konnte Pirion nicht beantworten und er empfahl Hanrek, dass er diese Lucek am nächsten Morgen stellen sollte. Noch bis spät in die Nacht redete die Familie über das Thema. Und als Hanrek ins Bett ging, lag er lange wach und konnte nicht einschlafen. Seine Gedanken kreisten weiter um seine Zukunft, die er sich so anders vorgestellt hatte.

      Am nächsten Morgen kam Lucek wie angekündigt vorbei, um mit Hanrek zu sprechen. Die beiden gingen in den Garten hinters Haus und setzten sich in die Nähe des Heronussbaums.

      Beim Anblick des Baums war Hanrek den Tränen nah. Er hatte sich so darauf gefreut, mitzuerleben, wie der Baum wuchs, gedieh und schließlich „erwachsen“ würde. Bis heute vermittelte der junge Baum noch nichts von der königlichen Würde, wie ihn Hanrek bei dem Heronussbaum im Wald kennengelernt hatte. Er nahm sich vor, diesen alten Baum wenn möglich noch mal vor seiner Abreise in die Stadt zu besuchen.

      „Hanrek. Ich weiß, ich habe dich gerade in eine Stimmung versetzt, in der du aufgewühlt bist. Du würdest mich am liebsten verprügeln, verfluchen oder sonst etwas mit mir tun. Dafür habe ich Verständnis. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich damals von dem Steuereintreiber in Korref als Lehrling ausgewählt wurde und wie ich mich damals gefühlt habe.“, begann Lucek das Gespräch.

      Er erzählte ihm von seiner eigenen Zeit als Lehrling und wie er sich früher seine Zukunft vorgestellt hatte. Er verschwieg nicht, dass ihm seine Lehrzeit oft zuwider gewesen war. Aber er erzählte auch von den Möglichkeiten, die sich ihm durch die neue Aufgabe ergeben hätten. Er hatte mehr von der Welt gesehen, als er sich als Junge hatte vorstellen können. Er war in Kiroloom gewesen und hatte auch sonst einige der Städte des Königs gesehen.

      Hanrek war am Ende des Gesprächs fast besänftigt und sah seine Zukunft nun in einem etwas anderen Licht. Lucek gab Hanrek noch einige Tipps, was er mitnehmen sollte, was er besser zu Hause ließ und vieles mehr. Nach zwei Stunden schien alles gesagt zu sein und Lucek verabschiedete sich.

      Am übernächsten Tag verließ Lucek mit Rannold und Tonnir Hallkel auf dem Weg in Richtung des Nachbardorfes Hannkel.

      In den Tagen nach dem Gespräch mit Lucek begann Hanrek, sich auf seine neue Zukunft vorzubereiten. Dazu gehörte, dass er mit der Vergangenheit abschloss.

      Er verbrachte viel Zeit mit seinem Bruder Stonek und er führte lange Gespräche mit seinen Eltern. Sie wollten ihm in dieser Zeit am liebsten schnell noch alle die guten Ratschläge mit auf den Weg geben, die sie ihm zeit seines Lebens vorgelebt hatten. Dabei handelt es sich um die Art Ratschläge, die alle Eltern ihren Kindern geben, in der Hoffnung, dass sie nicht all zu viele Fehler in der großen weiten Welt machen.

      Er besuchte, wie er es sich vorgenommen hatte, den alten Heronussbaum im Wald und saß einen ganzen Nachmittag unter seinen weit überhängenden Ästen eingehüllt in seine väterliche Präsenz. Als er sich verabschiedete, hatte er viel neue Kraft gesammelt, die er, da war er sich sicher, in den nächsten Wochen und Monaten brauchen würde.

      Es galt außerdem, sich von allen Freunden zu verabschieden und zahlreiche Dinge, die er in der vergangenen Zeit vor sich hergeschoben hatte, wollten noch schnell erledigt werden.

      Er versuchte, wie er sich an dem Abend als Lucek das erste Mal nach Hallkel gekommen war, vorgenommen hatte, seinen Stab so zu behandeln, dass niemand ihn als wertvoll erkennen würde. Das stellte sich als nicht einfach heraus. Alle Stoffe, die er probierte, drangen nicht ins Holz ein und konnten einfach wieder abgewischt oder abgewaschen werden. Sie hatten daher keinerlei Effekt.

      Es war Zufall, dass er ein Mittel fand, mit dem er seinem Stab einen dunkleren Farbton geben konnte. Er war mit seinem Vater früh morgens in den nahen Wald gegangen, um Holz zu schlagen für den Winter. Seinen Stab hatte er mitgenommen, er konnte sich kaum von ihm trennen, legte ihn aber zum Arbeiten beiseite ins Gras.

      Als sie um die Mittagszeit eine Pause machten und etwas aßen, setzte er sich neben seinen Stab ins Gras. Als er ihn in die Hand nahm, stellte er fest, dass er an einer Stelle einen Fleck hatte. Obwohl er sich bemühte, konnte er den Fleck nicht weg reiben. Verwundert versuchte er es mit etwas Wasser. Auch das ging nicht. Jetzt war er hellwach und suchte nach dem Grund für den Fleck. Wo hatte er ihn hingelegt und was hatte diesen Fleck erzeugt. Als er den Boden absuchte, wo der Stab gelegen hatte, fand er einen zerdrückten Pilz.

      Es war ein normaler gelbbrauner Nockenröhrling, ein Pilz, der überall im halbhohen Gras wuchs, den man aber nicht essen konnte. Sehr schnell fand er dann heraus, dass es mithilfe des Saftes dieses Pilzes tatsächlich möglich war, das Kernholz des Heronussbaums in einem schönen Braunton zu färben. Den Rest der Pause brachte er damit zu, Pilze zu suchen und am Abend war sein Stab nicht mehr auffällig hell sondern er hatte einen unscheinbaren aber schönen braunen Farbton.

      Hanrek wusste nicht, wie er sich von Miria verabschieden sollte. Er hatte ein merkwürdiges Ziehen in der Herzgegend, wenn er daran dachte, dass er die Nachbarstochter für sehr lange Zeit nicht mehr sehen würde. Seit der Ernte fiel es ihm leichter sich mit ihr zu unterhalten, aber trotzdem benötigte er immer noch einen Anlass, um mit ihr ins Gespräch zu kommen.

      Eines Nachmittags passte er sie ab, als sie auf dem Weg zum Brunnen war. Er bot sich an, ihr auf dem Rückweg die schweren Wassereimer zu tragen.

      „Ja, da hätte ich auch die großen Eimer nehmen können, wenn ich gewusst hätte, dass mir unterwegs ein Held begegnet, der die Eimer für mich trägt.“, zog sie ihn auf.

      Hanrek blieb dabei ungewöhnlich ernst.

      „Miria, ich möchte mich von dir verabschieden. Vielleicht hast du ja mitbekommen, dass ich in ein paar Tagen eine Lehre beim Steuereintreiber beginnen soll. Er nimmt mich mit in die Stadt, sobald er auf seiner Rundreise wieder durch Hallkel kommt.“

      Miria blieb wie angewurzelt stehen.

      „Was?“ fragte sie überrascht, „du gehst auch in die Stadt. Nein, das habe ich noch nicht gehört.“

      „Was heißt auch? Wer geht denn noch?“, fragte Hanrek verwirrt.

      „Ja ich, du Dummkopf.“

      Jetzt war es an Hanrek, überrascht zu sein.

      „Was? Aber wieso du?“

      „Meine Mutter kann mir als Schneiderin nichts mehr beibringen. Wenn