Kathrin Sereße

Noir & Blanc


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nichts; man traute lediglich den Schildern.

      Unweit des berühmten Eiffelturms lag in der Seine ein Eiland, lang gestreckt und künstlich aufgeschüttet, wie ein schmaler Strich, auf dem es nur eine Allee gab, von der aus man die grau-weißen Häuser links und rechts des Flusses sehen konnte. Das Blattwerk der Bäume war bereits verfärbt, sodass es schien, als sei die Insel eine leuchtende Sternschnuppe inmitten des dunklen Wassers, mindestens aber ein Landstrich voller Ruhe in der Stadt.

      „Es gibt beschaulichere Plätze“, meinte Bradford, wir spazierten unter gelbem Blätterdach. „Und doch empfinde ich die Insel stets als magisch, es ist merkwürdig, auf diesem Weg zu gehen, der so hingepinselt wirkt in dieses Wasser, fast absurd, mitten im Nichts. Man glaubt, man könne jeden Augenblick abstürzen, da man sich die Insel lediglich erträumt hat. Doch bin ich noch nie erwacht, der Traum ist endlos. Das gibt Kraft, wenn man verzweifelt. Oft marschiere ich nur dieses kurze Stück, das eine Brücke mit der anderen verbindet, doch es bringt mich Meilen fort. – Auch ich bin wunderlich, Verzeihung!“

      Schweigend schritten wir unter dem Baldachin aus nassem Laub, umschauert und zwei kleine Punkte auf dem Fluss.

      „Ich finde es bemerkenswert, dass sie nur dem Vergnügen der Pariser dient. Dabei wird uns doch stets vermittelt, dass alleine Fortschritt, Wirtschaftskraft und Leistung Legitimation aussprechen. Alles andere ist letztlich unbrauchbar, das Alte muss dem Neuen weichen, das viel lauter und viel evidenter ist. Die Stille ängstigt.“

      „Auch Sie?“

      „Ja, auch mich manchmal. Ich fürchte oftmals, dass sie Dinge offenbart, die ich nicht gerne sehen möchte. Dass sie Hoffnung nährt, die letztlich nur enttäuscht, und dass sie meine Wünsche tötet und verurteilt…Und, viel mehr, dass sie nicht wahr ist, dass sie nichts als Stille ist.“

      „Und wie empfinden Sie den Lärm?“

      „Er ist lebendig und er akzeptiert mich, ganz so, wie ich bin. Im Rausch der Nacht sind alle Zweifel fort, da ist man stark, die Suche nach dem Sinn bedeutet nichts mehr. Wenn ich keine Fragen stelle, kann ich den Konflikt verhindern, mit mir und mit anderen. Es ist die Welt der Schatten und des bitter-süßen Glücksgefühles…“

      „Aber ohne jede Zukunft, fürchte ich.“ Ich sah ihn an und spürte in mir die Verzweiflung, die er fühlte. „Sie nehmen das, was man kriegt, habe ich Recht?“

      Er zögerte. „So ist Paris, Alternativen gibt es nicht.“

      „Sie suchen nicht…“

      „Da auch kein anderer es tut! Ich wäre schneller tot, als Sie es glauben mögen, Mademoiselle. Oder im Irrenhaus gelandet, was weiß ich! Konflikt ist unnütz, da vergeblich, falscher Frieden verspricht Ruhe.“

      „Ich verstehe. Man läuft gegen eine Wand.“

      Er lächelte. „Wenn man so dumm ist, dies zu wagen.“

      Vor uns breiteten sich Häuserfluten aus, während davor die kleine Freiheitsstatue einsam und beharrlich ihnen Fackel und Gesicht entgegenreckte.

      „Ich erwarte noch den Kampf“, murmelte ich. „Noch suche ich den Weg, der durch die Mauer führt und die Berufung, ihn zu nehmen.“

      Bradford lachte über mich. „Daher Ihr Frieden und Ihr positives Weltbild! Sie warten auf eine passende Berufung, meine Liebe, da werden Sie lange warten und bis dahin längst verrückt, frustriert, verzweifelt! Nur solange Sie der Wahrheit nicht begegnen, scheint die Welt Ihnen noch hübsch.“

      „Ich werde nicht so bald aufgeben“, sagte ich, „denn kämpfen wird ein andrer für mich und er wird gewinnen, da er bereits gesiegte.“

      Aber hatte er nicht Recht? Sollte ich endlich zur Tat schreiten, um Erfolge einzuheimsen? Wovor fürchtete ich mich? – War ich überhaupt denn geeignet, war ich richtig, wie ich war?

      „Sonst wäre ich nicht in Paris“, fuhr ich nun fort und stemmte mich gegen die Zweifel. „Es muss einen Sinn geben und ich werde weiter warten, anstatt vorschnell umzukehren.“

      „Woher kommen Sie, Bleuenn?“, fragte er leise. „Und warum wollen Sie Krieg?“

      Jetzt war ich es, die lachen musste. „Keinen Krieg, wie Sie es denken, wahrlich nicht. Ich werde ihn mit keinen herkömmlichen Waffen bestreiten. Ganz anderes verleiht uns Kraft, und da ich denjenigen kenne, der über dem Bösen steht, vertraue ich darauf, dass er mir Anteil gibt an seinen Waffen, ja, er selbst soll in mir kämpfen!“

      Bradford schüttelte den Kopf. „Ich dachte keinesfalls an Kampf, als ich herkam. Ich dachte eher an Befriedigung und Glück, an das, wonach ich mich schon immer gesehnt habe. Alles schien Paris mir schmeichelnd hinzureichen und es winkt damit noch immer, jeden Tag. Aber je näher ich ihm komme, desto ferner scheint es mir und desto leerer. Wenn man dieses akzeptiert, wenn man es aufgibt, seinen irrealen Traum finden zu wollen, löst man wenigstens den inneren Konflikt. Beiweilen fühlt man sich verstanden von den Leuten, die man trifft und versteht selbst, wie sie sich fühlen. Nicht bei Ihnen, Mademoiselle. Nicht in Paris.“

      „Mein lieber Bradford“, sagte ich mit leiser Stimme. –

      Ein Kind war ich, ja, ein Kind von meinem Gott, während die Menschen in Paris auf eignen Füßen stehen wollten, wie Erwachsene es taten, und nicht wussten, dass sie Kinder werden mussten und auch wollten. Ich befürchtete, dass ich in meiner Seele sehr viel mehr davon verstand, als Bradford von mir glauben mochte, aber wie einen Kampf kämpfen, wenn der Feind sich mir nicht stellte, da er sein Elend schon kannte? –

      War er Feind? Das war er nicht, er war der Freund, den es zu retten galt vor einem Feind, der feige war und dennoch viel zu mächtig.

      Ich bin da, betete ich. Der Kampf kann anfangen.

      „Wo wart ihr nur?“, fragte Juliette am Abend.

      Ich antwortete: „Wir waren in Paris.“ Bradford blieb still, er sah sie an und nickte kurz. Lance Leprince hob den Blick, sodass er meinen traf.

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