Kathrin Sereße

Noir & Blanc


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die Zeit lief einfach weiter, stumpf und gleichförmig, und die Entwicklung stand, bis wir begriffen, dass wir längst verloren hatten, weil wir an nichts mehr glaubten.

      Aufgegeben hatten wir!

      Wir wussten durchaus, was recht war, es hatte sich deutlich gezeigt, und es gab Fakten, es gab Regeln, es gab Ungerechtigkeit, dagegen anzugehen jedoch war so anders, es war fordernd, und wir waren so alleine. Wer schenkte uns Unterstützung? Wer versicherte uns vollends, dass wir gute Dinge taten und nicht irrten?

      Es war einfacher, zu lächeln und zu spielen. Beinah wünschte man sich Unglück, das doch wenigstens die Menschen hätte wachrütteln können!

      „Ja, es jeder hat ein Recht auf Leben“, warf Juliette nun wieder ein. „Denn danach sehnen wir uns, und was gälte Sehnsucht, gäbe es keinerlei Hoffnung auf Erfüllung? Zwar ist noch sehr viel zu tun, das weiß ich wohl, doch wer behauptet, dass wir schon am Ende sind?“ Sie lächelte.

      Lance hätte sicher insistiert: Juliette, verraten Sie mir doch, was Sie bis dahin tun, auf dass das Ende gut wird, irgendwann? – Ich aber schwieg, denn meine Meinung unterschied sich von der ihren, es war anders und komplexer, als sie dachte. Wer konnte das Urteil sprechen? Ich gewiss nicht.

      Fing nicht hier das Kämpfen an?

      Wir waren uneins, was das Ziel war, stritten uns über die Fehler, die wir machten, wie sollten wir so nur helfen und erreichen, was wir brauchten? Die Menschen kapitulierten und der Egoismus siegte, wozu streiten, wenn ein nettes Leben möglich war, indem man schlichtweg alles akzeptierte, doch nichts tat? Wie lange war ich dem Konzept gefolgt, wie oft hatte ich nachgiebig geschwiegen und gedacht, es sei egal, denn es war fern, es störte meine Werte nicht und ohnehin war es unmöglich, gegen eine solche Übermacht zu reden. Doch was tat ich in Paris, wenn ich so passiv reagierte? Lieber Krieg als solch ein Frieden, der zum Schein nur einer war! Denn auch ein Krieg konnte zum guten Ende führen.

      War es denn die Religion, um die es ging? Wie sollten wir nur weiter leben, wenn wir schwiegen und den anderen heimlich verachteten, wo war ein Konsens? –

      „Bleuenn“, sagte Juliette später am Abend. „Lance wollte Sie sicherlich nicht konfrontieren.“

      „Das sollte er gerne tun“, meinte ich, hieße das doch schließlich, dass er auf der Suche war und dass zudem zwischen uns menschliche Beziehung existierte, was bis dahin nicht der Fall gewesen war, so schien es mir. Vielleicht hatten wir im Gefecht beide vergessen, dass wir passiv bleiben mussten, dass der Einsatz sich nicht lohnte, dass der andere uns fremd war.

      „Er hat sehr schwierige Seiten“, fuhr sie fort, während sie sorgfältig die Zehnägel lackierte. „Lance Leprince ist nicht gewöhnlich.“

      „Inwiefern? Was ist das für Sie?“

      Sie sah auf. „Ich spüre oft, was meine Mitmenschen empfinden. In seinem Kopf ist es fürchterlich am Toben, und er selbst sorgt nicht für Ruhe wie wir anderen es pflegen. Er wartet ab, was passiert. Es wird ihn töten, glaube ich, denn er ist unfähig, sich andren mitzuteilen, wenn es um die Seele geht. Die Bruchstücke, die wir empfangen, reichen nicht, um ihm zu helfen.“

      Ich zweifelte schlagartig an meinem Urteil über Menschen. –

      „Wo ist er so ungewöhnlich?“, fragte ich. „In seinem Sein, in seinem Handeln, seinem Fühlen?“

      „Ich bin mir da gar nicht sicher, doch ich wünsche ihm nur Gutes. Er ist freundlich, er ist höflich, ein zuverlässiger Mann. Ich wollte Ihnen dies versichern, keine Feindschaft ist geboten, sondern Nachsicht. Doch ich sehe, meine Sorge war nicht nötig. – Wissen Sie, ich denke, dass Sie sich sehr gut verstehen würden.“

      „Ach.“

      „Durchaus“, bejahte sie. –

      Ich wollte gerne etwas schreiben über ihn, aber es ließ sich kein Wort finden oder gar zu Papier bringen, denn ich kannte ihn ja nicht, solange wir uns distanziert beobachteten und nichts wagten. Es war selbstsüchtig von mir, meine Gedanken zu behalten und zu fürchten, dass die Nähe jene attraktive Mystik der Entfernung auf enttäuschend bittre Art als Illusion entlarven würde. Ich wartete ein paar Wochen höchst zurückhaltend und fast zerrissen ab. –

      Nun aber weckten Juliettes Worte meinen Ehrgeiz! Sie selbst wollte Lance aus seinen Zweifeln retten, wollte helfen? Sie sah mehr, als ich es tat? Das geht nicht an, sagte mein Stolz, Lance Leprince verlangt nach viel mehr und zwar nach dir. – Was meine Furcht noch steigerte! Ich gab zurück: Ich kann nur demjenigen helfen, der die Hilfe wirklich möchte, der zumindest seine Hand hebt, der die Hoffnung auf Erlösung in sich spürt. –

      War dies nun falsch? Was wusste ich schon!

      Und selbst wenn er beide Hände in die Luft gerissen hätte – hätte ich ihm helfen können, ich, Bleuenn?

      7. Kapitel

      So kam der Herbst, eine zunächst willkommene Veränderung, der doch die Wehmut nach dem Sommer inne war. Es heulte und stürmte tosend durch Paris, was der Stadt zutiefst widerstrebte. Die noch sommergrünen Blätter zerrte man mit beinahe roher Gewalt, obwohl sie nicht bereit waren, schon fort zu gehen, von den Ästen, und sie klatschten gegen Fenster, Stöcke schabten über nasse Trottoirs sowie der Müll, der aus den dunklen Straßenecken geweht wurde. Der Himmel war in ein dichtes Grau gehüllt und Nieselregen schwebte bleiern in der Luft, durchnässte Kleider, nahm die Sicht. Die Welt steckte in schmerzhafter Metamorphose. –

      „Ich finde bei dem Wetter keinen Antrieb“, sagte Bradford und er schüttelte den Kopf, sobald er diesen Richtung Fensterscheibe hob. „Ich habe wahrlich keine Lust, voll Schmutz und Regen bei der Arbeit zu erscheinen.“

      „Ja, es ist seltsam verpönt, sich den Naturkräften unbeschränkt auszusetzen“, meinte ich.

      „Naturkräfte? Sie scherzen wohl.“ Er warf sich seine Jacke über. „Das ist größter Euphemismus, Mademoiselle.“

      „Ach, wissen Sie, Monsieur, es kommt nur auf die Herzenshaltung an.“

      „Das mag wohl sein, doch ändert es überhaupt gar nichts an der meinen. Diese Welt ist für mich Menschen nicht geschaffen.“

      Ausgehbereit standen wir im Schummerlicht unserer Wohnung und betrachteten einander.

      „Pflicht vor Leidenschaft?“

      „Herrje!“ Er rieb sich unschlüssig die Stirn. „Ich habe weder Leidenschaft noch eine Pflicht, ich habe nichts als einen Job, von dem ich selbst nicht weiß, warum ich ihn einst wählte. Wen schert es, ob ich erscheine oder nicht? Die Leere rückt mir auf den Leib, ich sehe keine Freude mehr, da ist nur Schwärze! Wozu ausgehen, wenn selbst der Gott des Wetters mich nun hasst?“ Schwer atmend riss er seinen Hut vom Kleiderständer. „Wir müssen uns nun beeilen, Mademoiselle, denn es ist spät.“

      Ich stimmte zu, es war sehr spät, doch nicht verloren. –

      Voller Liebe war ich für den wilden Sturm, denn unter seiner groben Kraft fand sich die Freiheit, fand sich Neues, fand sich Leben! Meine Hände zitterten vor Angst vor ihm, und Bradford fürchtete sich mehr, als ich es tat. Er sah ihn, ja, er sah ihn an, doch war es ihm lieber zu flüchten, als zu sehen, was er barg. Ich verstand ihn, denn es gab immer ein Zurück in diesem Leben, nur im allmächtigen Sturm war dies unmöglich. Ich war von der Klippe mutig abgesprungen, hatte selbst erleben dürfen, dass der Wind mich tragen konnte, aber immer wieder gab es neue Sprünge, und bei jedem kam die Angst.

      Pflicht oder Leidenschaft, ich tat es wohl für beide, wollte springen, wollte Bradford fest an seinen Händen nehmen und ihm zeigen, dass es ging, dass weder Alltag noch die Leere unsren Geist vom Leben trennten, dass man Gleichgültigkeit widerstehen konnte. Es war mir gleich, was er gestern getan hatte und was er morgen tun würde, wer er war, ich wollte zeigen, dass es mehr gab und das Mehr so fern nicht war.

      „Was halten Sie von einem Ausflug?“, fragte ich. „Sie sagten, dass man Sie durchaus entbehren könne.“

      „Oh,