Kathrin Sereße

Noir & Blanc


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Ich weiß genau, dass Geld entscheidend ist, und was gibt es auch sonst?“

      „Die Religion ist nicht ans Geld gebunden“, erwiderte ich, „ein fester Glaube lebt ganz unabhängig und der Glaube macht das Leben wertvoll.“

      Doch selbst in mir keimten Zweifel, denn ich kannte noch kein Leid und lebte frei von Angst und jeglicher Bedrohung. Vielleicht suchte ich an diesem schönen Sonntag im Café nach meinen Grenzen, meinem Halt, wie fest ich stand, und war erschüttert, wie bald mich die Furcht vor Anfechtung einholte. –

      „Haben Sie denn, meine Liebe, Interesse an Parfum?“, fragte Juliette nun triumphierend. „Wohl nicht sehr, so würden Sie mitnichten denken, dass es Zeit sei, dies zu ändern, bloß weil ich Ihnen davon wärmstens vorschwärme. Warum also sollte ich Ihren Versuchen Folge leisten und an einen Gott und einen Jesus glauben, der mich dann in meinen Freiheiten bloß einschränkt?“

      Juliette Luxanche war angestellt bei einem wohl berühmten Parfumier. Sie glaubte, dass ihr Job bedeutend sei, für sie gemacht. –

      Ich gab es auf, gegen die Mauer anzurennen, die sich um ihr Herz befand und deren Steine man ihr großzügig gereicht und verbaut hatte. Für sie zählten nur Profit und eine Schönheit dieser Welt, die all den Schmutz verbarg und die sich letztlich auf dem Nichts befand. Daher die Angst, sie anzuheben! Doch wer akzeptierte dies? Ich grübelte; warum stießen sie ohne Zögern einen liebenden Gott fort, der ihnen Seine starke Hand gnädig hinreichte?

      Gescheitert gab ich es auf und überlegte, ob es wahr war, dass ich nichts tat, als mein Leben zu verschwenden. Kein Mensch würde es bemerken, wenn ich fort war, wenn ich ging, Paris würde die Schultern zucken und sich weiterhin mit seinem Würgen, Krämpfen, seinem Leid beschäftigen. Warum auch nicht? –

      Doch als ich später durch die Straßen ging und rote Abendsonne an den Fensterscheiben reflektierte, als man mir an einem Stand nahe der Seine ein altes Taschenbuch anbot, als ich in unsre stille Wohnung trat und sogleich riechen konnte, dass es Abendessen gab, fragte ich mich, ob ich nicht vorschnell meinen eignen Plänen traute statt den Seinen.

      Ich hatte eine Aufgabe und mein Dasein einen Sinn.

      Kein kluger Mensch würde versuchen, eine Mauer mit Gewalt niederzuzwingen.

      5. Kapitel

      Morgen zwischen Herbst und Sommer. –

      Die Hitze war längst vergangen und Paris atmete auf, wandte sich seiner Arbeit zu, die schönen Träume von den Sommerabenden bald nur ferne Erinnerung, die Bilder von tiefgrünen Bäumen rasch von anderen ersetzt.

      Es roch nach Herbstlaub und die ersten Blätter färbten sich allmählich, doch kein andrer nahm es wahr, die Zeit war rar, die Hetze nötig, bald zur Arbeit, bald nach Hause, und nur ich stand da und richtete die Nase in den Himmel. –

      „Sie sind etwas wunderlich, habe ich Recht?“, fragte mich Bradford und berührte mich von hinten an der Schulter.

      „Riechen Sie!“

      Er schnupperte. „Ihr Haar riecht nach herbem Parfum…“

      „Wie wäre es, wenn wir ein Stück des Wegs gemeinsam gehen würden?“

      „Mit Vergnügen.“

      Kurz darauf erklärte ich: „Riechen Sie nicht, dass der Herbst kommt und die Veränderung herbeiruft? Ganz Paris ist in Bewegung.“

      „In Paris? Sie scherzen wohl. Ein jeder Tag ist gleich in dieser öden Stadt und jede Woche, jedes Jahr. Die Einsamkeit verschlingt uns kriechend und wir können uns nicht wehren.“

      „Aber schauen Sie, die Blätter…“

      „Werden rot und fallen ab. Der Frühling wird daraufhin kommen“, meinte er. Dann schüttelte er seinen Kopf. „Ja, Sie sind wunderlich, tatsächlich. Aus Paris kommen Sie nicht.“

      „Mit diesem Wort bin ich wohl sehr rasch abgefertigt?“

      „Nehmen Sie es mir nicht übel, darum bitte ich Sie sehr...“

      „Auf keinen Fall.“

      „Es ist doch nett, gemeinsam einen Teil des Weges zu erleben, Mademoiselle.“

      „Und was, Bradford, erleben Sie?“

      „An jedem Tag des Jahrs dasselbe, Mademoiselle.“ –

      Wir stiegen nun die Treppen zur Metrostation hinab, um unsre Tickets dort rasch einzulösen, zweimal hörte man das Klicken in der Still, nein, still war es nicht, es redete nur keiner.

      „Wie gefällt Ihnen Paris? Sind auch Sie einsam, Mademoiselle?“

      „Nun, wissen Sie…“

      „Verzeihen Sie, die Bahn ist da! Ich muss hinfort, bis heute Abend!“

      Er ließ mich an seinem Wege teilhaben. –

      „Sie sehen sehr glücklich aus“, stellte sie fest, als ich an diesem Morgen Noir & Blanc betrat. Sie stand hoch oben auf der Leiter, die an einem Regal lehnte.

      „Finden Sie? – Ich freue mich, hierher zu kommen und zu helfen und zu lernen. Es gefällt mir…“

      „Und ich freue mich, dass Sie da sind, Bleuenn, denn vom Quartier Latin ist der Weg nach Montmartre doch recht weit und man ist oft versucht, sich gründlich zu verfahren.“

      „Wissen Sie, kein Mensch vergisst die Orte, die ihm viel bedeuten.“

      Sie hielt inne. „Viele Kunden sprechen davon, dass sie sich bei uns wohl fühlen, dabei haben wir nicht mehr als alte Bücher. Heute will man Stimmung schaffen, die zum Bleiben überredet und die einlullt, mit Musik oder Design, doch in Buchhandlungen hört man sie von alleine, die Musik, denn nur das Herz kann sie wahrnehmen.“

      „Denkbar ist es doch der Frieden, den sie schätzen.“

      „Ja, durchaus. Denn all die Kämpfe zwischen den tausenden Seiten sind unhörbar, wenn sie nicht gelesen werden. Um zu tönen brauchen sie erst einen Leser.“ Mühsam stieg sie von der Leiter und ihr Blick suchte den meinen. „Mademoiselle, man muss los- und sich einlassen, sonst wird es immerdar still bleiben.“

      Noir & Blanc hüllte sich gern in tiefe Stummheit, denn die Kunden schwiegen stets voller Respekt, sie streiften langsam durch die Reihen und verloren sich in Blicken, die die Buchrücken erfassten. Nur mit Zeit konnte man kommen und begreifen, was man sah, und nur mit Zeit konnte man spüren, was die Bücher einem sagten und auch jedes kleine Wort darin ergründen. Viele kamen, weil sie nach Ruhe suchten, doch sie fanden mehr als das; zwar keine Ruhe, aber eine ruhige Wahrnehmung der Umwelt.

      Ich beschäftigte mich viel mit all den Büchern, sprich, ich wusste, wo sie standen und was sie den meisten sagten; doch entdeckte auch ich unablässig Neues, an den merkwürdigsten Orten, auf den wunderlichsten Seiten, und so manches blieb ganz und gar im Verborgenen, entzog sich meinen Kräften. Das sei kein Grund, aufzugeben, riet mir Madame Blanc daraufhin, abwarten sei eine wohlbekannte Lösung. Hin und wieder wusste ich nur schwer zu schätzen, was die Bücher wiegen mochten, sodass ich beinahe stürzte, wenn ich sie auf meine Arme legen wollte. –

      „Keine Bange“, sagte Madame Blanc zu mir und hob sie auf, „Sie sollten sich nicht versuchen, die Lasten zu tragen, die zu schwer sind, Mademoiselle. Lesen Sie es aufmerksam und kritisch. Wer weiß, ob danach nicht vieles leichter ist.“

      Ich kaufte ein neues Notizbuch, damit mir all die Gedanken, die mich fanden, nicht entkamen, damit sie nicht zwischen Leder und Papier verendeten und sich entfernten und mir nichts zur Hilfe blieb. Mit meinen eignen Worten schuf ich eine eigene Buchhandlung, deren Ausmaß stetig wuchs und die mir Kraft gab, die ich kannte wie mich selbst und die mich selber überraschte. Es war meine Quintessenz von jenen Werken, die ich las. –

      So kam es, dass ich manche Ecken fürchtete und tunlichst mied, andre dagegen gern besuchte; und sie wanderten, die Ecken, und ich konnte nicht in jeglichen zugleich sein, doch ein