Kathrin Sereße

Noir & Blanc


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Dinge, die auch leuchten. Nur ist dieses Licht ein anderes als das, was Sie und ich erkennen und erhalten dürfen. Oberflächlich mag es reichen, doch wir sollten tiefer bohren Mademoiselle. Doch voller Vorsicht!“

      Bedächtig deckte er den Altar und dann die Bibel ab. Er blies die Kerzen aus. „Voll Vorsicht, denn darunter ist es schwarz.“

      „Sie leben lange in Paris?“

      „Zu lange schon. Es hat sich dennoch nichts verändert. – Weswegen sind Sie nun hier?“

      „Weil man mich rief. Vielleicht, Monsieur, um das zu sehen und zu handeln.“

      „Das hat man Ihnen gesagt?“

      Ich lächelte. „Der Wille unsres Herrn ist unergründlich, aber doch unfehlbar. Ich bin voller Lob für Ihn an diesem Morgen, denn ich glaube, dass die Hoffnung noch besteht, solange wir sind. – Denn wir sind das Licht der Welt, das sagten Sie.“

      „Wir sind verborgen…“

      „Und Sie unternehmen nichts, um ihn zu lüften, diesen Scheffel?“

      „Wer hat denn die Kraft dazu? Ich nicht, auch Sie nicht, das ist wahr. Die, die wir retten wollen sind es, die ihn halten und verdichten.“

      „Warum tun sie’s?“

      Wir waren nun an der Tür und ordneten die Liederbücher, und der Pfarrer schloss die Kordel zu den Bänken, nahm das Geld aus der Kollekte. Ein Wort nur noch, nur ein Ratschlag für mein Leben. –

      „Seien Sie weise, besonnen, aufmerksam“, sagte er, „lassen Sie Gott Zeit! Sie sind gewiss, was auf uns nach unserem Tod und allem Leide warten mag. – Was leuchtet, das sind Kerzen, wir sind Kerzen, und wir brennen erst, wenn der Geist unser Herz entzündet hat. Der Schein wächst an, je mehr er uns berührt, je mehr von unsrer Seele wir ihm zum Entfachen geben, bis dass wir schließlich andere anstecken mit diesem Feuer tief in uns, sodass andere Kerzen es empfangen können. Denn ein unverbrannter Docht trägt keine Frucht, und das Wachs schmilzt nicht und ist zu gar nichts nütze. Die ihr Feuer offenbaren, werden dagegen um sich ein Meer von Licht erzeugen können. – Der uns angezündet hat, war selbst ein Arzt, der für die Kranken und nicht die Gesunden da war, und wenn wir ihm nachfolgen, so wissen wir, wohin der Weg führt. Es gibt ausreichend Kranke in dieser Stadt, Abgötterei, Wollust und Gier. Ja, in Paris strahlt keine Hoffnung, sondern sie verströmt nur Dunkelheit und Tod. Was bleibt uns übrig, das ist die mühsame Arbeit, Brücken zu den längst Erloschenen zu bauen.“

      Ich wollte es gern enthüllen, dieses Licht, das meines war, aber wie denn den Scheffel heben, wenn man ihn vor lauter Dunkelheit nicht sah? –

      „Vielleicht sind sie noch da, doch unbeachtet.“ Draußen hatte der Clochard sich nicht bewegt.

      Sie war so abgrundtief, die Weltlichkeit Juliettes, dass sie schon wieder etwas Attraktives hatte. Wir unterschieden uns wie Tag und Nacht, sowohl im Geiste und als auch Wesen, und es war darum erstaunlich, dass man dennoch Tür an Tür verbringen konnte, ohne Streit und ohne Hass, wir waren beide tolerant, doch keinen Schritt konnten wir in dieselbe Richtung auch nur wagen. Ich dachte, ich könnte vielleicht etwas lernen von dem Leben, das sie führte, mehr erfahren über ihre Ideale und Ideen, und gleichsam hoffte ich, dass sie bereit war, zuzuhören, was ich als Fremde zu sagen hatte.

      „Sagen Sie“, meinte ich an dem schmalen Tisch, wir saßen Seit’ an Seit’ und Bein an Bein mit anderen Parisern, es war eng und laut in diesem Restaurant, und über uns sammelten sich träge Rauchschwaden, „wie würden Sie die Welt beschreiben?“

      „Als sehr gegensätzlich“, antwortete sie, „es gibt viel Armut und daneben großen Reichtum, Schönheit und furchtbares Elend. Wie sollte man sie da einheitlich benennen?“

      Sie nippte an ihrem Wein. –

      „Würden Sie irgendwas entdecken, das vereinend existiert? – Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen nun sage, dass es eine Kreatur gibt, die das Böse schürt und die omnipräsent ist, die sich Teufel oder Satan oder wie auch immer nennt?“

      „Das klingt tatsächlich interessant…“

      „Interessant? – So haben Sie wohl keine Furcht?“

      „Oh doch, vor vielem, Mademoiselle. – Und sei es nur ein falsches Outfit, doch auch Gier und Neid verachte ich zutiefst.“

      „Können Sie sagen, was gut und was böse ist?“

      Nun schien sie etwas irritiert. „Ich bin ein Mensch und jeder Mensch besitzt Moral, welche da sagt, was gut und schlecht sei und die prüft, was auch geschieht. An Wertvorstellungen mangelt es uns gewiss nicht.“

      „Aber woher stammen diese? Woher kommt Ihre Gewissheit, dass Sie nicht auch böse?“

      „Nun machen Sie mir durchaus Angst“, sagte sie da, doch war ihr alles viel zu fremd, als dass sie es ernst meinen konnte. –

      „Was tun Sie gegen die Angst? Wie handeln Sie, wenn jenes Böse Ihren Weg kreuzt?“

      „Nun, ich ignoriere es, denn ein jeder ist verantwortlich für seine Taten, und meine Moral ist nicht allgemein gültig. Sicherlich gibt es Richtlinien und Fakten, manche Rechte, die doch unumstößlich sind…“

      „Und wer hat diese fest gelegt?“

      „Herrje, es gibt eine Verfassung, Mademoiselle, und es ist nicht nötig, sie jetzt zu hinterfragen.“

      Kokett lächelte sie einem Kellner zu, nippte erneut und dankte ihm charmant, als er das Essen brachte. Sie schien offen und direkt mit andren Menschen umzugehen, denn sie war gekonnt im Flirten und genauso machte sie sehr gerne deutlich, dass nur ihre Meinung stimmte. Ihre Contenance war heilig und distanziert elegant, nicht egoistisch, sondern vielmehr unschuldig. –

      Eine gekonnte Spielerin, Juliette Luxanche, der ihre Rolle perfekt auf dem Leibe saß, man konnte beinah neidisch werden auf ihre Textsicherheit. Doch wer sein Leben spielte, mochte es verfehlen. –

      Ich wollte nicht spielen wie all die Leute in diesem Café, dessen Geplauder uns stetig benebelte. –

      „Und wovor fürchten Sie sich, Bleuenn?“, wollte sie kurz darauf wissen.

      „Nun, vor vielem, doch ich habe einen Retter, einen Helfer, dessen schützende Gestalt von meiner Seite niemals weicht.“

      Sie lächelte und nickte lange. „Welch ein Ort Paris doch ist!“, stellte sie fest. „Man trifft die wunderlichsten Menschen.“

      „Kennen Sie, Mademoiselle, Jesus?“

      Ihre Rolle schlug Alarm. „Ich möchte Ihnen jede Mühe abnehmen und gleich klar stellen, dass jegliche Missionierung ohne Sinn ist, da ich sehr agnostisch bin und keine Zeit habe, daran etwas zu ändern. So verzeihen Sie mir, denn ich akzeptiere Ihren Glauben, doch ich appelliere tunlichst, Ihre Zeit nicht zu vergeuden.“

      Mir bleibt noch die Ewigkeit, dachte ich, aber sie hat Recht. Es ist frustrierend. –

      „Nun, Sie bleiben mir ein Rätsel“, sagte ich stattdessen nur, „denn ich stelle es mir überaus herausfordernd und hart vor, in Paris zu überleben ohne sich im Klaren zu sein über Gott.“

      Welch Gleichgültigkeit und welch abweisende Worte, ehe ich die meinen überhaupt ganz ausgesprochen hatte! Ja, verdorben waren sie alle zusammen, und sie klammerten sich ängstlich ans Verderben, ungewillt, nur einen Finger loszulassen, da sie glaubten, dass danach nur Leere kam, ein Fall ins Nichts. Wie unglaubwürdig, dass in ihnen die Befürchtung überwog, den eignen Unglauben womöglich zu verlieren.

      Zeitverschwendung! Ja, die Suche nach dem Glück war sicher drängender, als dass man auch nur kurz die Richtung prüfte, die man einschlug. –

      „Meine Klarheit besteht darin, zu erkennen, dass es letztlich gleichsam ist, ob man sein Leben im Glauben oder im Unglauben verbringt. Ich lebe gut, dass können Sie gewiss nicht leugnen, und andere tun es auch, ob sie nun glauben oder nicht. Wer möchte urteilen, wer Recht hat? Wie wollen Sie uns denn zwingen, uns zu ändern?“

      „Das