Michel Faucon

Touch only


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dann mit Vollgas zurückgebrettert, weil: 14 Uhr Vorstellungsgespräch wegen Job. Wird aber nichts. Für das, was die zahlen wollen, kann ich auch putzen gehen.

      Abends wieder brave Tochter geben. Diesmal haben sie mich im Verein der Wanderfreunde rumgezeigt. Ich wollte lieber auf der Couch liegen bleiben und in die Glotze schauen. Diskutiert, festgestellt, dass beide schwer beleidigt sind, wenn ich nicht mitgehe, eingelenkt, Jacke angezogen und mitgewackelt.

      Altersdurchschnitt im Vereinsheim: gefühlte 130 Jahre über mir.

      Die reservierten, aber intensiven Scans der Frauen ertragen und die altersgeilen Blicke der Männer. Mann, ist das hart, mit fünfunddreißig noch mal bei seinen Eltern leben zu müssen. Ich kann es kaum erwarten, wieder für mich zu sein. Und ich arbeite daran. Wie an so vielem in diesen Tagen. Und an allem arbeite ich gleichzeitig.

      Danke nochmals für die Kontaktdaten von Bruno. Habe mich gestern mit ihm getroffen. Mein Gott, war der reserviert. Wir sind nach der Besichtigung noch kurz in den Biergarten gegangen. Hatte ihn eingeladen. Dachte, wir quatschen noch ein bisschen, über früher, über ihn, über Euch beide, darüber, wie es ihm geht, seit Du weg bist.

      Schien ihn aber alles nicht zu interessieren. Er antwortete immer nur in knappen Worten, ein, zwei Mal versuchte er, von den Themen abzulenken, auf die ich ihn bringen wollte, indem er mir lustige Episoden aus seinem Berufsleben erzählte. Dabei ging es immer um den Beziehungsknatsch, den er bei seinen Wohnungssuchenden so erlebt. Den scheint er echt lustig zu finden. Ansonsten wirkte er so teilnahmslos, dass ich zeitweise dachte, er wäre hinter seiner megaouten Fliegersonnenbrille eingepennt. Ab und zu blickte er der Bedienung oder anderen Frauen hinterher.

      Mann, ich dachte eigentlich, ich hätte eine gewisse Wirkung auf Männer. Aber bei Deinem – darf ich ihn überhaupt noch „Deinen“ nennen? – Bruno könnte ich glatt vom Glauben abfallen.

      Kann das sein, dass er die Trennung von Dir noch nicht verkraftet hat? Oder habt Ihr Euch noch gar nicht richtig getrennt? Falls Eure Trennung nur vorübergehend sein soll, dann kann ich Dir versichern, dass Bruno seine Freiheit offenbar nicht nutzt, um alles und jede anzubaggern. Zumindest nicht mich. Kann natürlich auch sein, dass er einfach nicht abfährt auf meine braunen Löckchen.

      Was mich natürlich schon ein wenig kränkt. Mir gefällt er nämlich ganz gut. Besser als früher jedenfalls. Da hätte ich gar nichts mit ihm anfangen können. Für mich war er der Inbegriff des Kaffeehausschwätzers, der es zu gar nichts bringen wird im Leben. Gutaussehend, sicher, auch witzig, aber irgendwie leer, ohne Kanten und Ecken. Insofern war ich schon ein wenig erstaunt, dass ausgerechnet Du Dich seiner angenommen hast. Was für ihn sicher ein Glück war, denn sonst wäre er wohl als armer Poet auf einem Spitzweg’schen Dachboden geendet. Du hast ihn wenigstens durch die Ausbildung zum Immobilienkaufmann geprügelt.

      Und hast ihm offensichtlich gut getan. Er ist nicht nur reifer geworden, er wirkt auch männlicher, entschlossener, selbstständiger. Muss er ja wohl auch sein, denn er muss den Laden, den Du mit ihm aufgebaut hast, ja nun alleine schmeißen.

      Die Wohnung, die er mir gezeigt hat, finde ich nicht schlecht. Nicht gerade ein Traum, aber im Rahmen dessen, was ich mir leisten kann. Windmühlenstraße, Mehrfamilienhaus, 3. Stock, drei Zimmer, Küche, Bad, Balkon, 89 Quadratmeter, einigermaßen gepflegter Laminatfußboden. Kennst Du sie? Hattet ihr die schon im Programm, als Du noch in Amt und Würden warst?

      Lass mal von Dir hören. Auch wenn’s bei Dir da drüben bestimmt viel aufregender ist.

      Und denk immer dran: If you can make it there, you can make it everywhere ...

      Von: bigapple

      Betreff: Lea

      Datum: 30. Juni 2011 12:32:14 MESZ

      An: [email protected]

      Hallo, Arschloch!

      Na, immer noch selig mit der schweigenden Göttin?

      Dein Hirn jedenfalls scheint sich mittlerweile auch empfindlich zu verdunkeln.

      Ich habe Dir vor ein paar Tagen Lea Groninger als Kundin vermittelt: Mitte dreißig, braune, lockige Haare, schlank, attraktiv – wär Dir früher sicher aufgefallen. Sie hat derzeit viel um die Ohren, Scheidung, Wohnsitzwechsel, Arbeitsplatzwechsel – ich weiß, für Dich ist das alles nur ein weiteres trauriges Einzelschicksal im ewigen, ach so schwachsinnigen Wechselspiel des Zusammenziehens und Sich-wieder-Trennens, das die bescheuerte Menschheit in ihrer geradezu zwanghaften Engstirnigkeit immerfort wiederholt. Du stehst da natürlich drüber und betrachtest Dir das Ganze unbeteiligt vom Spielfeldrand, cool, wie Du bist – aber Lea ist meine Freundin.

      Meine FREUNDIN, verstehst Du?

      Kannst Du Dir unter diesem Begriff überhaupt noch etwas vorstellen? Durch mich war sie früher übrigens auch mal eine Zeitlang mit Dir befreundet, ehe sie heiratete und nach Stuttgart zog, aber diesen Teil Deiner Hirnfestplatte hat Dir die schwarze Witwe offenbar gelöscht.

      Ich hatte sie zu Dir geschickt, weil ich dachte, Du könntest ihr wenigstens die Suche nach einer neuen Wohnung ein wenig erleichtern. Dass Du Dich ihr gegenüber dann wie ein Arschloch benimmst – okay, das ist wohl jetzt so, Du kannst offenbar nicht mehr anders.

      Aber dass Du versuchst, ihr die Windmühlenstraße aufzuschwatzen – bist Du jetzt vollkommen übergeschnappt? Du weißt ganz genau, dass der asbestverseuchte Büroklotz dort gegenüber in einem Vierteljahr abgerissen und anschließend ein neuer hochgezogen wird. Das bedeutet: Zwei Jahre Baulärm.

      Wie kannst Du Lea das zumuten? Jemandem, den Du kennst? MEINER Freundin!

      Abgesehen davon wird der Wohnwert in dieser Ecke dort in den nächsten Jahren noch weiter in den Keller gehen, weil die Nachbarschaft mindestens genauso räudig bleiben wird, wie sie es jetzt schon ist, tendenziell noch räudiger. Auch das weißt Du, und dennoch hast Du versucht, ihr die Bruchbude anzudrehen.

      Ich warne Dich – wenn Du auf Krieg aus bist, kannst Du ihn haben!

      Du wirst Lea dieses Objekt ausreden und ihr das beste und schönste anbieten, das im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu haben ist. Und Du wirst keine Provision dafür nehmen.

      Tust Du das nicht, nehme ich Kontakt zu unserem Anwalt auf. Der ist nämlich eigentlich MEIN Anwalt, verstehst Du? Immer gewesen! Ich bin sicher, es steckt noch einiges Geld im Geschäft, auf das ich Anspruch habe – und das ich rausziehen kann, wenn ich will.

      Und grüß mir die Dame im Dunkeln. Aber, Moment mal: Ihr richtet euch ja keine Grüße aus, Worte sind ja viel zu bedeutungslos für euch – so ein Ärger aber auch.

      Ich hab’s: Beiß ihr meine Segenswünsche einfach in ihren perfekten Hintern. So long.

      Von: [email protected]

      Betreff: Re.: Lea

      Datum: 30. Juni 2011 14:02:42 EDT

      An: bigapple

      Schön von Dir zu hören. Im Ernst.

      Das ist nicht sarkastisch, nicht hämisch, nicht spöttisch, nicht beleidigend, das ist ganz ohne jeden Unterton gemeint: Ich bin froh, dass das Eis gebrochen ist. Dass Du es gebrochen hast. Wenn auch nur, um ein Donnerwetter zu entladen. Aber so ist sie eben, meine Vera. Ich wollte mich in den vergangenen Wochen auch immer wieder mal melden, habe mich aber nicht überwinden können. Wie immer.

      Jetzt, da der erste Schritt getan ist, kann ich es endlich schreiben: Entschuldigung.

      Entschuldigung für mein letztes Schreiben mit sämtlichen darin enthaltenen Unter- und Obertönen. Du hattest recht. Ich war noch dermaßen entflammt, euphorisiert, enthusiasmiert und was weiß ich noch alles von der Nacht, die ich zuvor gerade erlebt hatte, dass ich einfach nichts Mahnendes, Warnendes oder sonst wie Negatives hören wollte. Und wild um mich geschlagen habe.

      Doch nun zu Deiner Freundin