Michel Faucon

Touch only


Скачать книгу

keine aufregenden Abenteuer gönne. Ich bin sicher, Du kannst und wirst noch viele tolle Frauen kennenlernen: im Stadtpark, in der Kneipe, im Schwimmbad, und sie tummeln sich auch in den Cafés und den Bistros herum, in denen Du Dich jetzt ja schon nachmittags herumtreibst, Du musst nur die Augen offenhalten. So ein knackiges und pfiffiges Kerlchen wie Du bleibt schon nicht unbeachtet. Die Mädels müssen aber in Dein Gesicht sehen können, um von Dir angezogen zu werden. Und Du in ihres, um Dich von ihnen angezogen zu fühlen. Das nämlich ist die natürliche Art, sich kennenzulernen. Hat sich einfach bewährt in Tausenden von Jahren. Alles andere ist krank.

      Nichtsdestotrotz war das eine sehr anregende und spannende Geschichte. Danke, dass Du Dich überwunden hast und mich daran teilhaben ließt. Behalte das bitte bei, ich will alles wissen, alles, und ich bin auch kein bisschen eifersüchtig. Was nicht heißen soll, dass Du mir egal bist. Du bist nach wie vor ein wichtiger Teil meines Lebens.

      Allerdings ist Deine Geschichte daran schuld, dass ich heute Morgen nichts Vernünftiges auf die Reihe bekam, die Mittagspause nun an dieser Mail geschrieben und somit auch nichts zu beißen bekommen habe.

      Von: : [email protected]

      Betreff: Re.: meretseger

      Datum: 17. Mai 2011 16:05:21 EDT

      An: bigapple

      Zunächst einmal: Von wegen Meret. Der Name „Meretseger“ stammt von einer alten ägyptischen Göttin. Sie war allmächtig, konnte helfen und vergeben, aber auch bestrafen. Übersetzt bedeutet ihr Name „Die das Schweigen liebt“. Passt doch wunderbar zu ihr, oder?

      Und hat mit dem türkischen Vornamen „Meret“ rein gar nichts zu tun. Du siehst, Deine Theorie ist sogar noch idiotischer als sämtliche, die ich mir zusammenfabuliert habe.

      Und von wegen kaltes Businessweib: Meine Liebe, Du hast ja keine Ahnung. Oder aber, ich habe Dir doch nicht genügend Einzelheiten geschildert von der Nacht, die ich mit ihr erlebt habe. Du machst Dir ja keine Vorstellungen, Du moderne Frau des 21. Jahrhunderts, die sich bewusst und mit allen Konsequenzen für ein Jahr trennt, um herauszufinden, ob es tatsächlich nichts Besseres gibt als mich.

      Ich könnte natürlich auch sagen, „der Gentleman genießt und schweigt“, aber das ist mir zu idiotisch. Ich kann Dir nur versichern: Meretseger mag vielleicht eine Businessfrau sein, aber sie ist alles andere als kalt. Und das, was ich mit ihr erlebe, ist alles andere als bloße Triebabfuhr. So viel Ahnung von Frauen darfst Du mir ruhig unterstellen.

      Ja, ich schreibe im Präsens. Denn wir haben uns gestern wieder getroffen. Die Geschichte geht also doch weiter. Aber Du darfst Dich trotzdem für mich freuen. Wenn Du es jetzt noch willst.

      Dass ich gestern geschrieben habe, so etwas ließe sich nur einmal im Leben erleben, nehme ich übrigens zurück. Das zweite Mal war sogar noch überwältigender als das erste Mal. Es war, als müssten wir erst wiederentdecken, was wir nach wie vor noch nicht mit eigenen Augen gesehen haben. Wir mussten erst herausfinden, ob alles noch auf seinem Platz ist, ob wir überhaupt noch dieselben sind wie zwei Abende zuvor, oder ob einer von uns vielleicht doch jemand anderen geschickt hat. Und wir hatten nur unsere Hände und unsere Lippen, um dies herauszufinden.

      Wir haben uns diesmal sogar noch mehr Zeit gelassen als beim ersten Mal. Vielleicht nicht mit dem Begrüßungsritual am Vorhang, dafür aber ließen wir dann im Bett die Zeit stillstehen. Ich nahm zunächst wieder die passive Rolle ein, und sie genoss es, mich dagegen ankämpfen zu lassen, die Beherrschung nicht zu verlieren. Sie bearbeitete mich mit dem Mund und den Händen und Lippen, bis ich mich im Bettlaken festkrallte, am ganzen Körper bebte, mich hin und her warf vor Erregung. Zeitweise glaubte ich, es zerreißt mich. Aber ich ließ meine Hände im Laken festgekrallt. Revanchieren durfte ich mich erst gefühlte hundert Jahre später, und Du kannst Dir nicht vorstellen, mit welcher Hingabe ich dies tat.

      Danach schliefen wir sogar Arm in Arm ein. Erwachen musste ich allerdings wieder allein. Aber das ist in Ordnung. Ich war von ihr noch erfüllt, noch verzaubert, noch gestärkt genug, um wieder hinauszuziehen in die Welt mit all ihrem Lärm und Geflimmer, ihren Verkehrsstaus, ihrem Gehupe, dem Baulärm, der mich im Büro terrorisiert, den Mahnbescheiden in meinem Briefkasten und den ach so tollen Frauen, die von mir angezogen werden wollen mit ihren getuschten Augen, ihrem grellen Makeup, ihrem süßen, schweren Duft, ihrem Geschnatter, ihren nervenden Handys.

      O wie ist das doch so natürlich! Bewährt seit Tausenden von Jahren. Welche Ehre, da mittun zu dürfen. Vielen Dank auch.

      Sie dagegen soll kalt sein? Von wegen. Triebabfuhr? Von wegen.

      Du hast keine Ahnung, meine Liebe.

      Der Schrott, den Du schreibst, hat allerdings was für sich: Er hilft mir, sie zu verstehen. Worte sind so unwichtig, so verdammt unwichtig. Sie vermögen einfach nicht genug auszudrücken. Zumindest nichts Wahrhaftiges, nichts wirklich Intensives. Wörter taugen zum Heucheln, Lügen, Vertuschen, Betrügen, Verarschen. Oder dazu, Neid und Missgunst auszudrücken, nicht wahr?

      Hast Du mittlerweile mal was Neues von Deinem Mark mit dem schönen Mund gehört? Ich frage natürlich nur für den Fall, dass er überhaupt existiert. Denn wenn ich ehrlich sein soll: Auch wenn Du Dir wirklich Mühe mit der Schilderung von Kleinigkeiten gegeben hast – die Nummer vor der nächtlichen Skyline Manhattans war mir am Ende doch einen Tick zu durchgestylt. Schmeckte zu sehr nach Playboy TV, zu wenig nach Reality.

      Doch wenn dieser Mark mit dem schönen Mund tatsächlich echt sein sollte: Wenn Du wirklich nur zu ihm geschickt worden bist, weil sie Dich testen wollten, hast Du Dich jetzt ganz schön in die Nesseln gesetzt, oder etwa nicht? Denn das hieße ja, er wurde von Deinen Vorgesetzten für ihre Zwecke eingespannt. Was wiederum den Schluss zulässt: Er ist ihr Vertrauter, auf jeden Fall kennt er sie näher. Und wird ihnen brühwarm berichten, dass er nicht nur die fachlichen Fähigkeiten des Frolleins aus Germany ausgiebig getestet hat, und das gleich am ersten Abend. Was wiederum schnell die Runde machen dürfte in der Bank. Scheiß Einstieg für Dein Jahr in NYC, was?

      Ehrlich gesagt, da setze ich lieber auf Blindverkostung ...

      Schöne Zeit noch in der Stadt, die niemals schläft.

      Von: bigapple

      Betreff: Re-2: meretseger

      Datum: 18. Mai 2011 12:25:18 MESZ

      An: [email protected]

      Huch, was für ein Ton ist das denn auf einmal? Kann die ägyptische Göttin der Stille außer strafen, helfen und vergeben etwa auch Gehirne waschen?

      Schon merkwürdig: Gestern noch ist mein Brunolein tieftraurig, weil ihn seine geheimnisvolle Königin der Nacht am langen Arm verhungern ließ, nachdem er sie beglückt hatte. Er schreibt sich die Seele aus dem Leib, versichert am Ende aber, er wäre froh, davongekommen zu sein, will keine Beileidsbekundungen lesen und nimmt dankbar unsittliche Angebote seiner fernen Freundin aus Amerika entgegen – auch wenn Blindverkostung mit ihr, wie charmant, „nicht dasselbe“ wäre.

      Doch kaum hat er die längste Mail, die er jemals schrieb – was für eine Untertreibung! Es war überhaupt die längste Aneinanderreihung von Wörtern, zu der sich Brunolein in seinem 37-jährigen Leben bisher aufraffte, und das, obwohl er nicht einmal einen halben Tag später zu der Erkenntnis kommt, dass Wörter zu gar nichts zu gebrauchen sind, schon gar nicht dazu, etwas Substanzielles, Wahrhaftiges auszudrücken –, kaum hat er diese Mail also abgeschickt, gefällt es Lady Midnight, den kleinen Bruno wieder zu sich zu zitieren. Und natürlich kommt er prompt gehoppelt wie ein geiles Karniggel, das heißt, wohl eher hechelnd wie ein geiler Köter, erlebt abermals die Herrlichkeit auf Erden – und schon will er nichts mehr wissen von wegen grade noch mal davongekommen zu sein. Nein, seine schräge Welt erstrahlt ihm plötzlich wieder in rosaroten Farben, obwohl er im wahrsten Sinne des Wortes nur in tiefschwarzer Nacht Erfüllung findet, doch das schreckt ihn nicht, schon gar nicht sieht er die Symbolik darin, warum sollte er auch, es ist ja alles so schrecklich