Michel Faucon

Touch only


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der frisch getrennten Seelen anzubaggern, die bei uns ihren nächsten Single-Zwischenstopp sucht, verbiete ich mir, aber das habe ich Dir ja schon erklärt – und das übrigens nicht im Suff.

      Zunächst sah ich meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Viele, die sich im Netz rumtreiben, hat das Leben zwischen Mikrowelle und PC so wunderlich gemacht, dass ihnen die Internetflirterei längst genug ist, dass sie sich mit dem Gedankenaustausch, manchmal auch ein wenig Dirty Talk sowie dem Spiel mit den Möglichkeiten bereits zufriedengeben und gar nicht mehr daran denken, mit ihrem „Flirt“ physisch in Kontakt zu treten. Andere suchen so verzweifelt nach der großen Beziehungsendlösung, dass sie etwaige Interessenten schon von vorneherein abschrecken. Wenn man sich tatsächlich mit ihnen verabredet, muss man fürchten, beim Abschiedskuss an der Haustür chloroformiert, ins Haus gezerrt und im Keller angekettet zu werden.

      Wieder andere – wahrscheinlich die wenigen wirklich attraktiven Jungs und Mädels, die im Netz unterwegs sind, oder auch nur die, die sich dafür halten – sind so arrogant, dass sie zwischen ihren Kandidaten wählen wollen wie zwischen fettarmen Joghurts im Supermarkt. Denen muss man erst mal aussagekräftige Fotos von sich schicken, ihnen versichern, dass diese auch aktuell sind und dass vor allem die Angaben zum eigenen Körpergewicht der Wahrheit entsprechen, sie wollen aber auch charmant und kultiviert unterhalten werden, das heißt, Du musst ihnen geistreiche, humorvolle und dennoch tiefgründige Mails schreiben, während sie nur uninspirierte Oneliner zustande bringen. Denn angeblich sind sie ja nicht nur auf Äußerlichkeiten fixiert, diese Top-Frauen. Vor allem aber muss man ständig und regelmäßig in ihrer Mailbox präsent sein, damit sie sehen, dass du es auch ernst meinst, und du darfst niemals den Eindruck erwecken, dass du zeitgleich auch andere im Forum beflirtest, das geht natürlich gar nicht. Und irgendwann brechen sie den Kontakt dann einfach so ab, antworten einfach nicht mehr auf das Gesülze, das du in ihre Mailbox geseiert hast.

      Nachdem ich diese Erfahrungen gesammelt hatte, überlegte ich eigentlich schon, mich von dieser freudlosen Flirterei wieder zu verabschieden. Doch dann wurde ich doch einmal positiv überrascht, als ich mich abends einloggte: Jemand hatte mich angeschrieben. Das kommt eher selten vor, dass die Damen den ersten Schritt machen, mir war es bis dahin noch gar nicht passiert. Denn so hip diese Internetflirterinnen auch sein wollen, in dieser Beziehung funktionieren sie erzkonservativ: Er hat die Initiative zu ergreifen.

      Sie sprach mich auf eine Antwort an, die ich in meinem Profil gegeben hatte. Zu Deinem Verständnis: Im Profil befindet sich ein Fragenkatalog, an dessen mehr oder weniger geistreichen Antworten andere erkennen sollen, ob du interessant für sie bist. „Worüber lachen Sie am liebsten?“, heißt es da unter anderem.

      Ich hatte mir vorher natürlich angesehen, was andere da geschrieben hatten. Die meisten zählten irgendwelche Komiker auf, Filme oder Bücher, manche schrieben einen kurzen Witz hin („Kommt ein Mann zum Arzt ...), und etliche versuchten es mit: „Ich lache am liebsten über mich selbst.“

      „Wer so etwas schreibt, ist ein gnadenloser Schleimer“, schrieb ich in meiner Antwort, „ich lache am liebsten über andere.“

      „Wenigstens sind Sie ehrlich“, stand in der ersten Mail, die ich von „Meretseger“ bekam – ich selbst hatte mir übrigens den Nick „Sundowner“ verpasst. Sie schrieb selten mehr als ein oder zwei Sätze, die aber waren immer sehr präzise auf den Punkt formuliert. Ich antwortete: „Ehrlich währt eben am längsten.“ Sie schrieb zurück: „Muss für Sie denn immer alles lange währen?“ Das klang, also ob da jemand auf ein schnelles Abenteuer aus war, was mir nur recht sein konnte. Ich antwortete: „Wenn’s schön ist, schon – doch wie lange ist lange?“ Sie schrieb: „Auf jeden Fall nicht ewig.“ Damit zählte sie schon mal nicht zur verzweifeltsten Lovefinder-Fraktion – zu denen, die noch an die ewige Liebe glauben. Die Sache versprach, interessant zu werden.

      So ging es eine Weile weiter. Wir tauschten mehr oder weniger hintergründige Einzeiler aus. Sie verlangte nie ein Bild von mir, hatte allerdings auch keines von sich in ihr Profil gestellt. Das lässt eigentlich nichts Gutes erwarten, regt aber enorm die Phantasie an, das kann ich Dir sagen. Stets vermittelte sie den Eindruck einer Frau, die weiß, was sie will, und die sich nimmt, was sie will. Das inspirierte mein Kopfkino erst recht – was ihr wiederum in jeder Sekunde bewusst zu sein schien.

      Bald wechselten wir aus dem Forum ins normale E-Mail-Programm, behielten aber unsere Nicks bei. Sie fragte mich nie nach meinem richtigen Vornamen, also tat ich es auch nicht – das ist ebenfalls sehr ungewöhnlich bei solchen Internetflirts, wenn sie sich weiterentwickeln sollen. Nach einiger Zeit fragte ich endlich nach, wie es wohl mal mit einem Treffen aussähe, und sie antwortete: „Fürchten Sie denn nicht, damit Ihre Vorstellung von mir zu zerstören?“

      Das deutete auf eine abstoßend hässliche Schabracke hin, die sich zwar gut auszudrücken verstand, sich aber in der Gesichtslosigkeit des Internets bewegte, weil in der Realität jeder sofort das Weite suchte, der mit ihr zu tun bekam. Ich konnte und wollte dies aber nicht glauben, dazu hatte sie meine Phantasie einfach schon zu stark angeheizt. Ich schrieb zurück: „Ich gedenke eigentlich, mit einer Begegnung meine Vorstellung von Ihnen zu vervollkommnen.“ Wir waren, auch das ist im Netz total unüblich, immer noch per Sie.

      Ihre Antwort: „Eine vollkommene Vorstellung von jemandem zu haben – ist das denn so erstrebenswert? Und: Ergibt diese Formulierung überhaupt Sinn? Bedeutet denn, eine Vorstellung zu haben, nicht etwas Ungefähres, etwas nicht oder nicht hundertprozentig Erfassbares? Und wenn diese Vorstellung schön ist, warum soll man dann riskieren, sie durch das, was Sie Vervollkommnung nennen, zu zerstören?“ Das war bis dato einer der längsten Posts, die ich von ihr bekommen hatte. Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf zurückphilosophieren sollte, also fragte ich so direkt, wie ich konnte, ohne unverschämt zu werden:

      „Haben Sie denn so wenig Vertrauen in Ihre physische Präsenz?“

      Zurück kam: „Das finde ich interessant: Sie schreiben von physischer Präsenz, nicht von optischer Erscheinung. Dabei wollen Sie doch eigentlich nur wissen, ob ich für Sie attraktiv genug bin. Sie verstehen es wirklich, sich auszudrücken. Soeben haben Sie ganz entscheidend gepunktet.“ Für ihre Verhältnisse ein weiterer halber Roman.

      Ich schrieb: „Nun ja, nach meinem Verständnis schließt die physische Präsenz das rein optische Erscheinungsbild mit ein – das, was man mit hübsch oder hässlich bezeichnet. Die Optik ist jedoch nur ein Bestandteil dessen, was ich physische Präsenz nenne. Denn sie ist nicht alles. Zur physischen Präsenz kommt nämlich noch Ausstrahlung. Auch ein nach den objektiven Maßstäben für menschliche Schönheit nicht makelloser Mensch kann eine enorme Wirkung auf andere entfalten.“

      Ich wollte damit eigentlich nur sagen: Auch wenn Du Dich nicht schön findest, tun’s andere vielleicht dennoch. Das soll es ja hin und wieder auch geben. Aber ehrlich gesagt, schwand sogar mir hoffnungslosem Träumer in diesen Sekunden jede Hoffnung, es hier mit einer wirklich begehrenswerten Frau zu tun zu haben. Wer so herumdruckste, der hatte etwas zu verbergen. Wahrscheinlich sich selbst.

      „Und eben das glaube ich nicht“, antwortete sie. „Warum soll die optische Erscheinung, das oberflächlich Sichtbare also, ein wesentlicher Bestandteil der physischen Präsenz sein? Nimmt sie nicht viel mehr den Dingen ihr letztes Geheimnis? Haben Sie denn den Kleinen Prinzen nicht gelesen? Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Gestatten Sie mir, Sie zu überzeugen.“

      Ich fragte, wie sie sich das denn nun vorstelle.

      Daraufhin schlug sie ein Treffen vor. Allerdings in einem vollständig verdunkelten Raum.

      Okay, ich hatte schon einmal von solchen Darkrooms gehört. Sie waren mir allerdings nur aus der Schwulenszene bekannt, mittlerweile mochte es sie auch in einigen ausgefallenen Swingerclubs geben. Soweit ich wusste, trafen sich in diesen Darkrooms zwei Menschen zum Sex, die anonym bleiben wollten, weil es ihnen so leichter fiel, ihre Phantasien auszuleben. Das verhieß also nichts Gutes.

      Ich überlegte daher, den Kontakt an dieser Stelle einfach zu abzubrechen. Wie durchgeknallt war dieses Weib denn? Beziehungsweise wie arm dran?

      Mit dem vermeintlich letzten Rest Neugier fragte ich: „Und dann?“

      „Werden