Michel Faucon

Touch only


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und plaudern ein wenig?“

      „Nein. Wir reden nicht, wir sehen uns nicht. Wir berühren uns nur.“

      „Wir berühren uns nur? Wie denn?“

      „Wie Sie wollen. Wir berühren uns mit den Fingern, den Lippen, der Zunge und was Ihnen sonst noch so einfällt.“

      Mein Verstand sagte mir immer noch, dass mich unter diesen Vorzeichen doch eigentlich nur ein Alptraum erwarten konnte, doch meine Lust auf ein aufregendes Abenteuer wollte sich trotz aller offenkundigen Fallstricke einfach nicht besiegen lassen.

      „Was ist, wenn ich irgendetwas ertaste oder fühle, was mir nicht behagt? Darf ich dann einfach gehen?“ Ich stellte mir vor, wie meine Hände über fettes, runzliges oder vielleicht sogar verbranntes oder faules Fleisch gleiten, mich Panik erfasst, Brechreiz übermannt, ich aus einem vollkommen nachtschwarzen Raum zu fliehen versuche, einen Türgriff ertaste, diesen drücke, die Tür aber abgeschlossen ist ...

      „Selbstverständlich dürfen Sie gehen. Jederzeit.“

      Darauf antwortete ich nicht mehr. Ich wusste nicht, was ich zurückschreiben sollte: Ja oder nein? Etwa eine Stunde später schickte sie noch eine Mail.

      „Münsterstraße 8. 19. Stock. Vom Lift aus den Gang hinunter, letzte Tür rechts. Morgen, 21 Uhr.“

      Das war’s dann, und ich wusste nur zu gut, dass von nun an auch nichts mehr kommen sollte – egal, wie oft ich noch nachfragte. Dazu konnte ich „Meretseger“ mittlerweile gut genug einschätzen, doch was hieß das schon: „gut genug“, das würde bei ihr niemals „wirklich gut“ bedeuten. Sie hatte gerade genug Worte gesetzt, um mich so anzufeuern, dass ich die Nacht nicht schlafen konnte, meine Phantasie so angefixt, dass sie meinem Verstand bis in den Morgen gnadenlos zusetzte. Entsprechend angeschlagen startete der dann in den nächsten Tag.

      Wer anders als Quasimodos Schwester persönlich konnte mich in diesem total abgedunkelten Raum erwarten?

      Oder würde vielleicht, wenn ich, vor Aufregung und Geilheit sabbernd, in der Schwärze stand, plötzlich das Licht angehen – und ich würde einer giggelnden Schar pickliger Psychologiestudentinnen gegenüberstehen, die sich, mit Videokamera und Diktiergeräten bewaffnet, vor Lachen ausschütteten und einander beglückwünschten, was für großartige Ergebnisse ihnen diese Art der Feldforschung für ihre Seminararbeit doch bescherte?

      Aber diese wohldosierten, mysteriösen Worte wollten mir einfach keine Ruhe lassen: Einander erfahren, berühren mit was auch immer, den Dingen nicht ihr letztes Geheimnis lassen. Da sprach keine picklige Psychologiestudentin, sondern jemand, der wusste, was er tat.

      Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

      Konnten das nicht doch die Worte einer wunderbar geheimnisvollen Schönen – wohlgemerkt: Schönen – sein, die auch sich selbst nur eine erotische Phantasie verwirklichen wollte? Doch dazu hätten sie doch wenigstens die Eckdaten meiner körperlichen Beschaffenheit interessieren müssen. Quasimodos Schwester würde es sicher nichts ausmachen, im Dunkeln Quasimodos Profil zu ertasten, doch eine Schönheit, die sich eine erotische Phantasie erfüllte, musste sich doch ein wenig mehr Gewissheit verschaffen, dass ich ihrer Phantasie wenigstens einigermaßen gerecht werden konnte.

      Sicher, meine Größe und mein Gewicht hatte ich in meinem Lovefinder-Profil angegeben, somit verfügte sie zumindest über Basisangaben. Andererseits: So naiv, diese Angaben einfach zu glauben, konnte sie doch nicht sein. Diese Zahlen schönte sich ja wohl jeder Lovefinder-Kunde zu seinen Gunsten, die einen weniger, die anderen mehr.

      Oder war sie vielleicht ein VIP, eine Frau in hoher gesellschaftlicher oder beruflicher Position, eine „Dame von Rang“, wie es in einem Roman des 19. Jahrhunderts heißen würde – eine Frau, die ein erotisches Abenteuer wollte, ohne dass jemand ihr Gesicht erkannte?

      Ich weiß: Die aufregendste aller Möglichkeiten, doch gegenüber den vorangegangenen die mit weitem Abstand unwahrscheinlichste. Abgesehen davon hätten es für die „Dame von Rang“ doch auch Masken getan, oder? Ich vielleicht als Arnold Schwarzenegger, sie als Miss Piggy ...

      Ich brachte den ganzen langen Tag über keinen klaren Gedanken zusammen. Am Vormittag stammelte ich mich vollkommen unkonzentriert durch zwei Besichtigungstermine, dabei konnte ich froh sein, endlich mal wieder welche zu haben, und dann auch noch gleich zwei hintereinander. Am frühen Nachmittag machte ich Feierabend, leistete mir sogar den Luxus, einen weiteren Besichtigungstermin abzusagen, fuhr nach Hause und schaute den Zeigern der Küchenuhr zu. Ticktackticktack ...

      Was soll ich sagen? Um 20.30 Uhr streife ich mir die kurze Lederjacke über, in der ich mich besonders verwegen fühle, und ziehe los. Und, nicht lachen: Ich stecke mir dieses Klappmesser mit feststeckbarer Klinge ein, das uns mal vor Weihnachten als Werbegeschenk ins Haus flatterte, keine Ahnung mehr, von wem.

      Den giggelnden Psychologiestudentinnen, so sie mir denn begegnen, werde ich einfach ganz frech ins Gesicht lachen, wenn das Licht angeht, nehme ich mir vor. Als hätte ich mit nichts anderem gerechnet als einem Scherz.

      Auf der Fahrt versuche ich mir zu beweisen, dass ich noch alle sieben Sinne beisammen habe. Ich achte peinlich genau darauf, nicht zu schnell zu fahren, bemühe mich, kein Schild, keine Ampel zu übersehen – und verschulde dennoch ums Haar mindestens drei Unfälle. Auf einer Strecke von nicht einmal vier Kilometern.

      Im Parkhaus suche ich nach einem Schild mit Öffnungszeiten. Nicht alle öffnen ja die ganze Nacht hindurch ... verflucht, rechne ich jetzt schon ernsthaft damit, bis zum nächsten Morgen zu bleiben? Wer weiß, vielleicht dringt dann durch irgendeine Ritze ein Lichtstrahl in die abgedunkelte Wohnung und meine mysteriöse Gastgeberin zerfällt zu Staub ...

      Münsterstraße 8 ... eines von nur wenigen Hochhäusern in der City. Wohnt sie da wirklich, die geheimnisvolle Meretseger? Würde ihr gar nicht ähnlich sehen, in ihre Privatgemächer zu bitten, auch wenn ich sie nicht zu sehen bekomme ... aber was eigentlich würde ihr überhaupt ähnlich sehen?

      Am Hauseingang streifen meine Augen flugs über die Namen an der gigantischen Klingeltafel, die neben der Aufschrift „19. Stock“ stehen. Sedlacek, Virnes, Sabato, Kieffer, Helldahl ... und ein Kästchen ohne Namen. Da soll ich bestimmt hin ... obwohl: „Virnes“ – wär doch kein schlechter Name für eine geheimnisvolle Schöne, oder?

      Doch, Moment mal: Wer soll mir die Haustür eigentlich öffnen? Wo soll ich klingeln?

      Ich denke kurz nach, drücke dann etwa zwölf Knöpfe gleichzeitig, warte die ersten Rückmeldungen aus der Freisprechanlage ab und erkläre: „Werbung. Darf ich mal kurz an die Briefkästen?“ Schon ist der Türsummer zu hören. Voilà. Dass ich derart banale Tricks beherrsche, hat Meretseger wohl ganz einfach vorausgesetzt.

      Der Fahrstuhl kommt ewig nicht, endlich höre ich, wie er näher kommt, quietschend und entsetzlich langsam. Eine hässliche alte Frau zwängt sich vor mir aus dem Lift. Na, die ist es schon mal nicht. Ich ächze nach oben in dieser ungemütlichen, ramponierten Zelle. Die Rückwand ist verspiegelt. Ich betrachte mich kurz in dem aschfahlen, schäbigen Neonlicht. Hübsches Kerlchen, denke ich, obwohl das Spiegelglas gesprungen ist und mir eine grausliche Narbe quer durchs Gesicht zieht. Was spielt das heute Abend schon für eine Rolle ...

      Verflucht, jetzt fängt mir doch das Herz an zu pochen.

      19. Stock. Die Tür öffnet sich. Ich trete heraus, taste nach einem Lichtschalter. Ich starre in einen engen Flur, die Wände könnten dringend mal wieder einen Anstrich vertragen. Hoffentlich hole ich mir hier nichts. Ich schreite den Gang hinunter. So entschlossen ich kann. Klappt ganz gut. Wär ja auch noch schöner, wenn mir jetzt auch noch die Knie schlotterten.

      Letzte Tür rechts. Kein Name an der Klingel. Die Tür ist angelehnt. Das ist nicht weiter überraschend: Würde sie mir die Tür öffnen, könnte ihr ja das Licht aus dem Flur übers Gesicht huschen. Hinter der Tür ist ein schwerer Vorhang, einer, der eigentlich keine Wärme aus der Wohnung entweichen lassen soll, der aber auch genauso kein Licht hinein- oder hinauslässt.

      Ich trete ein – und schließe die Tür. Doch, wenn ich schon erscheine, will ich mich auch an die Spielregeln