Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


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Aber hier stand ganz eindeutig ein Tourist! Offenbar war er schon einige Zeit hier in der Gegend unterwegs, denn sein Gesicht hatte eine dunkle Färbung durch die Sonne angenommen, sodass man ihn nicht sofort als Ausländer erkannte. Nun aber war der texanische Akzent so eindeutig, dass Rayan sich bemühen musste, nicht breit zu grinsen. Als Burt dann auch noch mit ausladenden Gesten zu wiehern anfing, um ihnen klar zu machen, dass es ihm nur um die Bewunderung der Pferde ging, musste der Tarmane all seine Beherrschung aufbringen, nicht laut zu lachen. Das war mal wieder typisch für seine amerikanischen Landsleute! Unbesorgt wie so oft rannten sie durch die Welt.

      Er warf Hanif einen warnenden Blick zu, der ganz offenbar ebenfalls einigermaßen Englisch verstand. Zumindest reichte sein Sprachwissen dafür, die Aussage von vorhin als Beleidigung richtig einzuordnen, das sah Rayan ihm sofort am Gesicht an. Und nachdem sein treuer Begleiter nicht seine Sympathien für Amerikaner teilte, stand er kurz davor, den aufdringlichen und unverschämten Touristen niederzuschießen.

      Es war nur Glück, dass der Mann sich vollständig zu Rayan hingedreht hatte, so entging ihm die Reaktion des Reiterführers der Tarmanen, denn der Scheich wollte nicht, dass der Texaner bemerkte, dass sie jedes seiner Worte verstanden hatten. „Schon gut Hanif. Nimm das Gewehr runter, er ist keine Gefahr“, befahl er seinem Begleiter. Der holte Luft, um zu widersprechen, natürlich war auch ihm klar, dass der Mann nicht gefährlich war, aber er hatte sie immerhin beleidigt! Doch ein weiterer Blick von Rayan brachte ihn dazu, sich zusammenzureißen.

      Der Scheich überlegte derweil, wie er nun aus dieser Situation wieder herauskam, ohne das Gesicht zu verlieren und ohne den Amerikaner zu verletzen.

      In diesem Moment rettete der Wüstenführer die Lage. Entsetzt hatte der bemerkt, dass eines seiner „Schäfchen“ auf Wanderschaft gegangen war und sich ausgerechnet die beiden Tarmanen als Ziel ausgesucht hatte. Das grenzte an Selbstmord!

      Von weitem hatte er schon das Schlimmste befürchtet, denn wie jeder in weitem Umkreis kannte auch er den Ruf der Krieger aus Zarifa. Gerecht, aber absolut rücksichtslos, wenn man sie herausforderte. Er hoffte bloß, dass sie den Amerikaner nicht als Bedrohung ansahen. So schnell es seine kurzen Beine erlaubten, näherte er sich. Etwas kurzatmig begann er schon aus zehn Metern Entfernung: „Werte Herren Tarmanen! Der Mann ist kein Einheimischer! Nur ein Tourist. Völlig ungefährlich! Es tut mir sehr leid, dass er die erlauchten Herrschaften belästigt hat!“

      Genervt ließ Rayan einige Minuten lang den nachfolgenden Redeschwall über sich ergehen. Er war froh, dass er quasi „inkognito“ unterwegs war. Weder trug er die blutrote Kordel am Turban, die ihn als Anführer markierte, noch hatte er seinen Leibwächter Ibrahim mit dabei. Und auch auf seinen dunkelbraunen Hengst hatte er schweren Herzens verzichtet. Zudem trug er seine schwarzen Kontaktlinsen, denn seine auffällig blauen Augen waren in der Region berüchtigt. Hätte der Mann ihn erkannt, hätte er ihn wohl überhaupt nicht mehr dazu gebracht, seine Litanei an Entschuldigungen zu unterbrechen.

      Fasziniert hatte der Amerikaner währenddessen von einem zum anderen geschaut. Auch Hanif hatte sowohl den Wortwechsel als auch die Reaktion des Fremden schweigend beobachtet. Und er war zu dem Schluss gekommen, dass eine Kugel zu schade wäre. Stattdessen würde er dem Kerl liebend gerne eine Abreibung verabreichen. Für seine Frechheit vorhin und für sein offensichtliches Amüsement jetzt, wo der krummbeinige Araber sich nur bemühte ihrer beider Leben zu retten. Aber er wusste, dass er im Moment kein Recht hatte, sich einzumischen. Seine Exzellenz würde schon mit der Situation fertig werden. Er hoffte nur, dass dies bald passieren würde, denn seine Geduld war am Ende. Er wollte nur noch nach Hause und freute sich, dass sie morgen bereits Zarifa erreichen würden, was nur noch wenige Stunden entfernt lag. Und nun diese absolut unwillkommene Störung ihrer abendlichen Routine.

      In diesem Moment hob Rayan mit einer herrischen Bewegung die Hand, was Murat zum Verstummen brachte.

      „Genug. Ich bin weder taub noch begriffsstutzig. Nimm deinen ‚Touristen‘ und verschwindet ganz schnell aus unseren Augen. Bevor ich es mir noch anders überlege.“

      Wiederum folgten Lobpreisungen und viele Verbeugungen, aber immerhin nahm Murat den Amerikaner am Arm und zog ihn mit sich fort. Der setzte noch einmal kurz an „aber ich wollte doch nur die Pferde …“ aber eine Schimpftirade in Englisch, verbunden mit der Drohung sofort jegliche weiteren Erkundungen abzublasen und zurück nach Alessia zu reiten brachte ihn dazu, dann doch brav seinem Wüstenführer zu folgen.

      Rayan riss sich zusammen, bis die beiden weit genug weg waren, wobei seine Lippen angesichts der lautstarken Beschimpfungen des Arabers gegenüber dem Texaner bereits verräterisch zuckten. Doch das konnte nur Hanif sehen, was dessen Stimmung aber keineswegs aufhellte.

      Sobald die beiden Männer außer Reichweite waren, wandte sich der Anführer der Tarmanen mit einem strafenden Blick an Hanif: „Sollten wir je wieder in so eine Situation kommen, erwarte ich von dir, dass du dich im Griff hast! Ich dulde auf keinen Fall, dass Fremde auch nur ahnen, dass wir sie durchaus verstehen können. Also reiß‘ dich gefälligst zusammen. Wenn ich mit derartigen Beleidigungen umgehen kann, wirst du es auch lernen. Verstanden?“ Zerknirscht verneigte sich Hanif: „Natürlich Herr!“

      Als sie später zu zweit am Feuer saßen, hatte Rayan die Zurechtweisung bereits wieder vergessen. Er konnte Hanif ohnehin nie etwas nachtragen. Stattdessen amüsierte er sich wieder über das Auftreten dieses Amerikaners. Als sie auf den Punkt in der Unterhaltung kamen, wo der Tourist tatsächlich gewiehert hatte, konnte endlich auch Hanif die Komik der Situation sehen und beide lachten schallend.

      Trotzdem grübelte Rayan später, als er auf seinem Lager im Zelt lag noch einige Zeit über eine Bemerkung Hanifs nach, die er nicht so einfach wegwischen konnte: „Und was macht überhaupt eine Touristengruppe so tief in der Wüste? Wer ist dieser Wüstenführer, dass er seine Schützlinge in diese Region bringt? Das ist für meinen Geschmack viel zu nahe an Zarifa.“ Womit sein Begleiter leider absolut Recht hatte.

      Anfang August 2015 - USA: Charlotte: Büro von TanSEC - Eine neue Mission

      „Also Yasin, lass‘ hören. Was ist dein Plan?“, fragte Cho.

      Rayan war schlagartig wieder ernst geworden. „Wir warten schon viel zu lange. Ich werde noch heute mit IHNEN sprechen. Danach statten wir diesem Senator einen Besuch ab. Und bringen ihn zum Reden.“

      Cho sah Rayan nachdenklich an. Da meldete sich wieder Hummer zu Wort: „Sag mir nicht, du willst einen Senator der Vereinigten Staaten foltern?“

      Rayan lachte kalt: „Was denn Großer? Seit wann hast du solche Hemmungen?“

      Bevor Hummer sich verteidigen konnte, fuhr der Scheich mit ernster Stimme fort: „Dass bei dem erneuten Mordversuch auf mich diesmal sogar Sheila betroffen war, hat mir vor Augen geführt, dass jetzt dringend etwas passieren muss! Wer weiß, wann der nächste Anschlag erfolgt und ob dann wieder alles so glimpflich ausgeht.“ Bei den Worten „so glimpflich“ konnte er allerdings einen ironischen Unterton nicht verhindern. Denn seine Odyssee vor wenigen Wochen nach dem Absturz ohne Gedächtnis durch die Wüste zu irren, war eine gefährliche Strapaze gewesen. Nicht zu vergessen kam dazu noch die emotionale Hölle, durch die seine Freunde aufgrund seines vermeintlichen Todes gegangen waren.

      Hummer nickte: „Ja, da hast du allerdings recht. Und mir geht es vor allem auch darum, Jacks Tod nicht einfach so hinzunehmen. Seitdem ich weiß, dass es ein Attentat und kein Unfall war, würde ich am liebsten etwas zertrümmern, um meinen Frust loszuwerden.“ Der Riese sah seine beiden Freunde an: „Also - ich bin dabei! Nachdem wir keinen besseren Plan haben - machen wir eben einen Hausbesuch.“ Er grinste nun, doch es war eher ein Verziehen seines Gesichtes, das zusammen mit seinen beträchtlichen Körpermaßen so bedrohlich wirkte, dass jeder andere schnell die Flucht ergreifen würde. Cho und Rayan allerdings kannten ihren Freund lange genug, um sich nicht beeindrucken zu lassen.

      „Ich bin ohnehin mit von der Partie - einer muss ja das Hirn der Mission sein und auf euch zwei Muskelmänner aufpassen“, stimmte Cho zu.

      Rayan hob lächelnd die Brauen, doch er entgegnete nichts. Er verspürte Erleichterung, dass seine beiden alten Kumpane mitzogen,