Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


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wegen der pietätlosen Art mit der er seinen Freund von der wahren Todesursache seines Vaters informiert hatte. Erleichtert stellte der Riese fest, dass ihr Kollege wieder „der Alte“ war.

      Mit ruhiger Stimme bat der CEO dann Cho, ihm alles von ihren Ermittlungen zu erzählen. Der begann mit seiner rein intuitiven Vermutung, seinen darauf basierenden Untersuchungen am Wrack von Jacks Maschine und schließlich den Analysen an Rayans Transall. Als er seinen Bericht beendet hatte, schwiegen alle drei eine Weile. Dann sagte der Japaner: „Auch wenn es angesichts unseres aktuellen Themas nicht wichtig scheint, lass uns bitte darüber reden, was der Informant gesagt hat. Gerade weil wir ‚ihre‘ Hilfe bei unserem weiteren Vorgehen benötigen werden.“

      Rayan nickte. Der in Amerika geborene Japaner hatte Recht. Und so gab Cho wortwörtlich das recht kurze Telefonat vom Nachmittag wieder. Zu seiner Überraschung schloss der CEO seine Augen auf einmal alarmiert. Er ließ seinen Kollegen zu Ende reden, dann fragte er gepresst: „Bist du dir absolut sicher, dass er sagte, dass jemand ‚nach Daten gräbt‘?“ Verwirrt nickte Cho bestätigend. „Absolut - wieso?“

      „Dieser verdammte Narr!“, entfuhr es Rayan. „Jetzt rede endlich!“, motzte da auch schon Hummer, den die kurzangebundene Art seines Freundes oftmals auf die Nerven ging.

      „Dieser Burt, der Kerl vom Flughafen. Ich habe gerade dem Idioten zum dritten Mal das Leben gerettet und ihm das Versprechen abgerungen, die Füße stillzuhalten. So habe ich es mit unseren Freunden von der Regierung vereinbart. Aber wenn es nur um die Anfrage der Beamten am Flughafen ginge, würden sie das nicht als ‚graben‘ bezeichnen. Also hatte der Texaner vermutlich in seinem Übereifer bereits jemanden eingeweiht.“

      Er schüttelte ärgerlich den Kopf. Seine ‚Freunde‘ mussten bereits davon gewusst haben, als er mit ihnen telefoniert hatte. Aber wie üblich hatten sie sich nicht in die Karten schauen lassen. Rayan hatte vielleicht das Leben des Texaners gerettet, doch das seines Helfers war verspielt. Die Nachricht, die sie damit an sie sendeten, war klar: ihre Kontaktmänner in der Regierung ließen sich nicht kontrollieren. Sie waren diejenigen, die die Fäden zogen. Punkt.

      Der CEO von TanSEC atmete tief durch. Er war hier nicht in seiner Heimat, wo er die Regeln vorgab. Das durfte er niemals vergessen. Vermutlich auch ein Punkt, den man ihm auf diese Weise hatte klarmachen wollen. „Lesson learned!“, dachte er grimmig.

      In diesem Moment meldete sich Hummer zu Wort: „Leute, das ist bedauerlich für den armen Teufel, aber wir können daran jetzt nichts mehr ändern. Und bevor wir hier nun darüber reden, wie wir weiter vorgehen, möchte ich zuerst so viel wie möglich über diesen Texaner wissen. Also erzähl uns erst einmal, was du von ihm weißt. Wann habt ihr euch kennengelernt? Und wie war das genau am Flughafen heute?“

      Auch Cho nickte zustimmend. Also berichtete Rayan knapp von seinen beiden heutigen Begegnungen mit dem Mann, zuerst am Flughafen und dann vorhin in dessen Auto. Im Anschluss lehnte er sich in seinem Sessel zurück und schloss die Augen. Er konzentrierte sich auf die Vergangenheit und begann zu erzählen.

      Anfang September 2015 – München Innenstadt: Am Stachus – Ein Einkaufsbummel

      Kaum hatten sie den U-Bahnhof verlassen und waren an die Oberfläche zurückgekehrt, rief Rayan seinen Freund Harun an. Nach einer kurzen Begrüßung und dem Austausch einiger Floskeln berichtete der Scheich dem Fürst von Damaris von ihrem Erlebnis. Der hatte zwar eine Ahnung, wer der Mann vermutlich gewesen war, stellte ihn jedoch als harmlosen Irren hin. Sonst hätte er ihn kaum laufen lassen und lediglich mit Verbannung bestraft. Was mit „Skorpion“ gemeint sei, darauf könne er sich auch keinen Reim machen, vermutlich fantasierte der Mann. Sie überlegten einen Augenblick, ob der ominöse Fremde Rayan erkannt hatte, als er sagte „und dich auch“, aber sie kamen zu dem Schluss, dass das sicher nicht der Fall gewesen war. Für alle Fälle wollte Harun Erkundigungen einziehen, ob jemand mit „Skorpion“ etwas anfangen könne.

      Dann bat er Rayan, Carina an ihr Versprechen zu erinnern: Sie habe ihm zugesagt, bald nach Damaris zu kommen. Woraufhin der Scheich versprach, dass sie beide sicher im Anschluss an das bald anstehende Stammestreffen gemeinsam Zeit finden würden, ihren alten Freund zu besuchen. Er würde seine Reisepläne entsprechend anpassen. Dies war er Harun schuldig, wo es doch seine Männer gewesen waren, die Carina vor einigen Wochen nach dem Flugzeugabsturz gefunden und gerettet hatten. Sie verdankte ihm also mit großer Wahrscheinlichkeit ihr Leben.

      Rayan konnte trotz dieser Umstände einen Ausdruck von Eifersucht nicht verbergen, als er Carina nach Beendigung des Telefonats von diesem Versprechen berichtete. Da war etwas in Haruns Stimme gewesen … oder bildete er sich das etwa ein? Und nun färbten sich auch noch Carinas Wangen rot, als wäre ihr das Thema unangenehm. Er nahm sich vor, bei Gelegenheit noch einmal auf diesen Besuch zurückzukommen und sich vor allem detailliert die Ereignisse der Rettung schildern zu lassen.

      Carina dagegen war froh, als Rayan das Thema unerwartet schnell auf sich beruhen ließ. Nur zu deutlich war ihr in Erinnerung, wie sie und Harun Said sich geküsst hatten. Damals, als sie glaubten, er wäre beim Absturz gestorben. Doch es war bei einem Kuss geblieben, denn danach hatte sie dem Herrn von Damaris einen Korb gegeben. Sie schalt sich als übersensibel, dass sie deswegen ein schlechtes Gewissen hatte.

      Als sie den Torbogen durchschritten, der den Eingang zur Fußgängerzone bildete, nahmen sich alle beide vor, sich jetzt erst einmal ganz dem Flair von München hinzugeben. Jassim folgte wie üblich mit ein wenig Abstand und hielt die Umgebung wachsam im Auge.

      Rayan war schon verschiedene Male in der bayerischen Landeshauptstadt gewesen, vor allem weil hier auch die Europazentrale seiner Firma TanSEC war, aber noch nie hatte er es bis in die Innenstadt geschafft. Der Weg vom Flughafen zur Filiale und zurück war ihm vertrauter. Und natürlich hatte er bei seinem letzten unglücklichen Besuch im Januar unfreiwillig einen Teil des Englischen Gartens kennengelernt. Er verscheuchte diesen unangenehmen Gedanken schnell.

      Hand in Hand schlenderten sie die Passage entlang und kommentierten die Schaufenster und Passanten, ganz wie bei einem gewöhnlichen Pärchen. Carina strahlte. Als zu ihrer rechten ein Schild auf die Traditionsbrauerei und deren im hinteren Bereich befindlichen Biergarten hinwies, zog sie Rayan mit sich hinein. Jassim blieb aufmerksam die vorbeischlendernden Passanten beobachtend, vor der Tür stehen.

      Vermutlich, da es ein Wochentag war, ergatterten sie problemlos einen Tisch. Trotz des reichhaltigen Frühstücks sah Carina auf ihre Uhr und stellte erleichtert fest, dass es kurz vor 11 Uhr war, und sie somit noch früh genug dran waren zum „Weißwurstessen“. Dazu bestellte sie sich ein Weizenbier. Rayan beobachtete ihre Begeisterung lächelnd, er selbst entschied sich für den „Obatzten“, da er kein Schweinefleisch aß. Er sah sich in dem kleinen Innenhof um und bewunderte die Verzierungen an der Steinfassade.

      Entspannt scherzten und plauderten sie eine ganze Weile, dann gesellten sie sich wieder zu Jassim. Sie bewunderten den Blick auf die Frauenkirche und die sonstigen Sehenswürdigkeiten dieser Straße, bis sie zum Marienplatz kamen. Erstaunt fragte Rayan seine Begleiterin, was denn die vielen Menschen machten, die dort offenbar auf etwas warteten. Es waren überwiegend Touristen, viele davon aus Asien.

      Lachend zeigte Carina auf die Fassade des neuen Rathauses und berichtete vom Glockenspiel. Sie zeigte dabei auf die Figuren. Jassim schüttelte den Kopf, er war Pragmatist und hatte wenig Sinn für derlei „Attraktionen“.

      Interessant fanden beide auch die vielen Fahrräder, mit denen Touristenführer Touren durch die Stadt anboten - so etwas gab es in Alessia nicht.

      Sie drehten eine Runde über den Viktualienmarkt und staunten über die Pferdemetzgerei. Nachdem die edlen Rösser aus der Zucht von Zarifa eher als Gefährten, denn als Transportmittel angesehen wurden, konnte sich keiner von den dreien vorstellen, diese jemals essen zu wollen.

      Auf dem Rückweg schlenderten sie die rechte Seite entlang und als wäre Rayan gerade etwas eingefallen, schob er Carina in ein alt eingesessenes Juweliergeschäft.

      Der Mann hinter dem Tresen sah interessiert auf, denn außer ihnen war der Laden leer. Mit geübtem Auge musterte er Carina von oben bis