Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


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in Angriff zu nehmen.

      Mit neutraler Stimme ergänzte Rayan: „Und wenn er der Richtige ist, muss sein Hass auf mich wirklich unendlich groß sein. Dann ist es sogar wahrscheinlich, dass er mir Auge in Auge ganz von selbst erzählt, was die Ursache ist. Das Schlimmste, was uns passieren kann: wenn er der Falsche ist! Dann hätten wir ein echtes Problem. Denn in dem Fall ziehen sich unsere Freunde ganz schnell zurück und damit ist unsere Rückendeckung dahin. Dann können wir vor Gericht erklären, wieso wir in das Haus eines Senators einbrechen und sein Leben bedrohen. Und oben drein stehen wir dann wirklich mit leeren Händen in Bezug auf diese Bedrohung da …“

      Anfang September 2015 – München Innenstadt: Fußgängerzone – Austausch von Fachwissen

      Entsetzt starrte Carina erst den Mann an, dann die Uhr und schließlich Rayan. Der zuckte etwas verlegen mit den Schultern und erläuterte lakonisch: „Du weißt, dass ich eine Schwäche für schöne Uhren habe …“ Er hatte automatisch Arabisch gesprochen, was den Herrn hinter der Verkaufstheke etwas zu verwirren schien.

      Aber er hatte sich schnell gefangen, denn ihm war klar geworden, dass er hier einen ganz großen Fisch an der Angel hatte. Und Carina? Die hatte vorher angesichts der Preise für die Ketten, die man ihr vorgelegt hatte, kaum gewagt zu atmen. Sie hatte noch nie teuren Schmuck besessen und hatte eigentlich nicht vorgehabt, sich jemals welchen zuzulegen. Derart kostenintensive Geschenke machten sie nervös. Doch nun regten sich in ihr neue Gefühle, fast wie Trotz: „Rayan hat eine Uhr, für die andere sich ein Haus kaufen? Na dann wird es wohl nichts ausmachen, wenn er ein paar Tausend für meinen Schmuck ausgibt“, dachte sie sich trotzig. Trotzdem würde sie ihren Glücksbringer mit dem Emblem von Zarifa nicht ablegen …

      Der Juwelier fühlte sich wie im siebten Himmel, als die sich soeben noch reichlich zierende Frau auf einmal auftaute und sich schließlich für goldene Saphirohrringe entschied, die ganz hervorragend zu der Kette passten, die sie um den Hals trug.

      „Eine ganz ausgezeichnete Handarbeit - ein Einzelstück vermute ich?“, ließ der Verkäufer verlauten. Unbestimmt schüttelte Rayan den Kopf. „Es gibt mehr als eines“, war das Einzige, was er dazu verlauten ließ und der Juwelier war sensibel genug, nicht weiter nachzufragen.

      Bevor der Kauf jedoch abgeschlossen war, nahm der Scheich die Ohrringe in die Hand und begutachtete sie intensiv. Und ehe Carina es sich versah, waren sie in ein Gespräch über Gold vertieft. Dessen Reinheit, Fertigung und Herkunft. Sie hätte nie geglaubt, dass man über derart viele Details reden konnte. Erfreut lobte der Verkäufer schließlich: „Ich sehe schon, Sie sind ein echter Fachmann. Ich nehme einmal an, Ihre Familie ist in dieser Branche tätig?“

      Rayans Reaktion verblüffte Carina, denn er lächelte hintergründig: „Nein nicht wirklich. Ich habe nur hier und da ein paar Details aufgeschnappt.“ Der Verkäufer gab sich damit zufrieden, Carina jedoch kannte Rayan gut genug, dass sie sich des Gefühls nicht erwehren konnte, er habe gerade gelogen. Doch über was? Und warum? Nein, sie musste sich das nur eingebildet haben.

      Sie wurde abgelenkt, als der Scheich schließlich eine Kreditkarte herauszog, die sie noch nie zuvor gesehen hatte: Sie war vollkommen schwarz und hatte in der Mitte das Abbild eines antiken römischen Soldaten. Außerdem schien sie keineswegs aus Plastik zu sein, sondern aus einem Metall.

      „Ah, eine Titanium“, lobte der Verkäufer und sein Grinsen verbreiterte sich noch mehr. Die Reporterin in Carina registrierte diesen Namen, und als sie wenig später über ihr Smartphone den Begriff in eine Suchmaschine eingab, verblüffte sie das Resultat. Es war die VIP-Kreditkarte einer amerikanischen Firma, die man nicht beantragen konnte, sondern zu der man „eingeladen werden musste“. Das passierte natürlich nur, wenn man entsprechend wohlhabend war, um sich diese Ehre zu verdienen.

      Sie nutzte die Zeit, die ihr Begleiter benötigte, um zu bezahlen, um sich noch ein wenig umzusehen. Ihr Blick blieb an einem goldenen Ring hängen, der ebenfalls einen Saphir trug. Wunderschön! Und vor allem war der Stein auffällig, aber klein genug, um nicht protzig zu sein.

      Schnell drehte sie sich weg, denn sie wollte nicht, dass Rayan das Gefühl bekam, sie wolle noch mehr Geschenke von ihm. Leisten konnte er es sich sicher, aber Carina fand, dass sie für einen Tag genug „in die deutsche Wirtschaft investiert hatte“, wie sie es nannte.

      Der Hauptgrund war aber, wenn sie ehrlich war, dass ihr ein Ring wie eine Verpflichtung vorkam. Vermutlich war sie jetzt auch schon dem Hochzeitsfieber verfallen, aber sie wollte gerade deswegen nicht den Eindruck erwecken, auf einen Verlobungsring zu spekulieren. Sie verließen gemeinsam den Laden und traten auf die Straße, wo Jassim auf sie wartete.

      2013 - Rub‘ al Khali: kleine Oase - Texanischer Trotz

      Als Burt am folgenden Morgen erwachte, fühlte er sich voller Energie, obwohl er nur wenig geschlafen hatte. Nachdem Murat ihn nach seiner Schimpftirade am Vortag zunächst beleidigt ignoriert hatte, hatte er ihnen allen abends am Feuer eine weitere seiner Lektionen erteilt. Was den Texaner furchtbar langweilte. Seinen kleinen Anflug von Reue angesichts der gefährlichen Lage heute Nachmittag hatte er schon wieder vergessen. Seinen Vorsatz, in Zukunft besser auf seinen Wüstenführer zu hören, hatte er schon wieder verworfen.

      Diesmal war das Thema der Belehrungen „die Tarmanen und das sagenhafte Zarifa“. Die ersten Sätze voller Lobpreisungen für die „tapferen Krieger“ hatte er noch mitbekommen, aber als Murat die edle Pferdezucht erwähnte, gingen seine Gedanken wieder auf Wanderschaft. Es gab also eine ganze Zucht der Vollblutrösser. Natürlich! Er musste morgen unbedingt noch einmal mit den Männern sprechen. Irgendwie würde er sich mit ihnen schon verständigen können, zur Not gab es Zeichensprache. Das Reiben von Daumen und Zeigefinger als allgemein bekannte Geste für Geld würden doch selbst diese Einfaltspinsel verstehen?

      Murats Warnungen über die strikten Regeln der Tarmanen und ihre Gefährlichkeit überhörte er geflissentlich. So schlimm waren die beiden ja nun auch nicht gewesen. Immerhin hatten sie nicht erst geschossen und dann gefragt, das war doch ein gutes Zeichen, oder? Er war schließlich Texaner, da kannte man sich mit schießwütigen Gesellen aus.

      Lange vor der üblichen Weckzeit schälte er sich aus seinem Schlafsack. Es war noch dunkel, allerdings begannen die Sterne bereits zu verblassen. So leise, wie er konnte, schlich er sich aus ihrem Lager. Bloß keinen seiner Begleiter oder gar Murat wecken! Triumph stand auf seinem Gesicht, als er unbemerkt die Oase durchquerte. Doch dann erstarrte er: Wo gestern noch das Lager der beiden Männer in Schwarz gewesen war, war nur noch eine leicht qualmende Feuerstelle. Sie waren weg, samt den Pferden natürlich. Verflixt! Was sollte er nun tun? War ihm die Chance seines Lebens tatsächlich durch die Finger geglitten?

      Dann sah er die Spuren, und obwohl er ein absoluter Laie im Lesen von Spuren war, wurde ihm sofort klar, dass er die beiden allenfalls um Minuten verpasst hatte.

      Und wieder dachte er nicht länger darüber nach, wie irrational und selbstmörderisch er sich benahm, sondern tat einfach das Nächste, was ihm in den Sinn kam: Er warf seinem Kamel seinen Sattel auf den Rücken, schnappte sich einen der bereits gefüllten Wasserschläuche und folgte den Abdrücken der beiden Pferde.

      Als er eine Weile unterwegs war, kamen ihm erste Zweifel, ob sein Tun wirklich sinnvoll war, doch überwog schnell wieder der Stolz: Am Anfang ihrer Reise hatte er gedacht, er würde nie diese „dummen, trampeligen Wüstenschiffe“ auseinanderhalten können. Doch in den fast vier Wochen, die sie nun schon unterwegs waren, hatte er einiges über Kamele und den Umgang mit ihnen gelernt. Sein kleiner Ausritt gerade bewies, dass er die Lage im Griff hatte! Allerdings hatte er seit ihrem Aufbruch auch über die Wüste einiges erfahren und die erste Regel besagte, dass man sich niemals - unter keinen Umständen - alleine auf den Weg machte! Er tröstete sich damit, dass er ja nicht alleine war, denn in den vergangenen Tagen hatte er fast so etwas wie eine Beziehung zu seinem vierbeinigen Freund aufgebaut, der ihn so treu selbst durch einen Sturm getragen hatte.

      Und schließlich beruhigte er sich selbst, dass er auf jeden Fall die beiden Reiter bald eingeholt haben musste. Die wenigen Minuten Vorsprung, die