Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


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Systemen unauffällig abziehen.

      Alles in allem hatte Jack seine Verbindungen geschickt auszunutzen gewusst. Er hatte sich wie eine Spinne ein Netz gebaut, das unfehlbar schien.

      Wie würden ihre „Freunde“ reagieren, wenn sie davon erfuhren, dass der ehemalige General getötet worden war? Es würde ihnen nicht gefallen.

      Rayan beschloss, dass es an der Zeit war, mit ihnen über die Vorkommnisse zu sprechen. Doch es war essenziell, vorher genau abzuwägen, wie die beste Vorgehensweise war. Dafür musste er sich mit Hummer und Cho beraten. Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass er es sich aktuell gar nicht leisten konnte, weiterhin aufgrund seines verletzten Stolzes seine Freunde auszuschließen.

      Die Information über die Hintergründe von Jack Tanners Tod würde in gewissen Kreisen einschlagen wie eine Bombe. Und es war ratsam dann genügend Informationen zusammen zu haben, sonst konnte die Aktion in eine Richtung ausschlagen, die nicht vorhersehbar wäre.

      Der Scheich war fair genug, zuzugeben, dass auf einmal der vermeintliche „Verrat“ seiner Freunde in einem anderen Licht erschien. Er war nach wie vor der Meinung, dass es ihre erste Pflicht gewesen wäre, ihn sofort in ihren Verdacht einzuweihen. Aber dass das Vergehen des Technikers Adnan im Vergleich zum Gesamtkontext unwichtig war, war ihm nun klar.

      Und so stellte Rayan erfreut fest, dass Cho mehrere Male versucht hatte, ihn telefonisch zu erreichen. Wie vor jedem Einsatz hatte er sein Telefon auf lautlos gestellt, bevor er den Texaner Burt besucht hatte.

      Zeit, den Japaner nicht länger warten zu lassen.

      Anfang September 2015 – München – Eine ungewöhnliche Fahrt

      Normalerweise folgte Jassim seinem Herrn in allem mit stoischer Ruhe. Er wurde nur wütend, wenn etwas den Scheich bedrohte, oder jemand sich seiner Meinung nach nicht respektvoll genug zeigte.

      Diesmal jedoch sah er regelrecht beleidigt aus. Offenbar befand er das Transportmittel „U-Bahn“ als unter der Würde seines Anführers. Carina grinste fröhlich und auch um Rayans Mundwinkel zuckte es ab und zu. Er ließ sich seine Erheiterung darüber, dass sich sein treuer Gefolgsmann derart anstellte, aber nicht offen anmerken. Es ging ihm durch den Kopf, was Jassim wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sein Herr schon weitaus Schlimmeres mitgemacht hatte, als die Münchner U-Bahn, die alles in allem doch recht sauber war. Schon als er klein war, hatte sein Vater dafür gesorgt, dass er sich nicht etwa auf goldenen Kissen ausruhte, da war das Ausmisten der Ställe noch harmlos gewesen. Nach seiner Flucht aus Zarifa und später in Rabea Akbar hatte er quasi in der Gosse gelebt, bis er wieder auf die Beine gekommen war. Und auch bei seinen diversen Undercover-Einsätzen für seine Spezialeinheit hatte er sich mehr als nur die Hände schmutzig gemacht. Doch das alles konnte Jassim natürlich nicht wissen.

      Sie waren fast beim „Stachus“ in der Innenstadt angekommen, als sich ein Mann näherte, der anscheinend um Kleingeld betteln wollte.

      Carina merkte, dass sich sowohl Jassim, als auch Rayan sofort anspannten, denn der Mann war arabischer Abstammung. Sie selbst empfand die Art und Weise, wie dieser Arme die Aufmerksamkeit der Fahrgäste zu gewinnen hoffte als peinlich und begann, sich „fremd-zu-schämen“. Denn er kniete sich hin und schob ihnen einen Hut zu, in den sie dann etwas einfüllen sollten. Erst etwa eineinhalb Jahre zuvor, kurz bevor sie nach Dubai aufgebrochen war, war Carina beruflich in Prag gewesen und hatte auch dort bereits diese neue Art und Weise des Bettelns mit Schaudern zur Kenntnis genommen.

      Dann fiel ihr Blick auf ihre beiden Begleiter und sie erschrak. Rayan hatte seine rechte Hand gesenkt und ließ den Arm scheinbar leger seitlich herunterhängen. Für einen Außenstehenden eine zufällige Geste. Doch Carina, die ihn sehr gut kannte, bemerkte sofort, dass sein Körper alles andere als locker war: Der Scheich hatte alle Muskeln sprungbereit angespannt. Und ihr war klar, dass er diese Körperhaltung immer nur dann einnahm, wenn er bereit sein wollte, seinen Dolch blitzartig hervorzuholen. Auch Jassim hatte seine Hand nun unter seinem Jackett, sicherlich war dort seine Waffe griffbereit.

      Carina betete innerlich, dass die Bahn schneller fahren möge, um sie zur nächsten Station zu bringen, an der sie ohnehin hatten aussteigen wollen. Doch ihr Wunsch wurde nicht erfüllt. Ohne die Anspannung zu bemerken, kam der Bettler näher, bis er auch vor ihnen seine Show darbot: Er kniete nieder und schob seinen Hut auf Rayan zu.

      Auf einmal fuhr Rayans Linke nach unten und drehte dem Mann das Handgelenk herum, sodass die Innenseite seines Unterarms sichtbar wurde. Ein arabisches Schriftzeichen war dort eingebrannt, welches Carina jedoch nicht genau erkennen konnte. Alleine die Vernarbungen, die durch das Brandzeichen entstanden waren, jagten ihr einen Schauer über den Rücken.

      Entsetzt über die unerwartet gewaltsame Kontaktaufnahme, starrte der Mann zu Rayan hoch und richtete sich halb auf.

      „Ich kenne dieses Zeichen!“, zischte der Scheich hasserfüllt. „Harun Said verwendete es, um Verräter in Damaris zu kennzeichnen.“ Er starrte den Bettler mit blitzenden Augen so voller Verachtung an, dass selbst Carina zurückzuckte. „Geh mir aus den Augen, bevor ich dir hier vor allen Leuten die Kehle aufschneide.“

      Panisch riss der Mann sich los, packte schnell seinen Hut und rannte ein ganzes Stück den Waggon hinunter. Erst mit einigen Metern Sicherheitsabstand wandte er sich noch einmal um. Auf Arabisch schrie er: „Harun Said wird seine Arroganz bald bereuen! Der Skorpion wird ihn holen! Und dich auch!“ Dann spuckte er auf den Boden und rannte davon, als sei der Teufel hinter ihm her.

      Jassims Gesicht war zu einer wütenden Fratze verzogen, einen Moment lang glaubte Carina, er würde dem Mann nachsetzen. Beruhigend legte Rayan die Hand auf den Arm seines Leibwächters und schüttelte leicht mit dem Kopf. Es starrten ohnehin schon alle anderen Fahrgäste alarmiert zu ihnen herüber.

      Carina war dankbar, als wenig später der Zug in den U-Bahnhof einfuhr.

      Anfang August 2015 - USA: Charlotte - Lektion gelernt

      Als Rayan zum zweiten Mal an diesem Tag auf seinen Parkplatz unter dem Bürogebäude fuhr, war er wieder die Ruhe selbst. Der Schock über die wahre Ursache von Jacks Tod hatte ihm geholfen. Die derart unsensibel übermittelte Nachricht hatte ihn aus seinem Gefühlschaos gerissen und ihm deutlich vor Augen geführt, warum es besser war, seine Gefühle zu kontrollieren und dem logischen Denken zu folgen.

      Kurz nach dieser Erkenntnis hatte sein analytischer Geist schon eine Vorgehensweise ausgeworfen. Nun galt es, seine beiden Kollegen von dieser Idee zu überzeugen. Denn deren Hilfe und volle Unterstützung benötigte er für die Umsetzung seines Planes.

      Wie vereinbart warteten die beiden Freunde in seinem Büro auf ihn. Um diese späte Zeit schienen sie die einzigen drei Personen im ganzen Gebäude zu sein. Von einigen Wachleuten und eventuellem Reinigungspersonal vielleicht abgesehen. Beide Männer sahen ihn erwartungsvoll an, als er eintrat.

      Wie üblich war ihr Telefonat vor einigen Minuten auf das Wesentliche beschränkt gewesen: Cho hatte das Gespräch mit einem: „Wo zu Teufel bist du, wir machen uns Sorgen um dich“, entgegen genommen. Lächelnd hatte Rayan geantwortet: „Dazu besteht kein Grund. Ich hatte etwas zu erledigen, das keinen Aufschub geduldet hat.“ Erleichtert hatte der Japaner den entspannten Tonfall des CEOs zur Kenntnis genommen. Zu Recht vermutete er, dass ihm seine „brandheiße Information“ schon bekannt war. Deshalb fragte er als Nächstes: "Ich habe vorhin einen Anruf von einem meiner neugierigen Freunde bekommen. Ich nehme an, du weißt bereits, was er mir erzählt hat?“

      „Neugieriger Freund“ war ihr Codewort für einen Informanten. „Ja. Ich habe das geklärt. Wie gesagt: kein Grund zur Sorge. Aber wir müssen trotzdem reden. Wo seid ihr?“

      Zufrieden versicherte Cho, dass er und Hummer auf ihn in seinem Büro warten würden.

      Zu diesem Zeitpunkt war keinem von ihnen klar, dass in New York bereits eine Aktion angerollt war, die mit dem Tod Arthurs ein Ende finden würde.

      Als Rayan jetzt in sein Büro ging,