Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


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dem Moment, in dem Rayan sich nun in seinem Büro bei TanSEC angesichts der Begrüßung des Japaners umdrehte, wurde Chos Verdacht zur Gewissheit: Ihr Freund war blass, hatte Augenringe und seine Augen leuchteten kalt. Die Distanz, die er dadurch ihnen gegenüber ausstrahlte, betrübte den Asiaten.

      „Warum habt ihr es mir nicht gesagt?“, fragte Rayan mühsam beherrscht. „Ich hätte es als Erster erfahren müssen.“

      „Weil wir sicher sein wollten. Uns ist klar, wie heiß diese Geschichte ist. Glaubst du, wir wollen etwas lostreten, ohne hundertprozentig überzeugt zu sein?“, meldete sich nun auch Hummer zu Wort. Auch er war deutlich um Deeskalation bemüht.

      „Und? Seid ihr nun sicher, meine FREUNDE? Was mehr als die Aussage von diesem … diesem Verräter habt ihr gebraucht?“ Er betonte das Wort „Freunde“ dabei so, dass die dahinter verborgene Anklage deutlich wurde.

      „Jetzt beruhige dich doch erst einmal und lass uns alles erklären, o. k.?“, sagte Cho, „Zumindest das bist du uns schuldig …“

      „Dann bin ich jetzt aber gespannt … wie du diesen VERRAT erklären willst“, zischte Rayan deutlicher werdend. Bei dem Wort zog Hummer bedrohlich die Luft ein. Auch er hatte seinen Stolz. Cho sah schon einen handfesten Streit heraufziehen und beeilte sich, weiterzusprechen, um die Situation möglichst schnell zu entschärfen: „Dieser Adnan ist nur ein kleines Licht …“, begann Cho betont ruhig.

      „WAR – er WAR ein kleines Licht“, korrigierte Rayan ätzend.

      Dass Cho und Hummer daraufhin einen Blick tauschten, der sagte: „Siehst du, hab ich es doch gewusst“, brachte ihn an den Rand seiner Selbstbeherrschung. Er fühlte sich ausgeschlossen, als wäre er nicht mehr Teil ihres Teams. Und in gewisser Weise war das auch der Fall, denn sobald in Rayan „der Scheich durchbrach“ – wie die beiden das unter sich nannten -, fühlten sich die beiden Amerikaner, als hätten sie es mit einem komplett anderen Menschen zu tun. Sie konnten dann die Handlungen und Ansichten ihres Freundes nicht immer nachvollziehen. Über einen Menschen zu richten zum Beispiel und gleich auch noch Henker in einer Person zu sein. Und dann dieser unbändige Stolz, auch den würden sie wohl nie in dieser Intensität nachempfinden können.

      „Wir wollten die Hintermänner kriegen und haben ihm versprochen, ihn laufen zu lassen, wenn er uns hilft.“

      „Ein Versprechen, welches euch nicht zustand“, unterbrach Rayan wieder, zwar etwas ruhiger, aber noch immer kalt.

      Cho seufzte. „Was hätten wir deiner Meinung nach tun sollen? Die Wahrheit aus ihm herausprügeln?“ Eigentlich hätte dies eine sarkastische Frage sein sollen. Doch als er Rayans Miene sah, die ihm sagte, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, wartete er keine Antwort ab und fuhr fort. „Nun gut. Wir haben diesbezüglich also unterschiedliche Ansichten. Wie bist du überhaupt an ihn gekommen, ich dachte, er ist schon lange ganz weit weg?“

      „Er wollte sein Gewissen erleichtern“, sagte Rayan sarkastisch. Dabei umspielte ein Lächeln seine Lippen, welches Cho nun doch eine Gänsehaut verursachte. Er musste sich beherrschen, um nicht erneut einen vielsagenden Blick mit Hummer zu tauschen.

      Etwas ruhiger erklärte Rayan: „Er war ein Verräter und hat die Strafe bekommen, die er verdient hat.“

      „Was hat er dann davon gehabt, dass er sein Gewissen erleichtert hat?“, fragte nun Hummer ironisch, dem das Ganze hin und her langsam auf die Nerven ging.

      „Dass es schnell vorbei war. Normalerweise ist die Strafe für einen derartigen Verrat ein langsamer und qualvoller Tod.“

      Wieder war es die unerschütterliche Selbstverständlichkeit, mit der ihr Freund gesprochen hatte, die den beiden den tiefen Graben aufzeigte, der sich auf einmal zwischen ihnen aufgetan zu haben schien. Und als wäre das noch nicht genug, fügte Rayan hinzu: „Die gleiche Regel gilt übrigens auch für alle, die einem Verräter wissentlich zur Flucht verhelfen.“

      Im gleichen Moment spürte Cho förmlich, wie Hummers Geduldsfaden riss.

      „Jetzt hör mal zu, du Wichtigtuer!“, grollte der Riese da auch schon. „Du bist hier nicht in deiner Wüste. Deine Regeln sind mir hier scheißegal, verstanden? Und wir sind genauso betroffen – auch für uns war Jack Tanner wie ein Vater …“ Im gleichen Moment hielt er entsetzt inne, denn er erkannte, dass er in seinem Ärger zu viel herausgeplatzt hatte.

      Rayan hingegen sah ihn an, als hätte er einen Geist gesehen. Sein trainiertes Gehirn benötigte nur Sekundenbruchteile, um Hummers Beleidigungen auszuklammern und sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Und den richtigen Schluss zu ziehen.

      Auf einmal wurde er trotz seiner ohnehin schon ungesunden Hautfarbe weiß wie eine Wand. Der Raum schien sich auf einmal um ihn zu drehen. Schwankend bemühte er sich auf der Suche nach Halt, zu seinem Schreibtisch zu kommen. Dort angekommen stellte er sich breitbeinig hin. Mit beiden Händen stützte er sich auf die Tischplatte und ließ den Kopf einige Sekunden zwischen den Schultern hängen. Er verbannte alle Gedanken und konzentrierte sich auf seine Atmung, so wie er es für Krisenfälle gelernt hatte. Und dies war definitiv einer. Von jetzt auf gleich schlug Hummer ihm um die Ohren, dass sein Adoptivvater, den er mehr geliebt hatte, als er das bei seinem leiblichen Vater je vermocht hatte, keineswegs aufgrund des technischen Defekt seines Flugzeugs gestorben, sondern ERMORDET worden war? Denn die Bemerkung konnte nur eines bedeuten: die Beechcraft war manipuliert worden, genauso wie seine Transall im letzten Jahr.

      In dieser Haltung sah er nicht, dass Cho dem schwarzen Riesen mit den Ellbogen in den Magen stieß und ihn gleichzeitig tadelnd ansah. Der bereute seinen Ausbruch zutiefst und flüsterte für seine Körpergröße überraschend leise: „Yasin – hör zu! Es tut mir leid. Das hätte ich dir nicht so hinknallen dürfen …“

      Er wollte noch mehr sagen, doch Rayan schüttelte mit dem Kopf. „Lasst mich jetzt bitte alleine“, flüsterte er tonlos.

      Beide Freunde tauschten erneut einen Blick. In jahrelanger Übung hatten sie eine wortlose Kommunikation aufgebaut, die seinesgleichen suchte. Diese hier sagte: „Meinst du wirklich, dass wir ihn jetzt alleine lassen sollen?“, und kurz darauf: „ja, das ist wohl jetzt das Beste.“

      Beim Hinausgehen sah Cho, wie Rayan auf seinen Stuhl sank, die Arme auf die Lehnen legte und wie in Trance vor sich auf die Tischplatte starrte. Seine Finger krampften sich zusammen, bis die Knöchel weiß wurden.

      Anfang September 2015 – München – Der restliche Abend

      Sie kehrten auf die Feier zurück, als wäre nie etwas passiert. Die beiden Leibwächter waren sichtlich erleichtert, sowohl ihren Scheich, als auch die Frau, für deren Schutz sie eingeteilt waren, heil wieder zu sehen.

      Das Highlight war Sandra, die Carina um den Hals fiel und sich überschwänglich bedankte, dass sie ihr Peter vom Hals geschafft hatten. Sie wollte natürlich wissen, wo sie ihn gelassen hatten, doch Carina winkte nur ab. Sie hätte zu viel erklären müssen. Innerlich musste sie noch immer über den effektiven, aber doch eigentlich recht infantilen Plan den Kopf schütteln. Männer!

      Eine Zeit lang hangelten sie sich noch von einem Gast zum anderen und machten Smalltalk. Erneut war Carina erstaunt: Dies war nicht der Rayan, den sie kannte. Er kam ihr unecht vor, aber nur, weil ihr sein wahres Ich so vertraut war. Die anderen Teilnehmer der Party schienen von dem harmlosen, charmanten, überaus unterhaltsamen Mann völlig eingenommen zu sein.

      Je später es wurde, desto verkrampfter wurde Carina, denn sie fürchtete stets, dieser „domestizierte“ Rayan könne irgendwann aus seiner Rolle ausbrechen.

      Und daher drängte sie darauf, dass sie die Feier möglichst bald verließen. Sie begründeten dies mit der langen Anreise, die „Carinas Freund“ hinter sich hatte. Und obwohl sie noch immer ihre Wohnung in der Merseburgerstaße hatte, einigten sie sich darauf, dass sie Rayan ins Hotel begleiten würde. Und dann waren da ja noch Rayans „Pläne“. Carina spürte, dass es ihr heiß wurde, wenn sie nur an seine Ankündigung von heute Nachmittag dachte.