Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


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Den attraktiven Typen, der vorhin gekommen ist. Der …“, sie hielt ehrfurchtsvoll inne, und fuhr dann leiser fort: „Der gerade genau auf uns zusteuert.“ Dann hakte sie Carina als hoffnungslosen Fall ab und wandte sich wieder Susi und Jeanny zu: „Was er wohl will?“, und „Was sollen wir sagen?“

      Jeanny seufzte bedauernd: „Schade, dass Tim mit hier ist, sonst würde ich dem Kerl erzählen, dass ich solo und auf der Suche bin“, sie kicherte albern.

      „Hallo schöne Frau, ganz alleine hier?“, fragte der attraktive, hochgewachsene Mann dann auf Englisch. Er trug eine maßgeschneiderte, schwarze Tuchhose, und dazu ein weißes Manschettenhemd, bei dem er vorne am Kragen lässig zwei Knöpfe geöffnet hatte. Die weiße Farbe des Oberteils stand im krassen Gegensatz zu seiner gut gebräunten Haut. Beide Kleidungsstücke waren exakt so geschnitten, dass die gut ausgebildeten Muskeln seines Körpers perfekt zur Geltung kamen. Sein fast schwarzes Haar zeigte im direkten Sonnenlicht, einen Stich ins Bräunliche. Am auffallendsten waren jedoch seine Augen. Sie waren von einem leuchtenden Dunkelblau und schienen einem direkt in die Seele zu sehen.

      „Aus der Nähe sieht er sogar noch besser aus, als von weitem“, schoss es Lisa durch den Kopf. Dann erst wurde ihr klar, dass das Lächeln des Mannes nicht ihr galt. Enttäuscht und mit offenem Mund starrte sie Carina an, die noch immer mit geschlossenen Augen da saß, und um sich herum alles vergessen zu haben schien. Wieder stieß sie ihr grob den Ellenbogen in die Seite. „Autsch, du sollst nicht …“, beschwerte Carina sich. Doch dann bemerkte sie, warum alle sie ansahen.

      Denn wenige Meter von ihr entfernt stand … RAYAN! Einige Sekunden sah sie ihn verblüfft an, dann sprang sie auf, und fiel ihm um den Hals. Er schloss sie in die Arme und küsste sie dann leidenschaftlich. Keinen von beiden störte es sonderlich, dass die drei Frauen sie dabei beobachteten. Mit einem Ausdruck, als wäre soeben vor ihren Augen ein Ufo gelandet. Und was noch viel bemerkenswerter war: Keine sagte auch nur einen Ton.

      „Was machst du denn hier?“, fragte Carina ihn einige Minuten später ein wenig atemlos. Dann sah sie sich schuldbewusst um, sie hatte aus Reflex Deutsch mit ihm gesprochen. Dabei wusste sie, dass er es nicht gerne hatte, wenn die Leute wussten, dass er die Sprache ihres Heimatlandes verstand und sogar fast akzentfrei sprach. Eine Tatsache, die er seiner deutschen Großmutter zu verdanken hatte.

      Aber er lächelte sie beruhigend an. Dann trat er zu ihren Freundinnen. „Verzeihen Sie meine Damen. Wie unhöflich von mir. Mein Name ist Rayan. Ich bin Carinas Freund.“ Er sprach Englisch mit eindeutig arabischem Akzent. Jetzt war es an Carina, verblüfft zu schauen. Sie lächelte stolz, dass er sich selbst als „Carinas Freund“ vorstellte – niemals hätte sie ihm das zugetraut. Aber seine Aussprache?! Sie wusste genau, dass er Englisch wie eine Muttersprache beherrschte.

      Nachdem Rayan jeder ihrer drei Mädels galant die Hand gegeben hatte und dabei so strahlend lächelte, dass diese sichtlich schwache Knie bekamen, nahm er Carina am Arm und zog sie davon: „Sie entschuldigen uns bitte, ich möchte einige Augenblicke mit meiner Freundin alleine reden. Schließlich haben wir uns einige Tage lang nicht gesehen …“ Er zwinkerte verschwörerisch und wieder schauten die Freundinnen vor lauter Faszination wenig intelligent.

      Rayan legte Carina den Arm um die Schultern und sie schlenderten in Richtung des kleinen Pavillons, der am Rande des Sees stand. Alle drei Frauen starrten ihnen hinterher. Kaum waren sie einigermaßen außer Hörweite, steckten sie die Köpfe zusammen und tuschelten wild.

      „Du weißt, dass sie sich jetzt den Mund über uns fusselig reden?“, fragte Carina am Ufer angekommen amüsiert. Sie hatte auf Deutsch gewechselt. Rayan lachte entspannt. „Das war mir schon klar, als ich ihre Reaktion am Tisch gesehen habe, während ich auf euch zugelaufen bin. Ich hatte das Gefühl, der halbe Garten hat mich angestarrt, weil die Drei so laut gesprochen haben.“ Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen, als er fortfuhr: „Nur du hast nichts mitbekommen. Wo warst du denn so tief in Gedanken versunken?“

      Carina bekam einen roten Kopf und richtete ihren Blick auf den Fußboden des Pavillons, den sie inzwischen betreten hatten. Verlegen gab sie zu: „Bei dir. Ich habe mir vorgestellt, dass wir beide den Sonnenaufgang in Zarifa anschauen. Oben beim Haus deiner Großmutter, wo man die ganze Wüste überblicken kann. Und anstatt schnatternder Hühner konnte man nur den Wind hören …“, sie hielt inne. Zärtlich legte Rayan seine Hand unter ihr Kinn und hob so ihr Gesicht an, bis sie ihm direkt in die Augen sah. „Ich liebe dich. Und ich könnte mir keine schönere Aussage von dir wünschen. Ich hatte große Angst, dass das Leben in Zarifa nichts für dich ist. Vielleicht eine Zeit lang. Aber auf Dauer?“

      „Doch, das weiß ich jetzt. Ich hatte fünf wunderschöne Tage hier, aber nun vermisse ich unser Leben dort. Eigenartig, wie man sich in so kurzer Zeit verändern kann …“

      Dann wechselte sie das Thema: „Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet: was machst du hier?“, verlangte sie neugierig zu wissen.

      Schelmisch antwortete er: „Dich retten! Du sahst vorhin so verloren aus …Aber Spaß beiseite, ich bin tatsächlich deinetwegen hier. Ich hatte ohnehin in München eine Zwischenlandung auf dem Rückweg von Amerika. Und nachdem ich das Gefühl hatte, dass du dich nur nicht getraut hast, mich zu fragen, ob ich dich auf die Hochzeit deiner Freundin begleite, wollte ich dich überraschen.“ Er strahlte sie an.

      Gerührt sah Carina ihn an. Sie brauchte nichts zu sagen, ihr Blick reichte, um ihm zu bestätigen, dass er einmal wieder voll ins Schwarze getroffen hatte.

      Dann sah er ihr tief in die Augen und fuhr fort: „Und noch einen zweiten Grund gibt es. Ich habe einen Plan!“ Als Carina ihn fragend ansah, beugte er sich zu ihr hinunter und flüstere ihr ins Ohr: „Ich werde dich heute Abend mit in mein Hotelzimmer nehmen. Das Bett dort hat eine sehr praktische metallene Zierleiste am oberen Ende. Dort werde ich dich festbinden. Und dann werde ich dich so verrückt vor Lust machen, dass du mich anflehen wirst, es dir zu besorgen …“ Er richtete sich wieder ein Stück auf und suchte wieder ihren Blick. Seine Augen waren eine Nuance dunkler geworden. Ein Zeichen seiner Erregung. Sie konnte an der Lust in seinem Blick sehen, dass er es ernst meinte und fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Sofort wurde es in ihrem Schritt heiß und am liebsten hätte sie mit ihm die Feier auf der Stelle verlassen. Erst dann wurde sie sich bewusst, dass er wieder einmal absolut den Macho hatte heraushängen lassen. Keine Frage, ob sie das auch wollte – das setzte er einfach voraus. Und ein wenig wütend schnaubte sie: „Niemals! Ich bettle nicht um Sex.“ Amüsiert hatte Rayan das Wechselspiel ihrer Gefühle beobachtet. Jetzt lachte er auf: „Ach nein? Da erinnere ich mich aber an etwas anderes. Damals …“ In Carinas Kopf machte sich eine Szene breit, die sich vor einigen Monaten in Zarifa ereignet hatte und das Rot in ihrem Gesicht wurde noch intensiver. Mit einem kräftigen Ellbogenkick in seinen Magen brachte sie ihn zum Schweigen. Er quittierte es mit einem Lachen und zog sie an sich. Langsam neigte er seine Lippen zu ihr herunter und küsste sie dann so zärtlich, dass sie froh war, dass er sie festhielt. Denn nun war sie diejenige mit den weichen Knien.

      Erst eine kleine Ewigkeit später lösten sie sich voneinander.

      Carinas Freundinnen verfolgten jede ihrer Bewegungen, als wenn sie vor dem Fernseher säßen und eine Seifenoper anschauten. War das dort wirklich die Frau, die sie seit ihrer Schulzeit kannten? Wo nur hatte sie dieses Prachtexemplar von Mann gefunden? Sie kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.

      Ende Juni 2015 – Zarifa: Bergwelt – Ein schlagkräftiges Argument

      Am nächsten Morgen packten sowohl Rayan als auch Aleser bereits frühmorgens ihre Sachen zusammen. Der junge Tarmane hatte sich entschieden, dass er auf jeden Fall erst einmal mit seinem Herrn zurück ins Tal reiten würde. Einerseits, da sein Proviant für heute alle war und zum Zweiten, weil ihm die Lust auf Training erst einmal vergangen war. Er ahnte, dass der Scheich recht hatte, wenn er sagte, dass ihm diese Ausflüge nur deshalb so wichtig waren, weil er im tiefsten Inneren nicht dazu bereit war, sein altes Leben aufzugeben. Er war kein Bäcker und würde nie einer sein. Was machte er sich vor? Und was sollte er nun tun? Er hatte erhofft, dass ihm der Nachtschlaf eine Antwort verschaffen würde, doch als er am Morgen erwachte, war er genauso