Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


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in seinem Leben sein Stolz immer wieder im Weg gestanden, manche Entscheidungen würde er heute sicherlich anders treffen. Als er zu diesem Schluss gekommen war, fiel ihm etwas ein, das bei der Entscheidungsfindung helfen konnte.

      Er legte sein Obergewand ab, und trat auf den Jungen zu: „Ich will dir etwas zeigen, was noch nicht viele Menschen gesehen haben. Manche habe ich deshalb sogar getötet …“ Dann drehte er sich um, zog sein T-Shirt nach oben und ließ Aleser seinen Rücken sehen. Wie erwartet schnappte der 18-Jährige hörbar nach Luft, als er die grausigen Narben sah. Er brauchte nicht zu fragen, was diese Art von Spuren hinterlassen hatte.

      Schnell zog der Scheich sich wieder vollständig an. Er trat dicht vor den Jungen, der sichtbar blass geworden war. Rayan sah ihm in die Augen. „Ein hoher Preis, den ich damals auch aufgrund meines Stolzes bezahlt habe. Glaubst du nicht, wenn ich es überstehen konnte, dass du es auch kannst? Mich wollte man damals auf diese Weise langsam und grausam töten. Da war ich drei Jahre jünger als du jetzt. Und keine Angst: die Peitschen, die bei uns für die Bestrafung verwendet werden, sind weicher. Es wird schmerzhaft - aber es werden wohl kaum Narben bleiben.“ Grimmig lächelnd fügte er hinzu: „Ich will schließlich nicht, dass andere auch so herumlaufen müssen wie ich.“

      Dann packte er wortlos seine Sachen auf sein Pferd und stieg auf. Aleser stand noch einen Moment wie vom Donner gerührt da, dann beeilte er sich, seinem Herrn zu folgen. Er fand, dass das Gezeigte ein durchaus schlagkräftiges Argument war.

      Anfang August 2015 – USA: Flughafen Charlotte - Ein guter Plan

      Tatsächlich beobachteten beide Männer Rayan noch, nachdem er das Büro verlassen hatte, wie er sich auf den Weg in Richtung Ausgang machte.

      „Das ist ja nochmal gut gegangen“, schnaufte der zuständige Officer der Homeland-Security erleichtert. „Ich glaube, er nimmt uns die Behandlung nicht übel. Endlich einmal einer, der Verständnis für unseren Job hat.“

      „Kein Wunder“, dachte sich der Texaner, „weil er Dreck am Stecken hat. Von wegen ‚Verständnis‘. Ich würde mich auch ‚verständnisvoll‘ zeigen. Alles andere führt zu weiteren Untersuchungen und damit zu mehr Fragen.“ Doch er behielt seine Meinung für sich. Seine Nase sagte ihm immer noch deutlich, dass er den richtigen Mann hatte und daher die Geschichte des „amerikanischen Managers“ erstunken und erlogen sein musste. Aber er war klug genug, einzusehen, dass dies nicht der richtige Ort und Zeitpunkt war, darauf zu beharren.

      „Ja was für ein Glück. Bin echt erleichtert“, sagte er stattdessen laut. „Ich war mir so sicher, den Typen damals in Saudi Arabien getroffen zu haben. Naja, ich werde halt auch alt“, setzte er einen Witz hinterher und wie erwartet lachte sein Kollege gutmütig mit.

      Dann verabschiedeten sich die beiden und Burt begab sich zurück auf seine Position. Seine Schicht hatte schließlich eben erst angefangen. Wenn er nachher Pause hatte, würde er Arthur anrufen und ihm von ihrem alten Bekannten berichten. Der würde ihm zum einen sicher Glauben schenken – im Gegensatz zu seinem Kollegen - zum anderen kannte der eine Menge Leute, die würden sich sicher mal umhören. Ja, das war ein guter Plan.

      Anfang September 2015 – München – Je später der Abend …

      Wieder einmal war Carina von der Vielseitigkeit Rayans fasziniert. Immer, wenn sie glaubte, sie würde jetzt alle Seiten von ihm kennen, packte er eine neue aus. Diesmal war es die „Normalo-Seite“, wie sie sie heimlich taufte.

      Nachdem sie sich noch einige Minuten lang im Pavillon unterhalten hatten, waren sie zum Tisch zurückgekehrt. Carinas Befürchtungen, dass das Zusammentreffen mit ihren Freundinnen ein Desaster werden würde, zerstreuten sich innerhalb weniger Minuten. Rayan war charmant und wich allen brisanten Fragen so geschickt aus, dass keine der drei es realisierte. Mit Gegenfragen brachte er sie dazu, stattdessen von sich zu erzählen. Er sprach in fehlerbehaftetem Englisch und streute hier und da wenige deutsche Worte aus, als hätte er diese mühsam von Carina neu gelernt, was die Mädchen als besonders charmant auslegten. Alles in allem schien er sich in dieser Rolle gut zu amüsieren. Seine mangelnde Auskunftswilligkeit bemerkten die drei Damen nicht.

      Nur in einem Punkt wurde Rayan auf einmal ungeahnt kommunikativ: als er völlig unvermittelt ein Foto von ihrer kleinen Tochter Sheila herauszog und Carina im Beisein der anderen fragte, ob sie ihnen denn von ihrem Nachwuchs berichtet hatte. Diese Nachricht schlug ein, wie eine Bombe. „Was? Du warst schwanger?“, „Du hast ein Kind?!“ Danach wollte jeder natürlich das Foto sehen, welches Rayan wie eine Trophäe präsentierte. Und es folgten die üblichen Behauptungen, von wem welcher Teil des süßen Babygesichts geerbt war. Über eines waren sich natürlich alle einig: Die Augen waren die des Vaters. Dieses intensive Blau konnte selbst ein Blinder problemlos zuordnen. Carina war glücklich. Nie hatte sie gedacht, dass Rayan es gutheißen könnte, wenn sie über Sheila sprach. Dass er selbst diese Nachricht verkündete, war ein weiterer Punkt auf ihrer Liste der Überraschungen für diesen Tag.

      Einmal wurde ihr heiß und kalt, als sich der männliche Part der Frauen dazugesellte und das Thema auf ihr Buch zu sprechen kam. Ohne, dass sie eine Ahnung davon hatten, dass das Objekt des Buches direkt neben ihnen saß, begannen sie Carina Fragen zu stellen. Diese zu beantworten, war ihr vorher schon schwergefallen, aber mit Rayan an ihrer Seite war sie einer Panik nahe. Wie viel durfte sie verraten? Welche Punkte würde er lieber für sich behalten?

      Doch auch aus dieser Situation half er ihr selbst galant heraus, indem er einen Teil der Fragen an ihrer Stelle beantwortete. Er behauptete einfach, den Scheich ebenfalls persönlich zu kennen, was ja so gesehen auch keine Lüge war.

      Selbst als die üblichen Vorurteile über mangelnde Hygiene und ausbleibendem Fortschritt zur Sprache kamen, korrigierte er sie mit Geduld, ohne dabei belehrend zu wirken. Und vor allem, ohne die Behauptungen als Beleidigung zu empfinden. Carina fiel ein Stein vom Herzen.

      „Dein Freund ist viel auskunftswilliger als du“, musste sie sich schließlich den Vorwurf gefallen lassen. Carina war es egal. Sie hielt Rayans Hand fest, als hätte sie Angst, er wäre nur in ihrer Fantasie hier und könne wieder verschwunden sein. So verging der Nachmittag rasant und bald ging die Sonne unter. Schnell wurde es aufgrund der Jahreszeit empfindlich kalt und man verlagerte die Gesellschaft ins Haus und den dazugehörigen Wintergarten. Einige der Gäste nutzten die Gelegenheit, um sich zu verabschieden.

      Eine Zeit lang wurde Rayan auch von den männlichen Besuchern in Beschlag genommen und erstaunt sah Carina, als er sich wieder zu ihr gesellte, ein Glas mit einer bräunlichen Flüssigkeit in seiner Hand.

      „Whisky“, antwortete er ihre unausgesprochene Frage. Er trank davon, ohne mit der Wimper zu zucken, als Joachim, der Bräutigam zu ihnen stieß. „Dein Freund hat einen exklusiven Geschmack, was Whisky angeht“, klärte er Carina auf. „Und er ist ein richtiger Kenner! Du weißt, dass Whisky meine Leidenschaft ist, aber dieser Mann hier, der stellt mein Wissen in den Schatten – wo hast du ihn bloß die ganze Zeit versteckt gehalten?!“ Er schlug Rayan lachend auf die Schulter und widmete sich wieder anderen Gästen.

      „Soso, du bist also ein Kenner, ja?“, zog Carina ihn auf. Rayan war ein wenig verlegen, denn als Moslem trank er normalerweise keinen Alkohol. Aber er war ja schließlich auch öfter einmal als Amerikaner Yasin Tanner unterwegs. Manchmal fragte Carina sich, wie Rayan es machte, zwischen diesen beiden Welten zu leben. Sandra gesellte sich zu ihnen und man tauschte die üblichen Komplimente über die gelungene Feier aus. Dann sah die Gastgeberin in Richtung Tür, wo offenbar noch ein später Nachzügler aufgetaucht war. Sie verzog das Gesicht.

      Ein bereits leicht angetrunkener Schönling kam auf sie zu. Zwar torkelte er nicht, aber seinen überschwänglichen Gesten konnte man leicht entnehmen, dass er nicht mehr nüchtern war. „Das ist Peter“, sagte sie lahm. Sie konnte einen abfälligen Unterton nicht ganz verbergen. „Er weiß immer alles am besten. Stets ist bei ihm alles besser und schneller und teurer als bei anderen. Entschuldigt mich bitte.“ Dann machte sie sich fluchtartig davon.

      Etwas erstaunt sah Rayan ihr nach. „Wenn