Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


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betrogen. Und mir hat er im Gymnasium einmal einen bösen Streich gespielt. Seitdem mache ich einen großen Bogen um den Kerl! Leider ist er der Sohn eines der einflussreichsten Männer hier in München und damit sind die Familien offiziell befreundet.“ Auch sie wollte sich schnell abwenden, doch Peter ließ sich davon nicht ablenken. „Hey, wenn das nicht unsere berühmte Schriftstellerin ist.“ Entsetzt befürchtete Carina, Peter würde nun Beleidigungen von sich geben. Doch auch wenn er egozentrisch war, er hatte Benehmen.

      „Ich habe gehört, der Lamborghini Aventador da draußen gehört deinem Freund hier. Würdest du uns vorstellen?“, fragte er mit freundlichem und eigentlich ganz sympathischem Lächeln.

      Erstaunt und vor allem misstrauisch sah Carina ihn an. Dann kam sie seinem Wunsch nach und nannte beide Namen, wobei sie sich mit „Peter“ und „Rayan“ begnügte. Sie vermutete korrekt, dass es ihrem Begleiter nicht recht gewesen wäre, wenn sie seinen vollen Namen - oder gar noch Titel - genannt hätte. Ein wenig wunderte sie sich ohnehin, dass noch keiner aus dem Vornamen Schlüsse gezogen hatte, dass hier die Hauptperson aus ihrem Buch anwesend war.

      Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Sandra aus einiger Entfernung Peter unbehaglich musterte. Sie hatte schmerzhaft in der Vergangenheit beide Seiten des Münchners kennengelernt - den Charmeur und den Rüpel - und hatte Angst, er würde die Stimmung auf der Party negativ beeinflussen.

      Rayan war die Ruhe selbst. Er ließ zu, dass der Kerl ihm Honig um den Bart schmierte und eine Weile diskutierten sie über schnelle und vor allem teure Autos. Dann entdeckte Peter Rayans Armbanduhr.

      Er pfiff leise durch die Zähne: „Wow – eine ‚Glashütte Original‘! Die ‚Richard Lange Ewiger Kalender‘, wenn ich mich nicht irre?“ Als Rayan wortlos nickte, wollte Peter ganz offenbar an Carina gewandt mit seinem Wissen über die Luxusuhr auftrumpfen. Doch da lag auf einmal wie unbeabsichtigt Rayans Hand auf seinem Arm und Peter bemerkte dessen Gesichtsausdruck. Er war klug genug, schnell das Thema zu wechseln. Der Scheich legte normalerweise keinen Wert auf Protz. Allerdings liebte er seltene Uhren. Dass sie in der Regel ein Vermögen kosteten, konnte er sich locker leisten - so wie diese, die etwa 180.000 Euro wert war. Sollte dieser Peter ruhig mit seinen eigenen Trophäen angeben, aber sich nicht mit seinem Wissen über Rayans Besitztümern brüsten. Carina sah verwundert von einem zum anderen. Trotz der schlechten Beleuchtung war ihr aufgefallen, dass die Augen des Scheichs eine Nuance dunkler geworden waren. „Nicht gut!“, dachte sie hektisch. Offenbar war seine entspannte Stimmung auf Sturm umgeschlagen. Verzweifelt überlegte sie, wie sie eine Explosion verhindern konnte.

      Und tatsächlich ärgerte sich der Scheich sehr über die Art und Weise dieses Peter. Er wusste, dass Carina seine Vorliebe für teure Uhren nicht teilte, deshalb vermied er das Thema grundsätzlich. Sie machte sich, Allah sei Dank, auch nie die Mühe, sich mit diesem Gebiet intensiver zu befassen, sonst wäre ihr aufgefallen, dass Rayan zwar keine Rolex mehr trug, die Exemplare aber weiterhin durchaus exklusiv waren. Sie war offenbar der Meinung, die Uhr eines deutschen Herstellers könne nicht so hochwertig sein. Weit gefehlt.

      Er ärgerte sich nun also sowohl über Peter, aber genauso auch über sich selbst, weil er ein schlechtes Gewissen hatte. Das wäre ja noch schöner, wenn er sich vor einer Frau rechtfertigen müsste. Am liebsten hätte er seine nun schlechte Laune an diesem aufgeblasenen Besserwisser ausgelassen. Er war der Anführer eines ganzen Volkes, wieso sollte er es nötig haben, sich zu verstellen? Erst zwei Tage vorher hatte er endlich den langjährigen Feind, der ihm nach dem Leben trachtete, vernichtet. Und dies ohne jegliche Gewissensbisse. Was also hielt ihn nun davon ab, diesem Peter ein wenig angebrachten Respekt beizubringen?

      Dann fiel sein Blick auf Carina und er sah die stumme Bitte in ihren wunderschönen, grünen Augen. Also atmete er tief ein und versuchte, weiterhin ruhig zu bleiben.

      Dann kam ihm eine Idee …

      Ende Juni 2015 – Zarifa: Großes Tal – Das Leben ist nicht immer fair

      Als sie ins Tal kamen, hielten sie nicht an, sondern ritten direkt weiter bis zum Trainingsparcours der Krieger. Dort würden sie mit Sicherheit, Achmed, Alesers Gruppenführer, finden.

      Erstaunt sah der Krieger auf, als er seinen ehemaligen Schützling an der Seite des Scheichs heranreiten sah. Auch die anderen Trainierenden hielten kurz inne, wandten sich dann jedoch wieder ihren Übungen zu. „Mein Herr“, verneigte sich Achmed vor Rayan.

      „Sieh mal, auf wen ich zufällig in den Bergen gestoßen bin? Ich habe großes Glück gehabt, denn der junge Aleser hier hat mir das Leben gerettet“, log der Scheich ohne mit der Wimper zu zucken. Er hatte schließlich etwas gutzumachen. „Hätte er nicht kurzentschlossen die Schlange mit der Armbrust erschossen, hätte sie mich gebissen. Eine Sandrasselotter, ich wäre sicher tot gewesen, bis wir hier ins Krankenhaus gekommen wären. Ich finde seine Reaktionsfähigkeit wirklich außergewöhnlich.“

      „Was für eine glückliche Fügung“, stimmte Achmed zu, doch seine Augen verengten sich misstrauisch. „Aber woher hatte Aleser wohl die Armbrust, frage ich mich? Wo er doch keine Waffe mehr tragen darf?“ – „Das ist meine“, unterbrach ihn Rayan herrisch und warf Achmed einen warnenden Blick zu. Er hatte keine Lust, sich von einem seiner Männer in der Öffentlichkeit befragen zu lassen. Das stand diesem nicht zu und der verstand prompt den Hinweis und fluchte innerlich. Die Bemerkung war ihm herausgerutscht. Wenn er nicht aufpasste, stand wegen Respektlosigkeit plötzlich für ihn eine Strafe an. „Aber natürlich mein Fürst.“ Er verneigte sich besonders tief. „Wir sind Aleser alle zu großem Dank verpflichtet!“

      „Ganz meine Meinung. Und deswegen habe ich ihn überzeugt, dass wir auf einen derart wertvollen Krieger in unserer Mitte nicht verzichten können. Ich möchte dich bitten, ihn nochmals vor die Wahl zu stellen“, dabei betonte der Scheich das Wort „bitten“ derart, dass Achmed klar war, dass es eigentlich ein Befehl war.

      „Aber natürlich, mein Herr. Ich denke, dass Aleser durch diese edle Tat bewiesen hat, wie sehr er für unsere Aufgabe geeignet ist. Daher bin ich sogar bereit, die Strafe auf die Hälfte zu reduzieren.“ Es war klar, dass er das nur sagte, um seinen Scheich für sein gedankenloses Verhalten milde zu stimmen. Er wandte sich an Aleser: „Bist du bereit, die Strafe anzunehmen?“, fragte er ernst.

      Mit stolz erhobenem Kopf und feierlicher Stimme antwortete Aleser: „Ich nehme an.“

      Zufrieden überließ Rayan die beiden sich selbst. Die Aufgabe, die er sich selbst gestellt hatte, war gelöst. Und obwohl er noch immer der Meinung war, dass das Leben nicht immer fair war, hatte er doch das Gefühl, dass diese Geschichte relativ glimpflich abgelaufen war.

      Anfang August 2015 - USA: Charlotte - Unerwartetes Eintreffen

      Als Rayan den Mietwagen auf dem für ihn persönlich als CEO der Firma TanSEC reservierten Parkplatz in der Tiefgarage abstellte, spürte er Erleichterung, dass er endlich sein Reiseziel erreicht hatte. Aber andererseits auch eine grimmige Entschlossenheit. Er würde seinen beiden „Freunden“ klar machen, dass sie diesmal zu weit gegangen waren. Die Begegnung am Flughafen hatte er für den Moment aus seinem Gedächtnis verbannt – dafür war später noch Zeit. Ein Problem nach dem anderen. Aber immerhin hatte ihn das Ereignis etwas aus seinen trüben Gedanken gerissen.

      Im Fahrstuhl wartete er ungeduldig, bis er die Lobby erreicht hatte. Dort musste er nochmals umsteigen, um mit einem zweiten Lift in die Büroetagen zu gelangen. Der kritische Blick der attraktiven Empfangsdame des Bürokomplexes traf ihn, die in der Lobby so platziert war, dass sie sowohl den Haupteingang, als auch den Aufzug aus der Tiefgarage perfekt einsah und jede Person genau in Augenschein nahm. Ihre Miene hellte sich auf, als sie ihn erkannte und sie grüßte den Hauptfirmeninhaber von Tanner-Security - „TanSEC“ respektvoll. Schließlich war diese Firma der Mieter der kompletten oberen Etage und somit ihr „Hauptkunde“. Sie öffnete den Mund, um wie üblich einige Floskeln auszutauschen, doch angesichts von Yasin Tanners Laune überlegte sie es sich anders und beschäftigte sich schnell mit irgendwelchen Unterlagen, die vor ihm auf dem Empfangspult lagen.

      Erfreulicherweise