Indira Jackson

Rayan - Der Stich des Skorpions


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Doch sie verbiss sich jeglichen Kommentar und konzentrierte sich darauf, nicht vor Angst zu schreien.

      Die ersten Kilometer nahmen sich die beiden sportlichen Autos nichts, doch dann kam ein Auto entgegen und Peter musste hinter Rayan einscheren. Was dieser ausnutzte, um einen kleinen Vorsprung herauszufahren. Carina mochte nicht darüber nachdenken, mit welcher Geschwindigkeit sie fuhren und vermied den Blick auf den Tacho bewusst. Dann war Peter wieder auf der anderen Spur, doch es gelang ihm nicht, näher heranzukommen.

      Bis Rayan auf einmal leicht abbremste. Peter schoss vorbei und scherte vor ihnen ein, um zu verhindern, dass Rayan wieder nach vorne kam. Er war so selbstzufrieden, dass er die blinkenden Lichter einige hundert Meter weiter vorne erst bemerkte, als sie die Straßensperre bereits fast erreicht hatten. Mit Mühe gelang es ihm anzuhalten, während Rayan einige Sekunden später elegant zum Stehen kam. Kurz darauf waren beide Wagen von wütend dreinblickenden Beamten der Münchner Verkehrspolizei umringt.

      Carinas Herz schlug in ihrem Hals und sie war sich nicht sicher, ob sie erleichtert sein sollte, dass das kindische Rennen nun beendet war, und sie unverletzt geblieben waren, oder ob sie sich Sorgen machen sollte. Würde sie selbst nun – quasi als Mittäter – auch verhaftet werden? Und was würde mit Rayan passieren?

      Der war mit undeutbarer Miene ganz entspannt einfach sitzen geblieben. Er wirkte weder besorgt, noch sonderlich überrascht. Als sich eine Beamtin in Uniform näherte, ließ er das Fenster herunter.

      „Ihre Papiere bitte“, forderte die Polizistin ruhig auf Deutsch. Lächelnd kam der Scheich der Aufforderung nach.

      Wortlos warf sie den Unterlagen einen kurzen Blick zu, dann drehte sie sich zu ihren Kollegen um und rief laut: „Wir haben hier einen Diplomatenpass, da können wir nichts machen.“

      Woraufhin einer der Männer, an dessen Anzahl Sterne auf seinen Schultern man erkennen konnte, dass er hier das Sagen hatte, neugierig näherkam. Er studierte den Ausweis sorgfältig und sagte dann sichtlich enttäuscht: „Es stimmt tatsächlich, das übersteigt unsere Kompetenz. Er kann fahren.“ An Rayan gewendet sagte er: „Aber tun Sie uns einen Gefallen und fahren jetzt gemäß den Vorschriften. Wir haben hier schließlich öffentlichen Straßenverkehr und keine Rennstrecke vor uns!“ Dann drückte er die Papiere der Beamtin wieder in die Hand und drehte sich um. Dabei murmelte er etwas wie: „Dafür haben wir ja den anderen, der kommt uns nicht davon.“

      Als die Frau in Uniform den Ausweis durch das Fenster zurück ins Innere reichte, lächelte sie einen Moment lang breit. „Du bist auf dem Foto aber nicht gut getroffen.“ Zu Carinas Überraschung sprach sie Arabisch. Auch Rayan grinste jetzt spitzbübisch: „Danke! Das hast du wirklich toll gemacht.“

      Als die Polizistin vom Fenster zurücktrat und sich umwandte, um zu ihren Kollegen zurückzukehren, war ihr Gesicht wieder völlig ausdruckslos.

      Fröhlich fuhr Rayan langsam an den Polizeiautos vorbei. Sie passierten dabei auch Peter, der neben seinem Auto stand und in eine heftige Diskussion mit den Beamten verwickelt war. Als er bemerkte, dass der Lamborghini im Gegensatz zu ihm ungehindert fahren durfte, entglitten ihm die Gesichtszüge. Sprachlos starrte er ihnen hinterher.

      Carina begann, laut zu lachen. „Du bist sowas von hinterhältig! Du hast gewusst, dass sie uns hier aufhalten werden, nicht wahr?“

      Auch Rayan stimmte nun in ihr Lachen ein. „Den sind wir erst einmal los. Hab ich dir doch versprochen, nicht?“

      Ein wenig später hatte sich Carina wieder gefangen. Dann fragte sie: „Du kennst die Beamtin und hast sie angerufen und vorgewarnt, nicht wahr?“

      Rayan nickte ruhig, aber er sagte nichts weiter. Er erklärte Carina nicht, dass es Miriam Abdullah gewesen war, die Frau, die für ihn übersetzt hatte, als er einige Monate zuvor, nach dem Anschlag auf ihr Leben, alleine in München zurückgeblieben war.

      Aber das brauchte er auch nicht. Carina hatte bereits in der Vergangenheit ihre weibliche Intuition bewiesen und auch diesmal spürte sie die Verbindung, die die beiden hatten, oder zumindest gehabt hatten und fühlte Eifersucht in sich aufsteigen. Denn sie wusste, dass sie eben eine der vielen Frauen getroffen hatte, mit denen Rayan geschlafen hatte. An diesen Punkt in ihrer Beziehung würde sie sich nie gewöhnen: dass er ihr niemals ganz gehören würde. Auch wenn für ihn diese kurzen Affären bedeutungslos waren, für Carina war es ein Stich ins Herz.

      Anfang August 2015 - USA: Charlotte – Die Aussprache

      Als Hummer und Cho in Yasin Tanners Büro eintraten, stand dieser abwartend mit dem Rücken zu ihnen vor der großen Glasfront und sah hinaus über die Skyline von Charlotte. Er liebte diese im Vergleich zu vielen Städten in den USA nicht sehr große Metropole. Die Sehenswürdigkeiten ließen sich zwar an einer Hand abzählen, aber die modernen Bauten der Hochhäuser und die generelle Sauberkeit machten die Stadt sehenswert. Zudem war jeder Punkt schnell erreichbar. Vom Flughafen zum Büro von TanSEC im Bankenzentrum in Downtown benötigte man noch nicht einmal eine Viertelstunde.

      Schnell schloss Tamara die Tür von Mr. Tanners Büro geräuschlos hinter ihren beiden anderen Chefs, denn ihr war klar, dass sie alles, was jetzt kam, nichts anging. Trotzdem bereute sie vielleicht zum ersten Mal in ihrer Zeit bei TanSEC, dass die Räume alle schallisoliert waren. Das verstand sich von selbst, denn schließlich arbeiteten sie in der Sicherheitsbranche. Doch diesmal hätte sie zu gerne gehört, was zwischen den drei, sonst so miteinander harmonierenden Männern, vorgefallen war.

      Seufzend machte sie sich eilig auf den Weg zurück ins Besprechungszimmer, wo es nun wohl an ihr sein würde, die Kunden bei Laune zu halten, bis die drei Herren ihre Fronten geklärt hatten.

      „Hallo Yasin“, sagte Cho betont fröhlich. Er kannte ihren Freund inzwischen gut genug, um zu wissen, dass dieser mit Vorsicht zu genießen war. Zwar hatte er keine Angst vor ihm – einer der wenigen Menschen überhaupt, die das von sich behaupten konnten – aber er wollte auch keine Auseinandersetzung provozieren.

      Rayan hatte die kurze Wartezeit mit sehr gemischten Emotionen verbracht. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit hatte er heute keinen Blick übrig für das großartige Gemälde einer Wüstenlandschaft, dass fast die komplette Wand gegenüber der Eingangstüre in seinem Büro einnahm.

      Wie hatten seine Freunde ihm alleine den Verdacht, dass der Absturz kein tragischer Unfall gewesen war, verheimlichen können? Und was fiel ihnen ein, einen Verräter einfach so gehen zu lassen? Ihm sogar noch zu raten, das Weite zu suchen? Was war mit den drei Toten, die Zarifa zu beklagen hatte? Der Scheich hatte persönlich nach seiner Rückkehr mit den Hinterbliebenen gesprochen, was keine angenehme Aufgabe gewesen war. Und was wäre gewesen, wenn Carina oder dem Baby – oder beiden! - etwas passiert wäre? Wie sollte er jetzt mit seinen beiden Mit-Firmeninhabern umgehen?

      Es gab in Zarifa eine einfache Regel: wer einem Verräter wissentlich half, der wurde selbst zum Verräter. Und auf Verrat stand der Tod. Nun hatte er nicht wirklich vor, seine beiden Freunde hinzurichten. Ihm war klar, dass er noch nicht einmal das Recht hatte, sie zu bestrafen. Aber wie sollte er dann mit dieser Sachlage umgehen? Was hätte er jetzt dafür gegeben, mit Jack Tanner reden zu können. Dieser war stets derjenige gewesen, der ihm in derartigen Situationen mit seinem väterlichen Rat weitergeholfen hatte.

      Das Schlimmste an diesen Gefühlen war noch nicht einmal die Wut auf die beiden. Sondern die Enttäuschung, die er verspürte: er fühlte sich wirklich von ihnen verraten. Der Scheich in ihm wusste, was zu tun wäre, wie aber ging man als Freund mit einem solchen Vergehen um? Auf jeden Fall musste er ihnen klar machen, wie ernst ihr Verhalten nach seinen Maßstäben war.

      So hatte er bereits den Langstreckenflug tief in Gedanken verbracht, sein Gesicht starr wie eine Maske. Wieder und wieder kreisten seine Gedanken um das, was der Mann aus Alessia ihm gebeichtet hatte.

      Selbst Jassim war in München nur schwer davon abzuhalten gewesen, seinen Herrn zu begleiten. Er hatte zu recht argumentiert, dass es gefährlich war, wenn dieser auf sich alleine gestellt war, während er so unaufmerksam war. Er hatte genügend Feinde, für die ein solcher Moment eine passende Gelegenheit wäre.